Boteros Beauties in Tirol: Lohnende Neubegegnung mit einer Inszenierung im Dienst des Werks

Xl_5936_la_fille_du_regiment_08_foto_jochen_quast © Copyright: Jochen Quast

La fille du régiment Gaetano Donizetti Besuch am 27. August 2023 Premiere 23. Januar 2000

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf

Boteros Beauties in Tirol: Lohnende Neubegegnung mit einer Inszenierung im Dienst des Werks

La fille du régiment,die Opéra comique von Gaetano Donizetti, teilt das Schicksal etlicher heute populärer Opern, die bei der Uraufführung durchgefallen sind. Carmen von George Bizet und Il barbiere di Siviglia von Gioachino Rossini lassen sich hier exemplarisch nennen. Im Falle der Regimentstochter nimmt das Publikum im Pariser Théatre Royal de l’Opéra Comique Anstoß an einer als unzureichend empfundenen Rollenbesetzung. Der späteren Karriere des Werks hat dieses Manko der Geburtsstunde nichts anhaben können. Zwei Belege: Bis 1950 erlebt es allein in der Pariser Opéra Comique 1000 Aufführungen, 250 an der Berliner Hofoper in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Derzeit eröffnet die in Düsseldorf wieder aufgenommene Produktion der Deutschen Oper am Rhein eine Neubegegnung mit der Vitalität des Stoffes, halb Komische Oper, halb Operette. Zu erleben ist eine vor Spaß am Sujet sprühende Inszenierung, die nichts anderes will, als der Kunst Donizettis zu dienen und damit dem Publikum.

1838 verlässt Donizetti seine italienische Heimat. Seine Verärgerung über die Zensur, die die Aufführung seines Poliuto in Neapel untersagt, treibt ihn nach Paris. Dort kommt das Werk unter dem Titel Les Martyrs in einer französischen Fassung auf die Bühne. Für Opernkomponisten ist die französische Metropole in der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts das Mekka ihrer Kunst. Abzulesen an den Biographien vor allem von Vincenco Bellini, Luigi Cherubini, Rossini und - Donizetti.

1848 - seit der Uraufführung sind acht Jahre vergangen - erreicht La fille du régiment den Gipfelpunkt in Frankreich. Es kristallisiert sich der Brauch heraus, den Zweiakter in jedem Jahr zum Nationalfeiertag an der Opéra Comique aufzuführen. In einer heiteren und einer patriotischen Stimmung, getreu der Maxime des Regiments im Stück: Patrie et victoire, voilà mon refrain. Maries Cabaletta Salut la France steigt quasi zur zweiten Nationalhymne des Landes auf.

Das Stück mit dem Libretto von Jules Henri Vernoy de Saint-Georges und Jean-François Alfred Bayard spielt 1815, zur Zeit der Napoleonischen Kriege, in Tirol. Erzählt wird die Geschichte der Marketenderin Marie, die als Findelkind von Soldaten des 21. französischen Regiments aufgenommen worden ist und als „Regimentstochter" zufrieden unter ihnen lebt.

Als sich Marie in Tonio verliebt, einen jungen Zivilisten, der zunächst als „Spion“ angesehen wird, entsteht ein Konflikt, der zu den Grundmustern von Belcanto-Opern des 19. Jahrhunderts sowie der französischen Operette gehört, die sich nach Donizettis Tod entwickelt. Tonio tritt als Soldat in das Regiment ein. So schafft er die Voraussetzung für eine Heirat mit Marie, da sie nur einen Soldaten der Truppe ehelichen darf. Die Marquise de Berkenfield nimmt Marie in ihre Obhut, die ihrer „Tante“ schweren Herzens in das Schloss folgt. Dort soll sie die Etikette des Adels erlernen, um standesgemäß heiraten zu können.

Tonio, inzwischen zum Offizier aufgestiegen, findet heraus, dass Marie in Wahrheit die Tochter der Marquise aus einer unehelichen Verbindung und so die Grundlage für eine adlige Heirat nicht mehr gegeben ist. Die Marquise gibt nach. Dem lieto fine der Oper steht nichts mehr im Wege.

Die Inszenierung des spanischen Regisseurs Emilio Sagi überlässt dem Spirit des Werks und ihrem komödiantischen Esprit den absoluten Vorrang. Während der programmatischen Ouvertüre über die Strecke von gut sieben Minuten bleibt der Vorhang geschlossen. Zum reinen, bisweilen kokett-satirischen Vergnügen gestaltet Sagi die Darstellung des Militärs. Dadurch relativieren sich einige Textpassagen, sofern man die Belobigung des Krieges durch die Soldaten nicht gleich als Ironie auffasst. Ein hübscher Gag ist die Phalanx der Adligen, die der eigentlich zu erwartenden Hochzeit in Gestalt von berühmten Opernfiguren ihre Aufwartung machen. Unter anderen angekündigt werden Floria Tosca samt Mario Cavaradossi, Adriana Lecouvreur und ein Wanderer samt Augenklappe, der vom Publikum unter Gelächter erkannt wird.

Die zur Duisburger Premiere entworfene Ausstattung macht auch heute unverändert Eindruck. Der kolumbianische Künstler Fernando Botero hat seinerzeit bei der Ausgestaltung von Bühne und Kostümen die Chance voll ergriffen, seine spezielle Ästhetik der Darstellung des Menschen und allen Menschlichens in übersteigerten Proportionen in die Konvention einer Opernaufführung zu übertragen. Es ist ein Ansatz, der heute zum Beispiel in der prononcierten Betonung von curvy models in TV-Shows aufgegriffen wird.

