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Foto: Sandra Then

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Staatsoper Hannover: Kaputte Welt und kein Erlöser bei Richard Wagners „Parsifal“

Vorspann / Teaser

Thorleifur Örn Arnasson zeigt in Hannover radikal, wie es ganz sicher nicht weitergehen darf.

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    Das „Bühnenweihfestspiel“ „Parsifal“ war ein Jahr vor seinem Tod Richard Wagners letztes musikdramatisches Werk (1882), das nach seinem Willen nur in Bayreuth aufgeführt werden durfte. Bis heute besteht diese außerordentliche Diskrepanz zwischen dem zum Teil überwältigenden Wunder seiner Musik und dem Inhalt, jener krausen Mischung aus christlichen Erlösungsmythen, fernöstlicher Philosophie, politischem Weltentwurf und unverhohlener Frauenfeindlichkeit. Parsifal, der seine Herkunft nicht kennt, gerät zwischen die Welten der Gralsritter und des bösen Zauberers Klingsor, der diese bekämpft, weil sie ihn wegen seiner Unkeuschheit nicht aufgenommen haben. Dazwischen huscht Kundry herum, wegen uralter „Schuld“ beiden Gruppen hörig. Die Regisseure sind vor unlösbare Aufgaben gestellt: kritisiert Wagner diese geradezu reaktionäre Welt oder bejaht er sie kurz vor seinem Tod? Sieht er sich gar als Parsifal?

    Auch in der mit Spannung erwarteten neuen Inszenierung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arrnasson an der Staatsoper Hannover wird das nicht ganz klar – muss es auch nicht. Denn der preisgekrönte Regisseur – nächstes Jahr wird er in Bayreuth „Tristan und Isolde“ inszenieren – entscheidet sich mit der Darstellung der Gralswelt nicht für eine „heilige“, sondern für eine kaputte. Zwar tragen die ermüdeten Gralsritter Hörner wohl als göttliches Symbol, aber abgestorbene und verkohlte Bäume müssen beatmet werden, Gerümpel liegt ebenso herum wie undefinierbare technische Geräte (Bühne: Wolfgang Menardi), eine liebliche Karfreitagsaue gibt es nicht. Bühnenbild und Kostüme (Karen Briem) sind aus alten, vorhandenen Materialien nachhaltig hergestellt.

    Eine Uhr läuft mit, zunächst einmal korrekt, dann fängt sie an zu spinnen, läuft rückwärts, springt in die Zukunft: „Zum Raum wird hier die Zeit“ wird Parsifal belehrt. In roter Leuchtschrift läuft das Wort „obey“ neben ähnlichen mit, der abtrünnige Klingsor ist derselbe Sänger wie der todwunde Amfortas – was wohl bedeutet, dass beide in zwar verschiedenen, aber letztendlich vergleichbaren Obrigkeitssystemen leben: Klingsors Sklavenmädchen in Einheitsklamotten schreiben dieselben Wörter an die Wand. Parsifal hat keinen Schwan abgeschossen, sondern sich selbst und damit seine Kindheit getötet. Denn er wird es sein – der Kleine ist oft anwesend schaut sich an, wie das Leben so ist –, der den Speer zurückbringt und nicht nur Kundry tauft (die aber sofort wegrennt und sich ihr eigenes Leben aufbauen wird), sondern auch einige andere Gralsritter und damit nicht in der Lage ist, ein neues, ein freiheitliches, ein Leben ohne Bürde abzuschaffen, sondern es einfach weiterführt.

    Sie räumen und räumen, aber es ändert sich nichts.

    Bevor Parsifal den Speer zurückbringt, sprengt eine Aufräumtruppe die Bühne, um alles Gewesene wegzuräumen. Sie räumen und räumen, aber es ändert sich nichts. Parsifal ist nicht der erwartete Erlöser, sondern führt das System, das letztendlich die ganze Erde und die Menschen tötet, weiter. Aktueller kann man es kaum machen und Arnasson überlässt zu Recht uns die Entscheidung darüber, wie Wagner das gemeint hat. Spielanweisungen in der Partitur wie „nicht schleppen“, „nicht pathetisch“ oder auch „nicht zu langsam“: als ob Wagner misstrauisch ist, falsch verstanden zu werden.

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      Großes leisteten die Sänger: Marco Jentzsch als Parsifal, Michael Kupfer-Radecky als Klingsor und Amfortas, und Shavleg Armasi als geschwätziger, aber immer auch beruhigender Gurnemanz, und Daniel Eggert als sterbender Titurel. Irene Roberts als sehr kluge, allesdurchschauende Kundry. Alle Stimmen lagen wunderbar harmonisch im Orchesterklang, Aussprache und Deutlichkeit waren immer wieder Wagners Vorstellungen. Die musikalische Leitung wurde absurd ausgebuht, für mich künstlerisch vollkommen unverständlich. Denn was das niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Stephan Zilias da leistete, war mehr als hörenswert: diese verführerische Musik findet einen in vielen Richtungen differenzierten Ton zwischen Schönheit – zu brutalsten Ereignissen –, Druck, Hoffnung, Angst, Erlösung und immer wieder mit großen Generalpausen auch Meditation. Immer wieder auch holt den Zuschauer auch das Gefühl zwischen Überwältigtsein und Wunsch nach Distanz ein. Verdient, dass das Orchester neben dem trefflichen Chor im großen Schlussbeifall der fünfeinhalbstündigen Aufführung – indem die Buhstimmen verstummten – auch auf der Bühne stand.

      • Die nächsten Aufführungen: 03.10.2023 15:00 bis 20:35 Uhr, 08.10.2023 15:00 bis 20:35 Uhr, 15.10.2023, 15:00 bis 20:35 Uhr, 22.10.2023 15:00 bis 20:35 Uhr, 31.10.2023 15:00 bis 20.25.

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