„Refugees out” steht in großen, orangen Buchstaben an der Wand geschrieben und der kürzlich als Christus im Passionsspiel auserwählte Manolios liegt tot in einer Blutlache, was aber beinahe alle Dorfbewohner völlig kalt lässt. Regisseur Simon Stone lässt im Schlussbild seiner Inszenierung von Bohuslav Martinůs The Greek Passion keinen Zweifel daran, dass Gleichgültigkeit unter dem Deckmantel der Religiosität schon immer und immer noch ein Fakt ist. Er schwingt dabei aber keine allzu heftige Moralkeule und verzichtet auch auf plakative Gegenwartsbezüge, sondern inszeniert den Abend bei den Salzburger Festspielen über stringent die im Libretto erzählte Handlung der Oper in reduzierter Optik.

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Robert Dölle Ladas (Ladas), Gábor Bretz (Priester Grigoris) und Matthäus Schmidlechner (Michelis)
© SF | Monika Rittershaus

Genau diese Simplizität ist es aber, die für starke Bilder sorgt – etwa durch die Benutzung des Säulengangs der Felsenreitschule, durch den vom Schnürboden fallenden Regen oder wenn die Rückwand des Bühnenbildes in kleinen Ausschnitten aufgeht, um den Blick auf die Glocken freizugeben. Überhaupt ist es ein Abend der kleinen Details, denn ebenso grau in grau gehalten wie das Bühnenbild sind zu Beginn auch die Outfits der Dorfbewohner, erst mit dem Ankommen der Flüchtlinge kommt Farbe ins Spiel; und jene, die sich im Verlauf der Handlung gegen die kirchliche Autorität auflehnen und Partei für die Fremden ergreifen, legen die graue Einheitskleidung ab.

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Charles Workman (Yannakos) und Sara Jakubiak (Katerina)
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Präzise und detailreich gestaltet sich auch die Personenregie, denn trotz der Fülle der Figuren wirkt jeder Charakter präzise herausgearbeitet und dreidimensional. So kamen auch die durchwegs gut gesungenen kleinen Rollen, die unter anderem mit Teilnehmern des Young Singers Project der Festspiele besetzt waren, gut zur Geltung, ohne in der Masse unterzugehen. Als aufgebrachte Dorfbewohner und als Gruppe Vertriebener kam außerdem dem Wiener Staatsopernchor sowie dem Kinderchor dabei auch schauspielerisch eine zentrale Rolle zu, die nicht nur klangschön – insbesondere in den sehr klerikal angehauchten Passagen – sondern auch mit vollem darstellerischem Einsatz umgesetzt wurde.

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Łukasz Goliński (Priester Fotis) und Charles Workman (Yannakos)
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Ebenso detailreich erweckten die zentralen Solisten ihre Rollen zum Leben, so war Gábor Bretz ein ehrfurchtgebietender und unerbittlicher Priester Grigoris, der mit kühl timbriertem Bass weder seiner eigenen Gemeinde noch den Fremden viel christliche Nächstenliebe entgegenbrachte. Einen starken Gegenpol dazu bildete der von Łukasz Goliński verkörperte Priester Fotis, der um eine neue Heimat für sein vertriebenes Volk bat und in dessen Stimme stets die Gegensätze zwischen Sanftmut und Durchsetzungskraft mitschwangen. Den Optimismus der Geflüchteten hochzuhalten gelang an seiner Seite auch Scott Wilde, der als (namenloser) alter Mann eindringlich von den Neuanfängen der Vergangenheit erzählte. Viel vokale Wärme verströmte auch Sara Jakubiak als von Anfang an zwischen den beiden Gruppen stehende Katerina, wobei sie den innerlichen Konflikt dieser im Dorf als Maria Magdalena gebrandmarkten Frau mit den differenzierten Farben ihres Soprans zum Ausdruck brachte. Sie berührte dabei sowohl in dramatischen Ausbrüchen der Verzweiflung als auch in den Momenten der stillen Introspektion.

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The Greek Passion
© SF | Monika Rittershaus

Zunächst noch als Schlitzohr, dann aber als ehrlich Geläuterten, der seine bisherige Einstellung bereut, legte Charles Workman den Yannakos an; dabei zog nicht nur sein tierischer Co-Star in Form eines Esels, der an diesem Abend die Bühne gar nicht mehr verlassen wollte, die Aufmerksamkeit auf sich, sondern auch die vielschichtige stimmliche Interpretation, denn der Tenor bot Storytelling vom Feinsten.

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Sebastian Kohlhepp (Manolios) und Sara Jakubiak (Katerina)
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Packend gestaltete auch Sebastian Kohlhepp den Manolios, wobei er den zunehmenden Fanatismus des Charakters, der sich mehr und mehr in seine Rolle als Jesus hineinsteigert, in jeder Hinsicht nuanciert auf die Bühne brachte. Nicht nur in der Darstellung wirkte er mit jeder Minute fahriger und von der Realität losgelöst, sondern auch in seiner Stimme spiegelten sich diese Aspekte wider; mal feurig und mal verschreckt schimmerten da die Töne. Angesichts der unaufhaltbaren Identifikation von Manolios mit Christus verwunderte es dann auch nicht, dass sich Lenio, von Christina Gansch mit lieblich und rein klingendem Sopran ausgestattet, schließlich abwendet und lieber den geerdeten Nikolio, den Aljoscha Lennert als sympathischen Kerl von nebenan gestaltete, heiratet.

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The Greek Passion
© SF | Monika Rittershaus

War das, was man auf der Bühne zu sehen und hören bekam, schon beeindruckend, spielte sich das wirkliche Ereignis an diesem Abend im Graben ab. Einerseits dank der wunderbaren Akustik der Felsenreitschule, in der etwa die Holzbläser der Wiener Philharmoniker noch etwas wärmer und strahlender klingen als sie es ohnehin immer tun und andererseits weil das Orchester zur Höchstform auflief und gemeinsam mit Dirigent Maxime Pascal das Optimum aus Martinůs Partitur herausholte. All die verschiedenen Stile und Stimmungen wurden fein herausgearbeitet und differenziert gestaltet, wobei insbesondere die aufgeheizten, peitschenden Momente der Exkommunikation von Manolios überwältigend waren und einen idealen Kontrast zu den zurückgenommenen, ätherisch entschwebenden Kyrie-Klängen bildeten. 

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