An einem heruntergekommenen Filmset arbeiten ein abgehalfterter Regisseur – eine stumme, hinzuerfundene Rolle, die verdächtig nach Orson Welles aussieht – und ein nicht minder verbrauchter Schauspieler an einer Falstaff-Verfilmung. Das ist die Ausgangslage für Christoph Marthalers Inszenierung von Giuseppe Verdis letzter Oper bei den Salzburger Festspielen.

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Elena Stikhina, Giulia Semenzato, Cecilia Molinari und Tanja Ariane Baumgartner
© SF | Ruth Walz

Alle Charaktere sind scheinbar Schauspieler, die für den Film engagiert wurden, und zwischen Kinosaal, Studiobühne und der Terrasse einer 70er-Jahre-Hollywood-Villa verschwimmen die Grenzen zwischen der Handlung des Films und dem Privatleben der Darsteller dabei immer mehr, bis schließlich am Ende des zweiten Akts am Set das pure Chaos herrscht. Ins Wasser geworfen wird dann auch nicht Falstaff, sondern Orson Welles und schließlich ist es Alice, die Regiestuhl und Whiskeyglas übernimmt, um die Fäden zu ziehen und an Falstaff Rache zu nehmen.

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Gerald Finley (Sir John Falstaff) und Elena Stikhina (Mrs. Alice Ford)
© SF | Ruth Walz

Was in der Theorie nach einem durchaus spannenden Konzept klingt, scheitert in der praktischen Umsetzung allerdings daran, dass Marthaler bereits nach den ersten paar Minuten völlig uninteressiert am Stoff und den Figuren zu sein scheint. Die Personenregie geht gegen null, das Konzept des Spiels im Spiel wird nur inkonsequent durchgezogen und der Abend ist weder lustig genug, um als Komödie durchzugehen, noch böse genug, um als gesellschaftskritische Satire verstanden werden zu können. Zusätzlich ist die Inszenierung alles andere als sängerfreundlich, denn einerseits ist das in alle Richtungen offene Bühnenbild von Anna Viebrock eine akustische Zumutung, die Stimmen verlieren sich auf der riesigen Bühne des Festspielhauses und andererseits wird die Abstimmung in den Ensembles unnötig dadurch erschwert, dass die Damen vom Regisseur meist in der einen, die Herren in der anderen äußersten Ecke des Bühnenbildes angesiedelt werden. Inmitten dieser alles andere als idealen Bedingungen schlug sich das versammelte Sängerensemble aber dennoch sehr gut, wodurch der Abend immerhin musikalisch zu einem positiven Erlebnis wurde.

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Marc Bodnar (Orson W.) und Gerald Finley (Sir John Falstaff)
© SF | Ruth Walz

In der Titelrolle musste Gerald Finley permanent das Tragen eines künstlichen Bauches ablehnen, Pillen einwerfen und alles andere als heiter wirken; und auch in seiner stimmlichen Gestaltung legte er den Falstaff nicht als tölpelhaft polternden Schwerenöter, sondern als melancholischen und desillusionierten Mann in der Midlife-Crisis an. Diese Interpretation funktionierte ausgezeichnet, denn mit seinem nobel timbrierten Bassbariton verlieh er der Rolle insbesondere in seiner Arie am Beginn des dritten Akts dank dunkler Klangfarben vielschichtige menschliche Facetten. Als seine Gegenspielerin Alice Ford verkörperte Elena Stikhina eine vom Chaos am Set genervte Diva, die sich am Ende als einzige wirklich über die Intrige gegen Falstaff zu amüsieren scheint. In pointiertem Staccato zog sie dabei die Fäden der Handlung und ließ die Stimme in der Höhe bei vorgetäuschter Romantik schön aufblühen. Den Ford legte Simon Keenlyside als unbeholfenen Spießer an und stattete ihn mit einer zur eifersüchtigen Natur der Rolle passenden stimmlichen Rauheit aus, wobei er stets auf eine differenzierte Gestaltung achtete. Darüber hinaus stellte er komödiantisches Talent unter Beweis – er war auch scheinbar der einzige, der in diesem Regiekonzept wirklich Komödie spielen durfte.

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Falstaff
© SF | Ruth Walz

Die Figuren rund um das zentrale Trio schien der Regisseur leider nur als unnötiges Beiwerk zu empfinden, denn szenisch bekam etwa Cecilia Molinari, die Meg Page mit samtigem Mezzo ausstattete, praktisch nichts zu tun, wodurch sie blass blieb. Ähnlich erging es Tanja Ariane Baumgartner als Mrs. Quickly, die der Figur zwar mit profunder Tiefe und vokalem Augenzwinkern Charakter verlieh, aber in der Inszenierung nur als Handlangerin, nicht als Intrigen schmiedendes Mastermind, in Erscheinung treten durfte. Der Eindruck, dass Marthaler mit den Figuren nicht viel anzufangen wusste, setzte sich auch bei Nannetta und Fenton fort, die er mal harmlos turtelnd und mal verloren wirkend herumstehen ließ. Schade, aber immerhin bot dieses Liebespaar trotz szenischem Nichts herrlich romantischen Schmelz und stimmliche Eleganz: Bogdan Volkov verfügt über einen höhensicheren Tenor mit einem strahlenden Kern, den er differenziert einzusetzen versteht und Giulia Semenzato flutete den Raum mit glitzernd schwebenden Klangbögen, wobei ihr klar timbrierter Sopran auch in den Höhen wunderbar ebenmäßig und fokussiert blieb. Darüber hinaus verbanden sich die beiden Stimmen ganz ausgezeichnet und verströmten in ihrem kurzen Duett pure Italianità.

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Falstaff
© SF | Ruth Walz

In einem Meer aus Statisterie und mal mehr, mal weniger lustigen Slapstick-Einlagen gingen auch der ausgezeichnet singende Chor und die kleinen Rollen Bardolfo und Pistola (tadellos gesungen von Michael Colvin und Jens Larsen) szenisch beinahe völlig unter, lediglich Thomas Ebenstein als Dr. Cajus schaffte es, mit feiner Ironie in der Stimme ein bisschen mehr aufzufallen.

Ingo Metzmacher ist üblicherweise doch eher in zeitgenössischeren Gefilden anzutreffen als bei Repertoire-Klassikern, bewies am Pult der Wiener Philharmoniker aber doch ein gutes Gespür für den späten Verdi, der in seiner Interpretation dann auch etwas moderner und vor allem weniger fröhlich-spritzig klang, als man es gemeinhin gewohnt ist. Das Orchester ließ sich bereitwillig auf diese Lesart ein, bot ebenso satten Bläserklang wie fein schimmernde Streicher und folgte vor allem dem Dirigenten in seinem Bestreben, es den Sängern nicht zusätzlich mit Lautstärke und polterndem Effekt schwer zu machen, sondern ihnen möglichst transparenten Klang zu Füßen zu legen.

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