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INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN. Premiere

24.09.2023 | Oper in Österreich

Innsbruck: „DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN“ – 23.9.2023 – Ein zauberhafter Opernabend

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Fata Morgana (Agnes Zwierko) verflucht den Prinzen (Alexander Fedorov) © Birgit Gufler

Die Inszenierung von Sergej S. Prokofjews Märchenoper „Die Liebe zu den drei Orangen“ wurde als großes Spektakel angekündigt – und übertraf alle Erwartungen. Jasmina Hadžiahmetović (Regie), der gemeinsam mit Katharina Duda (Dramaturgie) die Leitung der Sparte Musiktheater des Tiroler Landestheaters in die Hände gelegt wurde, trägt mit Fantasie, Humor, skurrilem Witz und immensem handwerklichen Können dazu bei, dass man den Start der neuen Intendanz unter Irene Girkinger als fulminant bezeichnen darf.

Mit Prokofjews Werk, das Ende 1921 in Chicago in französischer Sprache uraufgeführt wurde (in Innsbruck sang man aber auf Deutsch), hatte man ein Stück gewählt, mit dem sich mehr oder weniger das gesamte Musikpersonal des Hauses präsentieren konnte: das Ensemble der Sängerinnen und Sänger mit vielen neuen Gesichtern, ebenso der neu aufgestellte Chor und Extrachor des Landestheaters (einstudiert von Michel Roberge) und die Statisterie, die fast pausenlos im Einsatz ist, und natürlich das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck, geleitet von Matthew Toogood.

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Intrigenschmiede: Erwin Belakowitsch (Leander), Abongile Fumba (Smeraldina) und Bernarda Klinar (Prinzession Clarice) © Birgit Gufler

Was bietet diese Oper? Wie Katharina Duda in ihrem vorzüglichen Einführungstext zusammenfasst, ein nahezu unglaubliches Gemenge an Figuren: einen depressiven Prinzen, einen König, einen tollpatschigen Hofnarren, Intriganten, seelenvergiftende Verse, Teufel, Hexen, bessere und schlechtere Magier, Hohlköpfe, Fresser, Säufer, Ratten, Schafe, echte und falsche Prinzessinnen, Kartenspiele, Kaktusse und wandelnde Orangen. Manche Figuren sind offenbar der „Commedia dell’arte“, dem italienischen Volkstheater, das heute noch in Fasnacht und Carnevale weiterlebt, entsprungen, andere erinnern in ihrer Charakteristik an Mozarts „Zauberflöte“. Sie alle wurden von Mechthild Feuerstein augenzwinkernd in bunte, detailreiche, liebevoll gestaltete Kostüme gesteckt.

Und außerdem ist Prokofjews Oper, in deren Mittelpunkt ein Thronerbe steht, der das Lachen wieder lernen und sich allerhand Gefahren stellen muss und dabei von bösen Kräften bekämpft und wohlwollenden Geistern unterstützt wird, auch ein Theater über das Theater. Zu Beginn verhandeln verschiedene Gruppen darüber, welches Stück überhaupt gespielt werden muss, und der Chor ist nicht nur Statist, sondern auch Publikum, das aktiv ins Geschehen eingreift.

Was liegt nun näher, als den Publikumsraum auch als Bühne zu nutzen? Jasmina Hadžiahmetović setzt diese Idee mit größter Konsequenz um. Die Oper beginnt mit einer prologartigen, von einem Bläserensemble des Tiroler Landeskonservatoriums untermalten Tanz-Performance (Choregrafie: Marcel Leemann), die das Publikum geschickt in den Saal des Großen Hauses lotst, und ehe der Vorhang hochgeht, hat die Vorstellung schon begonnen, mitten im Parkett. Der König, begleitet von allerhand Personal, bejammert den Zustand seines Sohnes und heult sich ab und an an der Schulter einer Zuschauerin aus. Confetti und Papierschnipsel fliegen durch die Luft und verhängen sich im Haar so mancher Besucher*innen. Gespielt wird überall, auch auf den Rängen, und im ersten Teil erscheinen die Protagonist*innen von allen Seiten und aus allen Richtungen. Die Wirkung ist stark, denn einerseits singen die Darsteller*innen in greifbarer Nähe und andererseits spürt man, wie sehr diese die Nähe zum Publikum genießen, sich sogar zu Stegreifspiel hinreißen lassen.

