Die Szene der Pandora: Unausgereifte Inszenierung einer Regienovizin sucht Zuflucht im Tanz

Xl_macbeth_predieri_alvise_06 © C: Alvise Predieri

Macbeth Giuseppe Verdi Besuch am 3. September 2023 Premiere

Oper Essen

Die Szene der Pandora: Unausgereifte Inszenierung einer Regienovizin sucht Zuflucht im Tanz

Für die Spielzeit-Eröffnung 2013 im Essener Aalto-Theater wählen Intendant Hein Mulders und Generalmusikdirektor Tomáš Netopil in der Nachfolge von Stefan Soltesz Giuseppe Verdis Macbeth. Die Inszenierung besorgt David Hermann. Zehn Jahre später ist es erneut das düstere Melodramma, mit dem die Intendantin Merle Fahrholz zu Beginn ihrer zweiten Spielzeit Erwartungen in die Saison 2023/24 weckt und dem Premierenpublikum Andrea Sanguineti als neuen Generalmusikdirektor vorstellt, der allerdings durch zahlreiche Essener Dirigate der letzten Jahre kein Unbekannter ist.

Anders als 2013, als Hermann mit der Kinderlosigkeit von Lord und Lady Macbeth einen zumindest diskutablen psychoanalytischen Ansatz wählt, den Krysztof Warlikowski in diesem Sommer in Salzburg ebenfalls aufgreift, erlebt das Premierenpublikum eine Inszenierung, die weder der Rezeption des Verdi-Vierakters noch dem Renommee des Essener Theaters gerecht wird.

Fahrholz hat sich vorgenommen, Opernkomponistinnen sowie Regisseurinnen zu größerer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Ein Vorhaben, das prinzipiell absolut nachvollziehbar ist. Was aber nicht auf Anhieb zu verstehen, geschweige plausibel sein dürfte, ist ihre Entscheidung, die 23-jährige Emily Hehl mit der Inszenierung von Verdis zehnter Oper zu betrauen. Hehl ist im Revier durch ihre szenische Mitarbeit an Bernard Langs Der Hetzer nach Verdis Otello in Dortmund in Erscheinung getreten und dadurch Fahrholz verbunden.

Die Vorschusslorbeeren für sie lassen sich als Beispiel für innovative Courage bewerten, die den Opernbetrieb von heute durchaus voranbringen kann. Sie lässt sich allerdings auch als programmiertes Risiko deuten, mit unliebsamen Folgen insbesondere für ein das Abonnementsystem tragendes Publikum. Eben dies geschieht, gleichsam besiegelt durch anhaltende heftige Buh-Rufe nach dem Schlussvorhang für das Szenische, die sich mit dem ebenfalls lautstarken Beifall für das Musikalische fast die Waage halten.

Verdis erste Oper nach einem Schauspiel von William Shakespeare ist im Italien vor 1850 ein Wagnis, wie sich auch an der verhaltenen Aufnahme des Dramas mit dem Libretto von Francesco Maria Piave bei der Uraufführung 1847 in Florenz zeigt. Bemängelt werden der fehlende Liebeskonflikt und die marginalisierte Rolle des Tenors.

Für Regisseure ist die Geschichte um Macht, Schuld und Sühne gleichwohl seitdem eine Fundgrube zur Erprobung von Ideen und Projektionen. In der Mailänder Eröffnungsinszenierung zur Spielzeit 2021/22 transformiert Davide Livermore den Blick in die Abgründe der Natur des Menschen in die Glitzerwelt heutiger Megacitys aus Glas und Beton, in der der Raubtierkapitalismus unterwegs ist.

