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BARI/ Teatro Petruzelli: „La mia vita è il tuo bacio!“ – TURANDOT

„La mia vita è il tuo bacio!“ – Turandot am Teatro Petruzzelli, Bari. Aufführung vom 16.09.2023

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 Es war einmal, in einem gar nicht so fernen Land am Meer, dass sich die Brüder Onofrio und Antonio, beide erfolgreiche Kaufleute und Schiffbauer, dazu entschlossen, ihrer Heimatstadt ein Opernhaus zu bauen. Das Vorhaben gelang und nach seiner Eröffnung 1903 war das Teatro Petruzzelli nicht nur das größte Opernhaus Apuliens. Es wurde zu einem wichtigen kulturellen Zentrum Italiens, konnte Auftritte von Legenden wie Herbert von Karajan, Luciano Pavarotti, Riccardo Muti und Rudolf Nureyev veranstalten und selbst ein Brand im Jahr 1991 konnte es nicht zerstören, da die Bürger von Bari ihr Theater wieder aufbauten und mit einer Aufführung von Puccinis Turandot den szenischen Spielbetrieb 2009 wieder aufnahmen. Nun zeigt das Petruzzelli eine Neuinszenierung von Turandot, die in jeder Hinsicht Maßstäbe setzt: Paul Curran konnte als Regisseur gewonnen werden, der auf jedweden Regietheater-Schnickschnack in der Auslegung des Stückes verzichtet und Turandot als das inszeniert, was sie ist. Ein fabelartiges Märchen, eine Geschichte von Gut und Böse in der am Ende die Liebe, trotz allem erlittenen Leid tatsächlich siegt. So folgt er hier ebenfalls in seiner Personenführung ganz althergebrachten Formen, Calaf ist der heldenhafte Prinz, der vollkommen der betörenden aber gefährlichen Schönheit Turandots verfallen ist, welche durch ihre Kälte und Grausamkeit an die Gnadenlosigkeit einer Gottesanbeterin erinnert. Das gelingt außerordentlich gut, denn diese Hauptfiguren enden nicht in langweiligen Klischees, sondern werden in greifbarer Weise als ambivalente Charaktere gezeichnet, deren Handlungen intrinsischer Motivation entspringen.

Mikheil Seshaberidzes Calaf ist dabei tatsächlich mit Haut und Haaren der Prinzessin verfallen, reflektiert aber sehr wohl, welches Risiko er nicht nur eingeht, wenn er sich anschickt, die drei Rätsel zu beantworten. Er versteht, daß er den Willen der Prinzessin nur dann brechen und sie zu seinen Gunsten überzeugen kann, wenn er ihr die freie Wahl lässt und ihr schließlich von sich aus seinen Namen nennt. Es wird wohl immer das ungelöste Rätsel der Turandot bleiben, warum Puccini erst Liù sterben ließ, um Calaf dann im Anschluss seinen Namen an Turandot zu verraten. Tatsächlich gelingt es Herrn Seshaberidze, seinen Calaf dabei so zu gestalten, daß er zum Ende der Geschichte derjenige ist, der das Heft des Handelns nun vollkommen in der Hand hat und Turandot so von sich zu überzeugen weiß. Ein Mann der Tat also, der auch noch durch seine silbern klingende Stimme nicht nur in der legendären Arie „Nessun dorma“ fabelhaftes leistet. Klar, harmonisch, mystisch funkelnd sitzt sein Calaf ohne kantig zu werden. In einwandfreiem Legato steigert er sich dann gezielt von Akt zu Akt, meistert die berühmte Arie dann nicht nur tadellos, sondern verwandelt sie in ein Vorspiel zum eigentlichen Finale und stellt klar, daß es der Kuss der Turandot ist, der das Gute und die Liebe siegen lässt: La mia vita è il tuo bacio! So soll ein Calaf sein, tiefsinnig, ohne Plattitüden und Affektiertheit, dafür lyrisch, elegant und edel – Bravo, bravissimo, Mikheil Seshaberidze!