Im ersten Akt wird der Marktplatz eines Fleckens in der Tiroler Hochgebirgslandschaft von einer überdimensionierten weiblichen Skulptur überragt, aus der man auf die exponierte Rolle der Marie als einzige Frau des Geschehens zu Beginn schließen kann. Den zweiten Akt im Schloss der Marquise lässt Botero in einem Salon mit rustikalen Lüstern und einer Fensterrückwand spielen, hinter der eine weitere curvy figure auf lüsterne Blicke von der Bühne oder auch aus dem Publikum wartet.

Boteros Idee des vollen Menschheitsprogramms setzt sich in den Kostümen fort. Die Sängerdarsteller agieren in mit Schaumstoff angereicherten Kostümen, was kurioserweise zur Aufhebung von Klassenschranken führt. Die Soldaten sind wie die Adligen gleich übergewichtig. Dass der Herzog von Crakentorp, mit dem die Marquise Marie verheiraten möchte, und der Sergeant Sulpice mit einem Enbonpoint ausstaffiert sind, ist gewiss nachvollziehbar. Dass aber Tonio, der gerade seine ersten Sporen im Regiment verdient, sich als dicklicher Militär präsentiert, ist schlicht unglaubwürdig.

Opernspezialisten sind in den beiden Titelpartien der diversen Einspielungen des Werks auf Schallplatte und CD vor allem Joan Sutherland undLuciano Pavarotti, Edita Gruberova und Deon von der Walt sowie Nathalie Dessay und Juan Diego Flórez ein Begriff. Klammert man diese Best-of-Besetzungen aus, präsentiert die Rheinoper mit Sophia Theodorides und Konu Kim zwei Sängerdarsteller, die durchaus überzeugen können, wenn auch auf recht unterschiedliche Weise. Die aber in den Ensembles ohne Chor an Brillianz verlieren, so dem Duett im ersten und dem Terzett zusammen mit Sulpice im zweiten Akt.

Ohne Zweifel, die Partie der Marie ist mit den verlangten Spitzentönen in der bel étage des Koloraturgesangs, dem Wechsel zwischen den burschikos-robusten Elementen, dem rokokoaffinen Schäfergesang und den Pastelltönen der verletzlichen Seele dieser jungen Frau eine der anspruchsvollsten Donizettis überhaupt. Die deutsche Sopranistin beherrscht diese komplexe Partitur sicher. Freilich mit Einschränkungen. Die Gipfelhöhen von Donizettis Arien und Kavatinen erklimmt sie mühelos und mit prächtigem Stimmvolumen. Hingegen klingt sie in der Mittellage merkwürdig verhalten, fast zurückgenommen.

Als Tonio ist der koreanische Tenor in jedem Augenblick mit schöner melodischer Linie präsent, auch wenn ihm für das Spiel der Gefühle mitunter einige Nuancen fehlen. Betörend, mit silbrigem Metall in der Stimme, meistert er das Bravourstück der Oper, die Kavatine Ah! mes amis mit ihren ominösen neun hohen C.

Die dritte Aufführung im Rahmen der Wiederaufnahme ist Teil einer Serie von Terminen, die noch bis in den September reichen. Es ist nicht falsch, jeden dieser Abende mit Blick auf Theodorides und Kim quasi als neue Premiere zu verstehen. Sind sie doch Neubesetzungen, insofern bei der Duisburger Wiederaufnahme im April dieses Jahres andere Sängerdarsteller aufgeboten worden sind. Wünschenswert wäre es, in den weiteren Proben zu dieser Produktion, womöglich auch für kommende Projekte beider – gern L’elisir d’amore - an der Justierung der Balance zu arbeiten, die Donizetti in Sonderheit mit dem Duett Quoi! Vouz m’aimez? im Miteinander und Verschmelzen beider Stimmen wünscht.

Wenn Kim mit der Wucht seiner Stimme Theodorides förmlich zudeckt und die Sopranistin sich erst in den Gipfelhöhen daraus wieder befreien kann, geht das auf Kosten dieses besonderen Belcanto-Formats.

Der Bassbariton Günes Gürle stattet Sulpice mit schönem Timbre und mitfühlender Mimik aus. Die Marquise der Mezzosopranistin Susan Maclean geht am Stock, was aber auf keinen Fall symbolisch für ihre gesangliche und spielerische Leistung stehen kann. Die kalte Noblesse und die schneidende Arroganz der Herzogin drückt sie mit Wonne aus. Valentin Ruckebier macht als Haushofmeister Hortensius eine gute Figur.

In weiteren Rollen arrondieren Sander de Jong als Le Duc und Žilvinas Miškinis als Le Caporal das Personentableau vorzüglich. Cécile Tallec ist in der köstlichen Gesangsstunde am Flügel eine zupackende Pianistin. Die Duchesse de Crakentorp ist aus unerfindlichen Gründen mit einem Mann besetzt. Florian Simson singt zwar nicht, bringt aber das Publikum mit einer kurzen komödiantischen Szene im Slapstick-Stil hinter sich. Die Düsseldorfer Symphoniker unter der musikalischen Leitung von Antonino Fogliani stellen einmal mehr ihre Belcanto-Qualitäten unter Beweis. Hier durchmischt mit Trommel, Tambour und Trompete, die die operettenhaften Elemente der Partitur akzentuieren. Eine Wucht ist der Chor in der weiblichen wie insbesondere der männlichen soldatischen Phalanx in der Einstudierung von Gerhard Michalski.

Die Besucher im nicht ausverkauften Haus jubeln allen Mitwirkenden anhaltend zu. Es ist schön zu sehen, dass den einzelnen Gruppen – Orchester, Chor, Sängerensemble – nach und nach und ohne Hast Vorhänge ermöglicht und gewidmet werden. Ist Kunst Vergnügen und Vergnügen Kunst, darf und sollte sie sich auch Zeit nehmen können.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright: Jochen Quast

 

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