„SALOME“ am Musiktheater im Revier – Allein das Mondlicht bricht die Dunkelheit

MiR/SALOME/Yevhen Rakhmanin, Philipp Kranjc, Susanne Serfling, Khanyiso Gwenxane, Lina Hoffmann/Foto @ Pedro Malinowski

Richard Strauss‘ Oper SALOME, 1905 am Königlichen Opernhaus Dresden uraufgeführt, ist eine kongeniale Verbindung von Text und Musik. Strauss, der seine klangmalerische, die Abgründe menschlicher Psychen ausleuchtenden, Musik beisteuerte und der Operntext nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung (Dt. Übersetzung von Hedwig Lachmann), der diesem Werk die so klare, oftmals unheilvoll ehrliche und düstere, Sprache verlieh. Beides zusammen sorgt für die beklemmend wirkende Wucht auf das Publikum. Und über die soll es auch in dieser Rezension über die Gelsenkirchener Neuinszenierung der SALOME gehen. Manuel Schmitt führte Regie und füllte die Bühne in unheilschwangeres Schwarz. Einer Farbe, die nichts Gutes erhoffen lässt, die aber unaufhörlich darauf hindeutet, dass das Ende der Geschichte in tiefster Dunkelheit enden muss. Die erwähnten „Abgründe der menschlichen Psyche“, die Verderbnis, die Verkommenheit und der letztlich daraus resultierende Wahn der Salome in eine für sie unerfüllbare Liebeswelt, finden in Schmitts Personenregie ihren Widerklang. Es kann einfach nichts Gutes aus Schlechtem für Salome entstehen, wenn sich das Umfeld und die sie umgebenden Menschen in Unmenschlichkeit, Egoismus und Bösartigkeit verharren. Schmitts Personenregie und Julius Theodor Semmelmanns Bühnenbild haben all das vermittelnd gezeigt. Düster beginnt die Oper Salome und düster endet sie auch mit Herodes Befehl: „Man töte dieses Weib!“. Aber wenn sie so wie in Gelsenkirchen auf die Bühne gebracht wird, durchbricht der lautstarke Publikumsjubel jede fahle Düsternis. (Rezension der besuchten Vorstellung v. 30. September 2023 – Premiere 23. September 2023)

 

Zumeist erwarten die LeserInnen einer Opernrezension zu Beginn eine eingehende Zusammenfassung der Regie. Oder vielleicht auch nicht? In diesem Falle, der Rezension einer SALOME, habe ich mich aber entschlossen, nach eingangs einführenden Sätzen über die Regie zunächst über die ausführenden Sängerinnen und Sänger auf der Bühne und über das Orchester, der Neuen Philharmonie Westfalen und den musikalischen Leiter des Abends, GMD Rasmus Baumann zu berichten. Schliesslich sind sie alle es, die jedem Opernregiekonzept ihre Stimmen und ihre Musikalität verleihen und so, wie im Falle der gestrigen Aufführung im Musiktheater im Revier, zu einer für das Publikum ergreifenden Einheit werden lassen. Regisseur Manuel Schmitt durfte sich dabei auf ein bestens aufgelegtes Sängerensemble stützen, welches bis in die kleinsten Partien wieder einmal mehr die Qualität des Gelsenkircheners Opernhauses unterstrich. Erwähnenswert vielleicht auch noch: Die Oper Gelsenkirchen hat diese Inszenierung mit einer Übertitelungsanlage ausgestattet. Aber es war fast unnötig, bei der hervorragenden Textverständlichkeit der Protagonisten auf der Bühne. Nicht nur bei den Hauptpartien der Oper, aber hier in besonderem Maas.

