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Musiktheater
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King Arthur
oder »Let Them Eat Chaos«


Semi-Oper zu einem Schauspiel von John Dryden
Musik von von Henry Purcell (1659–1695)
mit Texten von Kae Tempest (Auszühe aus Let Them Eat Chaos, Übersetzung von Johanna Davids)

in englischer Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)


Premiere im Theater Aachen am 30. September 2023



 

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Schrei nach Liebe um 4:18 Uhr

Von Stefan Schmöe / Fotos: Thilo Beu

Die Welt ist eingefroren in der zentralen Szene von King Arthur. Das ist ein hübscher Anlass, um wirkungsvoll Schnee vom Schnürboden rieseln zu lassen, was immer schön aussieht. Noch wichtiger aber ist die metaphorische Bedeutung: Eine erstarrte Gesellschaft, daraus lässt sich allerlei dramaturgisches Kapital schlagen. In der ersten Produktion der neuen Aachener Intendantin Elena Tzarava setzt Regisseur Marco Štorman genau hier an und kombiniert in einer Gemeinschaftsproduktion von Oper und Schauspiel die "Semi-opera" mit Auszügen aus dem Langgedicht Let Them Eat Chaos von Kae Tempest (*1985). Darin friert sogar die Zeit ein: Punkt 4:18 Uhr sinnieren sieben verschiedene Personen schlaflos über ihre Existenz. So wird King Arthur zu einem Moment der Reflexion über unsere Gesellschaft.

Vergrößerung in neuem Fenster Mit dem Schwert als Zeichen der Macht: King Arthur

Soweit eine ganz interessante Idee. Nur ist die Gattung der englischen "Semi-Opera" eine schwierige Angelegenheit für das moderne Theater. Ein Schauspiel wird durch Musik ergänzt, wobei nicht die eigentlichen Akteure singen (denn die sind ja Schauspieler), sondern meist allegorische Gestalten ohne direkten Bezug zur Geschichte das Geschehen musikalisch kommentieren. In John Drydens und Henry Purcells Werk kämpft der legendäre König Arthur gegen die Sachsen und deren König Oswald, wobei beide Herrscher auch noch um die Gunst der blinden Prinzessin Emmeline buhlen (die sich, wir sind in einem durch und durch englischen Werk, zu Arthur hingezogen fühlt). Unterstützt werden sie durch die Zauberer Merlin und Oswald und die Geister Philidel und Grimbald, und am Ende wird alles gut und endet, natürlich, mit dem Sieg Arthurs und einer Versöhnung der Kontrahenten, wobei Emmeline wieder sehend wird. Soweit Drydens Schauspiel. Henry Purcell steuerte neben Chören und Instrumentalstücken u.a. die Figuren von Venus, Cupido und dem cold genius bei. Štorman deutet das originale Handlungsgerüst mehr vage an, als dass er es ausinszeniert. Stattdessen erinnert er an den Mythos, wonach Arthur das magische Schwert Excalibur aus einem Felsen zieht und damit seine Macht begründet (was in der Oper nicht vorkommt) - Štorman lässt den hier knabenhaften und androgynen Helden (Marlina Adeodata Mitterhofer) ein überdimensionales Schwert vor sich her tragen, unter dessen Last er beinahe zerbricht. Und wie Arthurs Geschlecht hier nicht festgelegt ist, bleibt auch das von Emmeline offen (Darsteller:in Hermia Gerdes wählt als Pronomen "dey" statt "sie" oder "er"). Das ist einerseits ganz dem aktuellen Zeitgeist verpflichtet und greift zudem auf, dass Lyriker:in Kae Tempest eine geschlechtlich nicht-binäre Person ist. Andererseits war das Theater schon immer ein Spiel mit (Geschlechter-)Rollen. Trotzdem bekommt dieses Moment im utopischen Versöhnungsfinale natürlich auch eine politische Bedeutung. Dass der Zauberer Merlin mit einer weiblichen Schauspielerin (Stefanie Rösner) besetzt ist, die zudem vielschichtig, allerdings mit optimierbarer Textverständlichkeit, die Texte von Kae Tempest vorträgt, spielt keine Rolle - für Zauberer aus mittelalterlichen Legenden interessiert sich die Regie sowieso nicht, denn hier geht es um moderne Menschen.