Im Theater Duisburg der Deutschen Oper am Rhein fokussiert Michael Thalheimer im zeitlichen Umfeld des russischen Angriffs auf die Ukraine Verdis Bearbeitung von Shakespeares archetypischer Tragödie auf das Psychopathologische der Figuren. In der kriminellen Aneignung der Macht sieht er die Gewissheit ihrer Zerstörung durch eine neue verbrecherische Macht. Thalheimers Idee, die Protagonisten in ihrer Verblendung zu zeigen, in der sie buchstäblich nicht sehen, ergänzt die Ausstattung eindrucksvoll. Henrik Ahr entwirft einen Bühnenraum, dessen Struktur Skateboarder als Halfpipe kennen. Ein in Schwärze getauchtes überdimensionales stählernes Becken, in dem zu verenden droht, wer ungewollt dort hineinrutscht.

Hehl, wohl die jüngste, die je am Aalto eine Produktion auf die Bühne gebracht haben dürfte, verfolgt durchaus eine Idee. Sie sieht in der Angst das Zentrum des Stücks und die handlungstreibende Kraft in dem unterschiedlichen Umgang der Figuren mit ihr. Um diese zu entlarven, zerrt sie die Protagonisten förmlich ins Licht. Verwehrt sie ihnen die Dunkelheit, in der sich das Grauen verdeckt ausbreiten kann. Folgerichtig zeigen sich zu Beginn die Hexen, für Verdi neben der prima donna und dem Bariton Macbeth die „dritte Hauptrolle“, in weißen Kostümen unter hellem Licht. Verrat und Mord sollen gnadenlos dem Licht ausgeliefert sein, das Frank Evin verantwortet.

Auch die Ausstattung von Frank Philipp Schlößmann und Emma Sophie Gaudiano bietet den Edlen und Militärs, den Barden und Erscheinungen am Hof Duncans keine Winkel, um unterzutauchen. Zu sehen ist vorn ein Stück Wiese mit bereits verdorrtem Grün, hinten eine anfänglich schwarze, im vierten Akt weiße Wand. Hehl versetzt Macbeth in einen geschlossenen, klinisch weißen Raum, aus dem es kein Entrinnen gibt. In dem Macbeth den Tod seiner Frau beobachtet und das Publikum dem Scheitern des durch Mord zum König aufgestiegenen Feldherrn zusieht. Tuche mit fleischfarbenen Motiven, die von der Decke herabhängen, geben mehr Rätsel auf als Antworten.

Abgesehen von der recht bemühten Annäherung an die schwarzen Charaktere der Lady und des Feldherrn, die sich unmittelbar und ohne großen intellektuellen Aufwand aus dem Libretto Piaves ableiten lassen, hapert es an einer wirklich tragfähigen Regieidee. Für zwei Schlüsselszenen komponiert Verdi Ensembles im Walzerschritt. So in der Bankettszene des zweiten Akts, in der Macbeth, der Mörder, in heuchlerischer Art die Abwesenheit seines Freundes Banco bedauert. Verdis Kompositionen folgen bis zu Aida dem von Paris vorgegebenen Trend, tänzerische Momente in die Partitur zu integrieren oder gleich komplette Ballettmusiken zu verfassen. Gut nachzuvollziehen an der überarbeiteten musikalischen Fassung inklusive Ballettmusik, die Verdi1865 für Paris verfasst und die in Essen zum Zuge kommt.

So bietet es sich förmlich an, Elemente des Tanzes in die Bewegungsarchitektur auf der Bühne zu integrieren. Hehl geht allerdings einen Schritt weiter und öffnet die Büchse der Pandora. Sie verlagert den Schwerpunkt ihrer Inszenierung auf den Tanz und fügt Tänzerinnen vom Aalto-Ballett in das Handlungsgerüst ein. Die Choreografie von Agata und Teodora Castellucci bezieht auch noch den gesamten Chor ein. In der Folge ist es um die Inszenierung im Sinne der Theaterdramaturgie geschehen.