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Oliver Sailer als böse Köchin © Birgit Gufler

Die Bühne selbst, beziehungsreich und fantasievoll gestaltet von Paul Zoller und Loriana Casagrande, wechselt kunstvoll zwischen kräftiger Simplizität und märchenhafter Ausweitung. Zwei Theaterklappstühle bilden – naheliegenderweise – den Thron, in der Enge der rechten Feuerleiter schmiedet das Intrigantenpaar (erotisch) verwerfliche Pläne, aber dann entschwinden der Prinz und der Hofnarr in die Weitläufigkeit einer kaktusbepflanzten Wüste, und die Küchenhöhle der hexenartigen „Köchin“, die aus dem Boden hochfährt, ist ein hässlicher, grindiger Schädel. Die Bühne ist aber auch der Ort der Übergänge mit varietéhaften Tanznummern. Man bewundert die Reibungslosigkeit der Abläufe und die immer wieder aufblitzende Tiefgründigkeit des Spaßes, der nie zu reinem Klamauk verkommt.

Ein Wort zur Musik von Prokofjew: Sie ist genial, geprägt von bestechender Rhythmik und einer Palette aus wunderbar zusammengemischten Klangfarben, einzigartig in ihrer Mischung aus Expressivität, Dissonanzenreichtum und impressionistischer Lyrik. Es überwiegt zwar ein deklamatorischer Stil mit Hang zu ausgeprägter, auch grotesker Bildhaftigkeit, doch der leitmotivische, wunderliche Marsch schleicht sich ins Gemüt, wird zum Ohrwurm und am Ende, beim choreografierten Schlussapplaus, zur begeisternden Mitklatschnummer des Publikums. Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter Matthew Toogood hat die Partitur großartig im Griff, spielt packend, und als einmal ein Einsatz „vernebelt“ wird, ist es der Dirigent selbst, der die Musik pfeift! Ein Konzept der Spontaneität und Improvisation ist wohl ansteckend.

Wer Opernsängerin oder Opernsänger wird, ist auch eine „Rampensau“ und wächst vor Publikum über sich hinaus. Und wer beim Gesang nicht in blendende Scheinwerfer, sondern in staunende Gesichter blicken darf, wähnt sich am Puls der Kunstvermittlung. Insofern sind die überragenden sängerischen und darstellerischen Leistungen auch aus der spürbaren Auftrittsfreude erklärbar. Johannes Maria Wimmer ist ein perfekter, klangstarker König, ein voluminöser Bass, der stimmlich schön und präzis die Aspekte seiner Rolle auslotet. Dies gilt ebenso für den in allen Lagen leuchtenden Tenor Alexander Fedorow, der als Prinz das daumendrückende Publikum auf seiner Seite hat. Auf der Seite der Bösen stehen die gekonnt auftretende Mezzosopranistin Bernarda Klinar als machtgierige Prinzessin Clarice, der schauspielerisch umwerfende und stimmlich versierte Erwin Belakowitsch als Intrigant Leander und Agnes Zwierko als mondäne, ausdrucksstarke Hexe Fata Morgana. Ein Lob verdient sich auch die köstlich spielende Sopranistin Abongile Fumba als falsche Prinzessin Smeraldina. Sie gehört dem Chor an, gibt hier aber eine Kostprobe ihres solistischen Könnens ab. Oliver Sailer mit seiner herrlichen Bassstimme ist gleich in drei Rollen zu sehen: als Herold, Farfarello und böse Köchin.

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Ein Hofstaat © Birgit Gufler

Die guten Geister, das sind der differenziert singende und darstellerisch hervorragende Sascha Zarrabi als Hofnarr Truffaldino, Benjamin Chamandy als köstlicher Möchtegern-Magier und der beeindruckende Bariton Nikita Voronchenko als Pantalon, eine Art Hofzeremonienmeister. Unter den drei Prinzessinnen in der Orange verdursten Federica Cassati und Anastasia Lerman eindrucksvoll zu früh und verbleibt im strahlend-vitalen Glanz ihrer Stimme Annina Wachter (Prinzessin Ninetta).

Thomas Nußbaumer

 

 

 

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