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SALZBURGER FESTSPIELE / Haus für Mozart: ORFEO ED EURIDICE

Glucks Opern sind langweilig? - Christof Loys "Orfeo" beweist das Gegenteil

15.08.2023 | Oper in Österreich
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Cecilia Bartoli (Orfeo) und Tanzensemble. Alle Fotos: Salzburger Festspiele / Monika Ritterhaus

SALZBURGER FESTSPIELE / Haus für Mozart: ORFEO ED EURIDICE

14. August 2023 -Dernière (von sechs Aufführungen)

Von Manfred A. Schmid

Nikolaus Harnoncourt konnte ihn nicht leiden. „So viel Geld können Sie mir gar nicht bezahlen, dass ich Gluck aufführen würde,“ meinte er einmal. Da möchte man doch eher Mozart vertrauen, der ihn sehr geschätzt hat und ihm, was die historische Aufführungspraxis betrifft, zeitlich und ideell wohl auch etwas nähergestanden haben dürfte als sein später Kritiker. Wie klar Glucks vom barocken Firlefanz entschlackte Opern jedenfalls sein können, zeigt Christof Loys aktuelle Inszenierung von Orfeo ed Euridice für die Pfingstfestspiele Salzburg, die nun auch im Rahmen des Sommerfestivals sechsmal widerholt worden ist. Natürlich immer vor ausverkauftem Haus. Dafür garantiert schon der Name der Besetzung für die Hauptrolle: Cecilia Bartoli ist Orfeo, der – von Gott Amor ermutigt – seiner verstorbenen Frau Euridice in das Reich der Toten nachfolgt, um sie ins Leben zurückzuholen. Die Aktion scheitert, weil er, von Euridice bedrängt, die einzige ihm für das Gelingen auferlegte Bedingung auf Dauer nicht einzuhalten imstande ist: Die Geliebte nicht anzusehen, bis sie die Unterwelt verlassen haben, und diese Verpflichtung ihr gegenüber auch geheim zu halten.

Das Wunder erfüllt sich also nicht. Der Tod bleibt der unbezwingbare Sieger. Orfeo schreitet langsam die letzten Stufen hinauf und verschwindet – nicht in der Helle des Lebens, in das er zurückkehrt, sondern im trostlosen Schwarz des Nichts. Die Musik, die ihn auf diesem Weg begleitet, wird immer leiser, bis auch sie in der Stille des Nirgendwo verebbt. (Wäre da nicht ein lautstark Hustender auf dem Balkon gewesen, der die unendliche Tragik diese ergreifende Schlussszene zum denkbar unpassendsten Zeitpunkt brutal entweiht hätte. In den Orkus mit ihm!)

Die italienische Mezzosopranistin, üblicherweise für ihre mit voller Leidenschaftlichkeit, atemberaubender gesanglicher Brillanz und mitreißender Komik verkörperten Charaktere in Rossini-Opern bekannt und geschätzt, genießt es offensichtlich, wieder einmal eine tragische Rolle singen und spielen zu können. Ermöglicht wird das durch die Wahl der sogenannten „Parma-Fassung“, in der Gluck die Partie des Orfeo von einer (Kastraten-)Altstimme auf eine (Kastraten-)Sopranstimme umgeschrieben hat, deren Stimmumfang dem ihren eher entspricht. Für Salzburg wurden aber auch Nummern aus der Originalvorlage und weiterer Fassungen herangezogen.

Dass sie tragische Rollen kann, hat Bartoli vor Jahren schon als Norma bewiesen. Ihre darstellerische Leistung ist auch diesmal durchaus berückend, gesanglich gehört diese Partie aber wohl nicht zu den für sie idealsten. So richtig in Fahrt kommt sie nämlich erst bei herausfordernden Koloraturläufen und ähnlichen gesangstechnischen Spitzfindgkeiten, und die sucht man in Glucks Reformoper vergeblich. Die erschütternde Klage über den endgültigen Verlust der Geliebten – „Che farò senza Euridice?“  – zunächst in größter Bestürzung rasch in die Welt hineingerufen, dann reflektierend langsam, fast ungläubig wiederholt – gehört dennoch zu den ergreifenden Höhepunkten eines denkwürdigen Opernabends. Er sollte nur 90 Minuten dauern, konnte diesmal aber wegen Problemen mit der Klimaanlage erst mit 15 Minuten Verspätung begonnen werden.

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Tänzerinnen und Tänzer

Bartolis Orfeo  ist fast immer auf der Bühne, bei Johannes Leiacker ein holzgetäfelter Saal mit drei Treppenaufgängen, die vom Orchestergaben zu zwei Spielebenen hinführen, um dann zu einem großen Torbogen weiterzuleiten, der zunächst den Blick in das strahlend helle Elysium freigibt, das am Schluss, siehe oben, aber nur noch in undurchdringliche Dunkelheit gehüllt ist. Eine kluge, karge Lösung, die der von Gluck absichtlich unter Verzicht auf musikalische Opulenz komponierten Oper auch ausstattungsmäßig entgegenkommt. Die Regie von Christof Loy setzt auf den von ihm elegant-spartanisch choreographieren Einsatz von vierzehn Tänzerinnen und Tänzern, der von Gluck musikalisch stark eingesetzte Chor – Il Canto di Orfeo, einstudiert von Jacopo Facchini – sitzt auf den Stufen, die zum Orchester hinunterführen, mischt sich immer wieder auch  das Geschehen  ein.

Die im Titel der Oper genannte Euridice kommt nur in den letzten Szenen vor, als Orfeo bis zu ihr vorgedrungen ist und sie auffordert, ihm einfach nachzufolgen. Mélissa Petit drückt Euridices Freude angesichts des Wiedersehens, aber auch ihre alsbald einsetzenden Bedenken, Verunsicherungen und Zweifel ob der merkwürdigen Umstände und nachdrücklichen Forderungen ihres Geliebten glaubwürdig aus. Gesanglich hinterlässt sie einen so starken Eindruck, dass man gerne mehr von ihr gehört hätte, was auch für Madison Nonona gilt, die eine vorzügliche Liebesgöttin  Amore ist und mit ihrer Arie  das Publikum ebenso bezaubert wie den staunenden Orfeo, als er von der ihm gebotenen Chance erfährt.

Das auf Originalinstrumenten spielende Orchester Les Musiciens du Prince – Monaco, das unter der Leitung von Gianluca Capuano schon bei seinem Gastspiel zum Saisonende 21/22 an der Wiener Staatsoper im Zuge der entfesselten Rossini-Mania – und natürlich mit Cecilia Bartoli als Aushängeschild – für Furore gesorgt hat, zeigt diesmal, dass diesem Ensemble auch der um Einiges spartanischer ans Werk gehende Christoph Willibald Ritter von Gluck ein Anliegen ist. Transparent im Klang, wunderbar bukolisch bei der elysischen Tanzmusik, beseelt in den lyrischen, liedhaften Szenen, abgründig in den tragischen Momenten und mit gewaltigem Zauberdonner bei den Erscheinungen der Geister und Dämonen in der Unterwelt: Diese gelungene Inszenierung einer maßgebliche Oper im Übergang vom Spätbarock zur Wiener Klassik weiß zu begeistern und wird vom Publikum ausgiebig und dankbar gefeiert.

 

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