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Gefangen: Emmeline

Demian Wohler hat eine imposante Bühnenskulptur auf die eifrig rotierende Drehbühne gesetzt, die teils an triste Warteräume in nicht mehr ganz so modernen Bürogebäuden erinnert, andererseits an einen Sprungturm im Schwimmbad (und mit ganz viel Fantasie an Frank Lloyd Wrights Falling water-Haus). Darin lassen sich poetische Bilder inszenieren, letztendlich bleibt der Raum aber eher nichtssagend und austauschbar. Dazu wirken die aus dem Zusammenhang gerissenen Textauszüge reichlich phrasenhaft: Die Welt um uns herum geht zugrunde, und wir schauen ungerührt Talkshows, anstatt zu handeln - das in etwa ist die dann doch etwas schlichte Botschaft. Die weicht einigermaßen unmotiviert dem Apell "liebt mehr!", wozu auch noch herzförmige Luftballons im Publikum verteilt werden. Überhaupt reißt Štorman die "vierte Wand" zwischen Bühne und Publikum bereits zu Beginn ein, ein kleines bisschen wenigstens, wenn nämlich bereits beim Betreten des Zuschauerraums Musik erklingt, wenn dann der Chor aus dem Zuschauerraum den Frostchor quasi als inhaltliches Leitmotiv singt und wenn immer wieder mal Musik, teilweise elektronisch verfremdet, durch im Raum verteilte Lautsprecher erklingt. Dazu ahnt man den Willen, Text und Musik als "Material" zu behandeln (was auch Reihenfolge und Auswahl der musikalischen Nummern betrifft). Das ist wohl die Rezeptur des modernen Sprechtheaters.

Vergrößerung in neuem Fenster So seht die Theaterwelt aus, in der Arthur sich behaupten muss.

Es ist natürlich eine Binsenweisheit, dass man es mit der Semi-Opera niemandem recht macht - Opernliebhaber nervt der hohe Anteil an gesprochenem Text, Schauspielfreunde können auf die ständig die Handlung behindernden Musiknummern ganz gut verzichten. Der Verfasser dieser Zeilen bekennt sich zur ersten Gruppe - die Texteinlagen ziehen sich oft zäh hin, und das inzwischen nach Premieren üblich gewordene unkritische Gejohle auch noch für den unbedeutendsten Komparsen ignoriert das Knarzen der Parkettbestuhlung während der Aufführung, weil offensichtlich so mancher Zuschauer gelangweilt auf seinem Stuhl hin und her rutscht. Dabei hat die Regie durchaus ihre starken Momente, vor allem in der Zeichnung der schillernden Charaktere. Štorman besetzt bis auf die bereits genannten Rollen die Schauspiel-Partien mit Sänger:innen, die aber ziemlich gut mit den ihnen anvertrauten Textpassagen umgehen.

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Rezitiert gerne Kae Tempest: Zauberer:in Merlin

Dabei geben die Bässe Tim Knapper als Oswald und Ronan Collett als dessen der Magie mächtigen Adjutant Grimbald klassische handfeste Mannsbilder ab, szenisch wie vokal (aber das sind ja im Stück auch die Bösen). Ihnen gegenüber stehen die Soprane Laia Vallés als jugendlich strahlender Amor und die klar fokussierende Suzanne Jerosme, im Schauspiel Emmelines Dienerin Matilda - aber so genau darf man die Rollenzuschreibung auf dem Besetzungszettel hier nicht nehmen. Ángel Macías steuert einen etwas ungenauen Tenor bei. Chor und Extrachor zeigen sich bestens präpariert (Einstudierung: Jori Klomp), und unter der Leitung von Christopher Ward zeigt das Sinfonieorchester Aachen, dass man für einen "barocken" Klang keineswegs ein Spezialensemble braucht - es ist klangfarblich wie von der Artikulation sehr beachtlich, wie gut Purcells Tonfall hier getroffen wird.


FAZIT

Mehr Purcell und weniger Kae Tempest hätten der Produktion gut getan - die Probleme der Semi-Opera mit ihrer Vermengung von Schauspiel und Oper werden auch in dieser sehr freien Bearbeitung von King Arthur nicht gelöst. Starke Momente, vor allem in den ausgezeichnet gesungenen Passagen, wechseln mit allzu textlastigen und redundanten Szenen, und zum ganz großen Theaterglück fehlen dann auch die großen Bilder, die über manche Banalität hinweghelfen könnten.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christopher Ward

Inszenierung
Marco Štorman

Bühne
Demian Wohler

Kostüme
Axel Aust

Chor
Jori Klomp

Licht
Dirk Sarach-Craig

Dramaturgie
Isabelle Becker


Opernchor und Extrachor
des Theaters Aachen

Sinfonieorchester Aachen


Solisten

Arthur
Marlina Adeodata Mitterhofer

Merlin
Stefanie Rösner

Emmeline
Hermia Gerdes

Oswald
Tim Knapper

Philidel
Suzanne Jerosme

Amor
Laia Vallés

Matilda
Fanny Lustaud

Aurelius
Ángel Macías

Grimbald
Ronan Collett



Weitere Informationen
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Theater Aachen
(Homepage)





Da capo al Fine

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