Das musikalische Ensemble

MiR/SALOME/Susanne Serfling/Foto @ Pedro Malinowski

Die Sopranistin Susanne Serfling als Salome ist schlichtweg ein Glücksgriff. Wie sie die Rolle der Prinzessin am Hofe des Herodes darstellte, war in höchstem Maße facettenreich und zudem sehr überzeugend. Bereits als sie zum ersten Mal die Bühne mit den Worten „Ich will nicht bleiben. Ich kann nicht bleiben. Warum sieht mich der Tetrarch fortwährend so an mit seinen Maulwurfsaugen unter den zuckenden Lidern? Es ist seltsam, dass der Mann meiner Mutter mich so ansieht“ betritt, zeigt sie die innere Zerrissenheit einer sehr jungen Frau, die mit den unmoralischen Gepflogenheiten an diesem Königshof in höchstem Maße hadert. Fast kindlich wirkend, spielt Serfling diese ersten Szenen. Und kindlich-naiv wirkt sie, wenn sie zum ersten Mal die Stimme und die moralischen Anklagen des Jochanaans hört, der im Kellerkerker des Palastes gefangen gehalten wird. Sie will den Mann sehen, dessen Stimme sie hört. Bestimmend ist sie dabei, später trotzig, aber sie umschmeichelt am Ende dann den Hauptmann der Bewacher, Narraboth, (sehr überzeugend Khanyiso Gwenxane in dieser Tenorpartie), ihr endlich diesen Mann zu zeigen. Susanne Serfling mutiert in dieser Szene dann mehr zu einer Femme fatale und versucht  den Propheten mit ihren Reizen zu umgarnen. Als ihr dies nicht gelingt, zeigt sie als nächste Persönlichkeitsfacette das Gesicht einer frustrierten, zurückgewiesenen und auf Rache sinnenden Frau. Großartig! Ihre Rache soll sein, den Kopf des Jochanaan auf einem Silbertablett präsentiert zu bekommen. Zur Erfüllung dieses perfiden Wunsches willigt sie sogar ein, vor ihrem verhassten Stiefvater Herodes zu tanzen. Sie wusste um seinen Wunsch, dass er das sehen wollte. Auch hier beweist Frau Serfling, wie sehr sie diese Partie der Salome lebt und verinnerlicht hat. Der Tanz der sogenannten sieben Schleier wird zu einer herausfordernden Aufgabe, die Susanne Serfling höchst überzeugend löst. Am Ende bekommt sie ihren geforderten „Preis“. Mit den Worten „Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan. Ich habe ihn geküsst, deinen Mund“ endet auch Salomes Leben. Gesanglich begeistert sie mit strahlkräftigen Höhen, fast diabolischen Sprechgesängen in den Momenten, in denen sie ihre Verachtung für andere ausdrückt und drückt dieser Salome mit einer insgesamt bravourösen Gesangsleistung ihren eigenen Stempel auf. Wie sie die Schlussszene der Salome singt und darstellt, geht tief unter die Haut. Und da war ER wieder: der so oft erwähnte „Gänsehaut-Moment“, von denen Opernbesucher gern und noch lange erzählen. Verdientermaßen großer Applaus und viele Bravorufe für diese künstlerische Leistung des Publikums am Ende für sie.

MiR/SALOME/Almuth Herbst, Martin Homrich/Foto @ Pedro Malinowski

Almuth Herbst, seit der Spielzeit 2009/10 festes und beim Publikum sehr beliebtes Ensemblemitglied des Musiktheaters im Revier, war Herodias! Mit den vielfältigen gesanglichen Ausdrucksmitteln ihres kraftvollen Mezzosoprans und ihrer jahrelangen Bühnenerfahrung zeigte sie diese Opernfigur mit all ihren Bösartigkeiten und ihrer permanenten Eifersucht auf die junge und schöne Tochter eindringlich und auf das höchste nachvollziehbar. Diese Herodias mag niemand, nicht der eigene Mann – nicht einmal die eigene Tochter. Eine solche Partie dann auch noch so überzeugend darzustellen, ist schon große sängerische Kunst. Und Almuth Herbst beherrscht diese Kunst unbestritten. Bravo Almuth Herbst!

Als Herodes zeigte der Tenor Martin Homrich eine Glanzleitung. Von Regie und Kostüme in einen absolut unsympathischen, feisten und dickbäuchigen König gestaltet, schaffte er dennoch den Balanceakt vom einerseits ruchlosen Herrscher hin zu einem am Ende der Oper von Zweifeln und Reue getriebenen Mann. Die Diskrepanz vom äußeren Erscheinungsbild zu seinem so sicheren und fast schon edlem Gesang, gelang ihm vorzüglich. Wie er den lüsternen König darstellte, der immerzu nur unsittliches Verlangen nach seiner Stieftochter Salome hatte, war schlichtweg großartig.

Der Bariton Benedict Nelson ist in Schmitts Inszenierung fast ein Wesen aus einer anderen Welt. Umhüllt von Gewändern, aus denen imaginäre Arme nach Salome greifen, einem Körperanzug, der eigentlich einen alten, krankhaft verfallenen Mann zeigte, war er alles andere als ein männliches Lustobjekt. Aber eben diese Andersartigkeit muss es gewesen sein, die Salome anzog, die ihn für sie zum Objekt der Begierde werden liess. Nelson sang den Propheten mit klarer, sonorer und der Partie eine feste, von seinem Glauben überzeugten Charakter gebenden, Stimme.

Neben dem bereits erwähnten Darsteller des Narraboth, sei hier noch die Darstellerin des Herodias-Pagen erwähnt: Lina Hoffmann, übrigens eine der PreisträgerInnen des Gelsenkirchener Theaterpreises 2023, verlieh ihrer Partie eine besondere Atmosphäre an Ängstlichkeit wie es unter anderem in ihren mahnenden Worten  – Du musst sie nicht ansehn. Du siehst sie zu viel an. Schreckliches kann geschehn – zum Ausdruck kommt. Die Mezzosopranistin verdunkelt dabei ihre Stimme auf eine verhängnisvoll wirkende Weise, die dem Ganzen noch einen besonders unheilvollen Anklang verleiht. Ein wirklich „unheimlich“ überzeugender Auftritt.