Und gleiches gelingt Maria Cristina Bellantuono, deren Turandot eine Grausamkeit auf die Bühne bringt, die fast erschaudern lässt. So schneidend wie das Schwert des Henkers ist ihre Stimme in „in questa reggia“ bei den Worten „E quel grido, traverso stirpe e stirpe qui nell’anima mia si rifugiò!“ so daß wir tatsächlich den leidenden Schrei ihrer Ahnin spüren können. Die Rache, die sie dafür an allen Männern nehmen will, ist hier keineswegs zu einem feministisch-aktivistischen Akt verkommen, sondern folgt ihrem innersten Bedürfnis, um ein erlittenes Unrecht zu heilen. Dass sie dabei selbst neues Unrecht erzeugt, entschwindet zunehmend ihrer Wahrnehmung, so sehr ist sie von der guten Sache eingenommen und überzeugt. Das Entsetzen, welches sich auf Ihrem Gesicht widerspiegelt, als Calaf auch das dritte Rätsel errät ist unendlich, niemals hätte sie es für möglich gehalten, daß ein fremder Mann sie besiegen könnte und so das Unrecht ihrer Vorfahrin ausgerechnet ihr selbst erneut in abgewandelter Form widerfährt. Frau Bellantuono gelingt hier eine grandiose schauspielerische Leistung und auch stimmlich meistert sie den schmalen Grat, die schneidende Schärfe der Turandot nicht ins Schrille abdriften zu lassen. Es ist erfreulich, daß Frau Bellantuono noch am Beginn ihrer Karriere steht, die Turandot bereits in einer so umwerfenden Art und Weise beherrscht und wir uns somit auf noch viele vielversprechende Auftritte freuen dürfen. Brava, bravissima, Maria Cristina Bellantuono für eine Turandot, die uns in ihrer Kälte erst frösteln und dann in ihrem Lieben dahinschmelzen lässt!

Die Figuren von Ping, Pang und Pong sind leider oft vernachlässigte Rollen, die dann meist schleißig besetzt werden und den Beginn des zweiten Akts zu einer etwas mühsamen Sache mit ausgeprägten Längen machen. Nicht an diesem Abend: Mit Jungmin Kim, Blagoj Nacoski und Massimiliano Chiarolla haben sich hier drei erstklassige Sänger gefunden, die mit viel Freude, Leidenschaft und ausgeprägtem Können ihre Rollen gemeinsam gestalten. Der erste Akt wird hier zu einer an große Varieté-Abende erinnernde Show-Einlage, deren Unterhaltungswert dann bewusst ins Absurde abdriftet. Denn das vergnügliche Miteinander der drei Beamten ist lediglich eine Ablenkung von der grausamen Realität am Hofe Altoums, die durch das Schlachten der Turandot geprägt ist. Und schnell stellt sich heraus, daß es sich bei allen dreien nicht nur um exzellente Schauspieler handelt, sondern auch um erstklassige Sänger. Nie gleiten sie in Slapstick ab, bleiben also der Würde ihrer Rollen gerecht, stimmlich harmonieren sie in polierter Eleganz miteinander, lassen nobel ein ebenfalls herrliches Legato fließen und zeigen somit in allen Dimensionen die Absurdität von Turandots Handeln ebenso auf, wie den aufkommenden Widerstand gegen dieses Regime der Gewalt. Bravi, bravissimi i signori, das war eine wunderbare, kluge und wunderbar anzuhörende Bereicherung dieses ohnehin phantastischen Abends!

