„Die Frau ohne Schatten“ in der Oper Köln stürmisch gefeiert

Oper Köln /FRAU OHNE SCHATTEN/Lise Lindstrom/Foto © Matthias Jung

Ein Ehepaar war schon zum vierten Mal in „Die Frau ohne Schatten“ in der Kölner Oper. Die bildstarke Inszenierung des als schwierig aufzuführen geltenden Werks und die überwältigende musikalische Umsetzung durch das riesig besetzte Gürzenich-Orchester, den Chor der Kölner Oper mit Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik und das hochkarätige Ensemble unter der Leitung des Dirigenten Marc Albrecht eröffnete immer wieder neue Facetten einer der märchenhaftesten Opern der gesamten Opernliteratur. Selbst wer, wie ich, „Die Frau ohne Schatten“ noch nie live gesehen hatte, erkannte die Bedeutung dieses Meisterwerks für unsere Zeit aufgrund der durchdachten Inszenierung von Katharina Thoma im Bühnenbild von Johannes Leiacker mit faszinierenden Kostümen von Irina Bartels.(Rezension der besuchten Vorstellung vom 29.09.2023)

 

Eine so große Oper mit 4 1/4 Stunden Aufführungsdauer mit zwei Pausen, also Wagnerschen Dimensionen, ist der ideale Auftakt für die hoffentlich letzte Spielzeit im Provisorium „Staatenhaus“ am Tanzbrunnen. Wenn die Bauplanung eingehalten wird, soll der Riphan-Bau am Offenbachplatz im November 2024 endlich wieder eröffnet werden.

„Der Dichter Hugo von Hofmannsthal und der Komponist Richard Strauss waren das ideale Künstlergespann auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Hier der feine symbolistische Analytiker der Gesellschaft, dort der geniale Tonkünstler und Dirigent, dessen Musiksprache scheinbar gar keine Ausdrucksgrenzen kannte,“ so liest man in der Ankündigung der Oper. Zweifellos ist „Die Frau ohne Schatten“ die anspruchsvollste, dichteste und reichste Partitur des Dreamteams Hofmannsthal – Strauss. Der Komponist selbst betrachtete sie zeitlebens als sein wichtigstes Werk, das 1919 nach Kriegsende in Wien uraufgeführt wurde. Das Libretto mit den zahllosen symbolistischen Metaphern war kurz vor dem Ausbruch des I. Weltkriegs 1914 fertig, 1915 dann die Komposition. Diese Oper spiegelt wir keine andere die (soziale) Krise ihrer Zeit wider, die Inszenierung schlägt aber auch den Bogen in unsere Welt und stellt die zentrale Frage nach der Verantwortung der Welt von heute für die Welt von morgen.

Oper Köln/FRAU OHNE SCHATTEN/Daniela Köhler, Irmgard Vilsmaier, Lise Lindstrom/Foto © Matthias Jung

Wie auf dem fliegenden Holländer, auf dem Besitzer des Rings in Wagners „Ring des Nibelungen“ und auf Rigoletto liegt auf der Kaiserin ein Fluch. Sie ist die Tochter des Geisterfürsten Keikobad, ein hybrides Wesen, das sich von einer weißen Gazelle in eine Frau verwandelt hat, nachdem der Kaiser diese Gazelle erlegt hat. Sie muss sich das Menschsein erst verdienen, denn sie wirft keinen Schatten, eine Metapher dafür, dass sie keine Kinder bekommen kann, weil sie kein richtiger Mensch ist. Nach einem Jahr Liebesglück mit dem Kaiser drängt die Zeit. Sie hat keinen Schatten.

Diesem Hohen Paar gegenüber steht das niedere Paar, Färber und Färberin, die sich an allen Höhen und Tiefen des Lebens abarbeiten. Als titelgebende Frau ohne Schatten ist die Kaiserin ein Geisterwesen, die der Färberin den irdischen Schatten abhandeln muss, um ein Mensch zu werden. „Gelingt dies innerhalb von drei Tagen nicht, wird der Kaiser zu Stein. Fast scheint der magische Handel zu gelingen, doch sowohl die Kaiserin als auch die Färberin erleben Versuchung und Prüfung, die sich aus diesem Handel ergeben, erkennen die Verantwortung und widersetzen sich aktiv dem scheinbar Unvermeidlichen,“ – so die Oper Köln in ihrer Ankündigung. Die Erlösung von diesem Fluch gelingt auf überraschende Weise.

Mehr als die Hälfte der Fläche für Bühne und Orchester wird vom mit 136 Musikern einschließlich Celesta und Glasharfe besetzten Gürzenich-Orchester eingenommen. In der Mitte zwischen Orchester und Bühne steht der Dirigent Marc Albrecht, Experte für spätromantische Musik, der einen Klangrausch entfaltet, ohne die Sängerinnen und Sänger zuzudecken. Der von Rustam Zamedov einstudierte Chor der Oper Köln und Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik in der Einstudierung von Oliver Sperling und Eberhard Metternich gestalteten die kurzen Chorszenen wie den „Chor der ungeborenen Kinder“ kongenial.