Alle weiteren kleineren Partien (Nazarener, Juden, Soldaten, Kappadozier und Sklave) der Oper waren durchweg gut besetzt und fügten sich nahtlos, wie auch die Mitglieder der Statisterie des MiR, in das Geschehen auf der Bühne ein.

Rasmus Baumann führte die Neue Philharmonie Westfalen entschlossen durch die Klangwelten der Strauss’schen Partitur. Seien es die flirrenden, filigranen Töne bis hin zu den wuchtigen Klängen und orchestralen Ausbrüchen dieser Salome. Diesen Abend dürfen Dirigent und Orchester als überzeugenden Erfolg verbuchen.

Regie und Bühnenbild

Manuel Schmitt schuf eine Atmosphäre des Dunklen, des Düsteren. Die Bühne (Julius Theodor Semmelmann / Licht: Patrick Fuchs) war in tiefes Schwarz gehalten. Die einzigen Ausnahmen waren der im Hintergrund überdimensional große und schattig schimmernde Mond und das Verlies des Jochanaan, von dem nur die graue Decke des Gewölbes auf der Bühne sichtbar war. Diese diente auch als Spielfläche, teilte sich aber in dem Moment, wo Salome den Jochanaan sehen wollte und gab den Blick auf den Käfig des Gefangenen frei. Dieser wurde an vier Schlingen hoch gezogen und später wieder hinunter gelassen. Die Kostüme von Carola Volles zeigten das mit Schusswaffen ausgestattete Wachpersonal, als auch die Juden und Nazarener in schwarzen Uniformen und Anzügen. Lediglich Salome, anfangs noch in einem dunklem Mantel umhüllt und später in einem rosafarbigen Kleid, und das Herrscherpaar in standesgemäßen Umhängen, hoben sich von allen ab. Schmitt gab so allen eine gewisse Gleichförmigkeit, die sich dann um so mehr vom Erscheinungsbild des Jochanaan unterschied, der wie ein fremdartiges Wesen, was er auch in dieser unchristlichen Welt des Herodes durchaus auch war, dargestellt wurde. Ausstattung und Bühnenrequisiten deuteten darauf hin, dass diese Salome im vergangenen Jahrhundert an irgendeinem Ort irgendeines kriminellen Herrschers spielte.

MiR/SALOME/Susanne Serfling, Martin Homrich, Ensemble/Foto @ Pedro Malinowski

Schmitt schuf eine packende, nahezu fesselnde Inszenierung der Oper. Besonders in den Szenen der Salome gab es immer wieder spannende, fast elektrisierende Momente. Bei ihrem ersten Auftritt etwa, wenn sie wie ein gehetztes Tier vom Fest des verhassten Stiefvaters in den Raum flieht, in dem die Soldaten und das Verlies des Propheten sind. Oder als sie ihn das erste Mal von Angesicht zu Angesicht sieht. Und ganz besonders in dem Schleiertanz der Salome, den Manuel Schmitt zusammen mit dem Choreografen Tenald Zace so bedrückend  schonungslos inszeniert. Salome wird dabei zum sexuellen Spielball der anwesenden Männer, während Herodes, ihr Stiefvater, geifernd und lüstern dem Treiben zusieht. Aber Salome weis um welchen Preis sie sich diesem unwürdigen Treiben hingibt. Auch das lässt Schmitt die Zuschauer ahnen. Diese Szene ist sicher die beeindruckendste, neben der Finalszene der Salome, des ganzen Abends.

Als Salome das Silbertablett mit dem Kopf des Jochanaan übergeben bekommt, bricht aus ihr der Wahnsinn hervor. Was Manuel Schmitt hier als Regisseur, zusammen mit Susanne Serfling als Salome, darstellen, ist wirklich großes Musiktheater. Salome umkreist den Schädel des Propheten, phantasiert über das, was wohl hätte sein können, beschimpft den Kopf und wirft ihn im Zorn zu Boden. Aber sie erreicht nun das, was sie zu Jochanaans Lebzeiten niemals erreicht hätte: Sie küsst den Mund des Jochanaan. Unter den Klängen des vollen Orchester wird dieser Moment zum Höhepunkt der Oper. Am Ende bleibt Herodes nur noch von hinter der Bühne zu rufen: „Man töte dieses Weib!“ und auf einmal erhellt sich der verdunkelte Mond im Hintergrund und schenkt sein volles Licht der sterbenden Salome. Das Mondlicht bricht die eisige Dunkelheit dieser Welt. Und gibt damit Platz für Hoffnung und Erlösung frei? Das bleibt scheinbar offen. Manuel Schmitt hat mit dieser Inszenierung diese Frage nicht beantworten können, aber er hat das Gelsenkirchener Publikum am gestrigen Abend betroffen und nachdenklich gemacht und es überzeugt.

Nach einigen langen Sekunden der betroffenen Stille brach im leider nicht voll besetzten Haus der Jubel des Publikums aus. Eine sehens- und hörenswerte SALOME-Vorstellung war zu Ende. Weitere werden folgen.

 

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