Als wären dies nicht bereits genügend Superlative, legt Rocio Ignacio mit ihrer Interpretation der Liù noch eine Schippe drauf. Bereits im ersten Akt setzt sie mit „Signore ascolta“ einen ersten Höhepunkt, der von herausragender Qualität ist. Was dann aber mit „Tu che di gel sei cinta“ im dritten Akt folgt, ist von solch einer herausragenden Emotionalität und gesanglich so rein und klar, daß es uns völlig in andere Sphären entführt. Für einen Moment ist es, als wären wir entführt in die innerste Gefühlswelt Liùs, in eine Welt, die von Verzicht geprägt ist und in der all die Liebe, die sie selbst für Calaf aufbringt, nur mit Leid und Schmerz beantwortet wird. All ihre Mühen um den erblindeten Vater des Prinzen, all ihre körperlichen Entbehrungen und Schmerzen sind umsonst und dennoch ist sie bereit für Calaf in den Tod zu gehen. Diese bedingungslose Liebe wird von Frau Ignacio so berührend, feinfühlig und voller Intensität interpretiert, daß sie tatsächlich das ganze Haus damit erschüttert – großer Zwischenapplaus nach ihrer Arie und dem Tod der Liù und auch nach dem Vorhang zu Recht zahlreiche Brava für Frau Ignacio, denen wir uns nur voll und ganz anschliessen können: Bravissima!     

Zu diesem gesanglichen Hochfest kommt dann noch das außerordentliche Dirigat Renato Palumbos. Das ist natürlich keine Überraschung, da er als ausgewiesener Experte des Verismo und der italienischen Romantik definitiv der richtige Mann für dieses Stück ist. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch daran, wie wir im Dezember über Puccini Werke an den Berliner Häusern berichteten und das Phänomen des Deutschen Klangs erwähnten. Der Einfluss seiner Berliner Jahre war bei Herrn Palumbo auch heute zu bemerken, es scheint als würde er jede Note fein sezieren und neu zusammensetzen. Jede kleinste Flöte ist hier hörbar, von fast stillschweigenden Pianissimi bis hin zu ohrenbetäubenden Fortissimi zaubert er hier ein Klangbild voller phantastischer Farben, eben ein klangliches Märchen und entführt uns in das antike China. Auch wenn wir Turandot schon unzählige Male gesehen und gehört haben, scheint es, als wäre es heute Abend das allererste Mal, so majestätisch, eindringlich und kraftvoll entfaltet sich Puccinis Werk unter dem Dirigat Maestro Palumbos. Und das Orchester des Petruzzellis leistet hier eben meisterliches und mit feinster italienischer Grandezza erleben wir einen Puccini, wie er eben nur in Italien gelingen kann. Bravi, bravissimi!

Ein märchenhafter Abend also, der darüber hinaus auch märchenhaft ausgestattet war, denn für die Kostüme zeichnet der legendäre Modedesigner Roberto Capucci verantwortlich! Flankiert von riesigen weißen Origami Figuren, die einerseits mit Lichteffekten bespielt und andererseits in allen Dimensionen der Bühne verschoben werden, kreiert er phantasievolle Kostüme, die zwar einzelne Elemente der chinesischen Kultur zitieren, gleichzeitig aber farbenfroh und expressiv eine ganz eigene, neue Fabelwelt kreieren. So sehen wir Turandot in einer halbmondartigen Jacke im zweiten oder im dritten Akt in einer ausufernden Abendrobe, die uns zwangsläufig an Floria Tosca erinnert. Das Schwert des Henkers erweckt den Anschein eines orientalischen Szepters, Ping, Pang und Pong tragen fast an Science-Fiction erinnernde, glänzende Kostüme und das Corps de Ballet trägt magisch anmutende Kostüme, die alle Farben des Regenbogens zitieren. Herrn Capucci gelingt es somit, eine Turandot zu schaffen, die zwar dem historischen Rahmen der Geschichte gerecht wird, ohne jedweden Kitsch aber eine neue Phantasiewelt erzeugt. Bravo, bravissimo für dieses Werk, grande bellezza wie wir sie aus Italien eben kennen und lieben.

Es war also durch und durch ein Märchen, dem wir an diesem Abend in Apulien beiwohnen durften, ein unglaubliches Fest für alle Sinne, fast wie ein nicht enden wollender Rausch, gleich einem fernöstlichen Parfum, voller Mystik, Pracht, Magie und wahrscheinlich die beste Turandot, die wir bislang erlebt haben – Bravissimi tutti!

E.A.L

 

 

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