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker, eine weiße geschwungene Treppenlandschaft auf der ein massiver grauer Naturstein steht, ermöglichte mit Hilfe von Videoprojektionen (Georg Lendorff) rasche Szenenwechsel und erinnert mich an Böcklins „Toteninsel“. Mit Hilfe der Amme begibt sich die Kaiserin in das Menschenreich und versucht, der Färberin ihren Schatten abzuhandeln. Als sie erkennt, dass sie damit die Färberin ins Unglück stürzen würde, opfert sie ihr Leben als Mensch und das des Kaisers und gewinnt dadurch Menschlichkeit und Erlösung, ein Motiv, das auch Richard Wagner immer wieder aufgegriffen hat. Die Kaiserin erreicht den menschlichen Zustand durch die Erkenntnis, dass die Achtung für andere menschliche Wesen wichtiger ist als selbstsüchtiges Glück, und dadurch, dass sie gewillt ist, sich und ihren Gatten für zwei andere zu opfern. So befreit sie jene beiden ebenso wie sich selbst und ihren Gatten von dem Fluch.

Die Inszenierung von Katharina Thoma zeigte ihre feinsinnige psychologische Durchdringung des hochkomplexen Stücks und setzte die Regieanweisungen Hugo von Hofmannsthals präzise um. So ermöglichte sie auch Zuschauern, die das Stück noch nie gesehen hatten, das in der Oper postulierte Gebot der Humanitas wahrzunehmen. Glück kann nicht erkauft werden durch das Unglück anderer! Die Kostüme von Irina Bartels verdeutlichten die soziale Stellung der Personen. Besonders die Jogginganzüge aus buntem Polyester, die Baraks Brüder trugen, Billigstkleidung der Unterschicht, und das transparente blumenbestickte Kleid der Kaiserin machten die extreme soziale Ungleichheit greifbar.

Die Besetzung war hochkarätig, überwiegend in Rollendebuts.

Oper Köln/FRAU OHNE SCHATTEN/Chor der Oper Köln, AJ Glueckert, Daniela Köhler/Foto © Matthias Jung

AJ Gluckert ist (noch) kein schwerer Heldentenor, umso berückender gelangen ihm die lyrischen Passagen des Kaisers. Daniela Köhler debütierte mit ihrem wundervollen lyrisch-dramatischen Sopran als hybrides Fabelwesen, das sich aus einer weißen Gazelle in eine zauberhafte junge Frau verwandelte. Ihre Spitzentöne sind überirdisch schön, die Darstellung ihrer Wandlung in eine empathiefähige Frau, die einen Schatten wirft, überzeugte.

Die hochdramatische Sopranistin Lise Lindstrom, die die Färberin schon seit neun Jahren weltweit verkörpert, machte die Plackerei und Unzufriedenheit dieser einfachen Frau greifbar. Mit Mut zur Hässlichkeit keifte sie mit ihrem Mann und seinen Brüdern und ließ sich um ein Haar von der Erscheinung eines Jünglings, typgerecht verkörpert von Bryan Lopez Gonzalez, verführen.

Ihr Mann Barak, der Färber, ist der einzige, der einen Namen trägt, alle anderen sind stilisierte Typen. Jordan Shanahan machte aus dieser Rolle einen wirklich humanen und optimistischen Menschen, der schließlich mit seiner Frau dem Verderben entgeht. Die Szenen der Ehe des Färberpaares wirkten absolut lebensecht, Shanahan brachte die Genügsamkeit eines einfachen Mannes, der sich sehnlichst Kinder wünscht, anrührend auf den Punkt. Die Amme, Ingrid Vilsmaier, ist eine wirklich hochkarätige Mezzosopranistin mit einer an allen Lagen homogenen Stimme, die die mephistophelische Verschlagenheit dieser Verführerin greifbar machte.

Oper Köln/FRAU OHNE SCHATTEN/Chor der Oper Köln, AJ Glueckert, Giulia Montanari/Foto © Matthias Jung

Der Falke und die Hüterin des Tempels wurden von der silbrig hellen Stimme Giulia Montanaris geprägt. Die drei Brüder Baraks – Ralf Rachbauer als Buckliger, Insik Choi als Einäugiger und Christoph Seidl und der Geisterbote Karl-Heinz Lehner sowie die übrigen Rollen waren aus dem Ensemble der Oper und aus dem Opernstudio typgerecht und opulent besetzt.

Es ist eine beglückende Ensembleleistung und ein großer Wurf der Regisseurin, die ein klares Bekenntnis zur Humanitas ablegte und nebenbei noch mit dem Bild der abgeworfenen Altkleider unser postkoloniales Verhältnis zu den Ländern der Dritten Welt problematisierte.

Eine fraglos sehens- und vor allem auch hörenswerte Produktion einer als fast unspielbar geltenden Oper, die in der vierten Vorstellung mit der schwelgerischen Musik von Richard Strauss richtig rund und beglückend wirkte. Wir wollen diese Oper noch einmal sehen, um weitere Feinheiten dieser Produktion zu genießen. Sie hat eindeutig Suchtpotential und bietet Opernglück.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Köln/FRAU OHNE SCHATTEN/Statisterie der Oper Köln, Daniela Köhler/Foto © Matthias Jung

 

 

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Ein Gedanke zu „„Die Frau ohne Schatten“ in der Oper Köln stürmisch gefeiert

  1. Eine großartige Besprechung, die ausführlich alle Details schildert und auch die musikalische Seite gebührend berücksichtigt!
    Danke, war selbst in der Premiere am 17.09., werde Aber nochmals die (leider) letzte Aufführung am 11.10. besuchen!

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