Die Tänzerinnen wie die Frauen und Männer des Chores ringen und fuchteln mit den Armen. Man umschlingt sich, wirft sich zu Boden, bildet eine Masse, Konturen einer Skulptur, die sich wieder auflöst. Köpfe wackeln in einer Weise, die an schlecht laufende Kurse in Fitnessstudios denken lassen. Choristen in der ersten Reihe werden von Chorsängerinnen in der Reihe dahinter so malträtiert, dass man Genickprobleme befürchten muss. Den Gipfel bilden drei Tänzerinnen, die sich verrenken und in abstoßende Zuckungen verfallen, wie sie mit bestimmten Krankheiten, etwa Epilepsie, einhergehen. Dann simulieren sie unter hellen oder dunklen Tüchern emotionale Imaginationen, die alles und nichts bedeuten und das unausgereifte Unterfangen einer Inszenierung über volle drei Stunden in eine Ödnis abrutschen lassen, die der vor dem Wald von Birnam gleichen könnte.

Nicht nur ermangelt es generell einer konzeptionellen Personenführung. Zu beobachten sind auch Mängel im Detail. Im ersten Teil der Arie Una macchia è qui tuttora im vierten Akt - ein Beispiel - steht die Lady, von Visionen gequält, am äußersten linken Bühnenrand. Außen links sitzende Besucher können sie Minuten lang nicht sehen, nur hören, bis sie sich langsamen Schrittes somnambulisch in die Mitte bewegt, um verzweifelt das imaginäre Blut an ihren Händen abzuwaschen.

Eine Macbeth-Inszenierung kann noch so missglücken. Verdis Musik mit ihren revolutionären Abweichungen vom damaligen Kanon der klassischen italienischen Oper, ihren gespenstischen Wirkungen, dem rhythmischen Furor und den Wahnsinnsausbrüchen der Hauptfiguren findet immer ihr Publikum. So auch im Aalto, vornehmlich dank der von Sanguineti inspiriert geführten Essener Philharmoniker, auch wenn es jenseits der Verdischen „Grundorgel“ an Nuancierungen in den Tutti-Passagen fehlt. Weiterhin dank des von Klaas-Jan de Groot einstudierten Chores, der die ihm übertragene „dritte Hauptrolle“ voll ausfüllt. Spritzig als Spukgestalten zu Beginn mit ihren Weissagungen. Wehmütig und patriotisch als Geflüchtete mit Patria oppressa! Il dolce nome.

Mit der Premiere zur Spielzeiteröffnung stellen sich drei neue Mitglieder des Ensembles vor. Überzeugen können der Bass Sebastian Pilgrim, der einen kernigen Banco singt, und Alejandro del Angel, der als Macduff die einmalige Chance nutzt, mit der Tenorarie Ah, la paterna mano sein wohlklingendes Timbre zu präsentieren. Als Lady Macbeth fällt dagegen die armenische Sängerin Astrik Khanamiryan ab. Verdi verlangt eigentlich einen Mezzo oder einen dunkel gefärbten Sopran, um die Dämonie der Lady zur Geltung zu bringen. Der Sopran Khanamiryans liegt hoch, bringt dann auch gleißende Spitzentöne hervor, die aber beim Abstieg in die Mittellage an Ausdruck einbüßen. Überdies irritiert ein streckenweise unangenehm störendes Vibrato, ein Effekt, der durch die choreographischen Pflichtübungen dieser Lady noch verstärkt wird.

In der Titelpartie „versöhnt“ der Gast und Bariton Massimo Cavalletti, der die psychotischen Seelentäler des Macbeth mit anrührendem Spiel und warmem Melos in der Tiefe durchwandert. Den Monolog vor der Ermordung des Königs sowie seine flehentliche finale Arie Pietà, rispetto, amore baut er zu vokalen Seelenbekenntnissen aus, die entfernt an Glanzstücke des Belcanto erinnern.

Die Oper Essen setzt die aktuelle Spielzeit Ende September mit dem Musical My fair lady fort. Ein Schelm, wer sich dabei maliziöse Gedanken leistet.

Dr. Ralf Siepmann

C: Alvise Predieri

 

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