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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Le nozze di Figaro

Um die Freiheit spielen

(Frankfurt am Main, 1.10.2023) Frankfurts neuer GMD Thomas Guggeis und das Opern- und Museumsorchester finden sich in „Le nozze di Figaro“ bestens aufgelegt zusammen, das Ensemble ist grandios. Und die Inszenierung von Tilmann Köhler betont klug die egalitären Züge des Werks.

vonMichael Kaminski,

Ob bei Christoph Martin Wieland oder Schiller, das Spiel galt Aufklärern und Klassikern als Hebel zur Freiheit. Regisseur Tilmann Köhler lässt Mozart und Da Ponte diese Sichtweise teilen. Denn, wo überkommene gesellschaftliche Schranken und Rollenbilder fragwürdig geworden sind, da lockt die Experimentierlust auf Neues. Selbst Domestiken wie Figaro und Susanna mischen nun mit. Der adlige Hausherr sieht sich ausgetrickst. Sein Spiel, von ihm abhängigen Dienst- und Bauernmädchen – selbstredend unter Betonung seiner adligen Autorität – den Galan vorzuheucheln, zeigt sich gründlich durchkreuzt. Künftig wird auch der Graf nach den neuen Regeln agieren müssen. Selbst für die Frau Gemahlin und ihre im Grund bürgerliche Gefühlswelt besteht nun Hoffnung. In der adligen Dame steckt nämlich noch immer die zivile Rosina mit ihrem Verlangen nach echten Empfindungen und ehelicher Treue. Die Standesschranken zum Dienerpaar sind vorhanden, doch durchlässiger als beim Geburtsadel. Was Figaro und Susanna erlaubt, zu der Gräfin Vertrauten aufzusteigen. Zumal sich der Adel auch hinsichtlich der Kastenzugehörigkeit fragwürdig zeigt. Wenn sich Figaro als Marcellinas Sohn herausstellt, dann zugleich seine Abkunft von Stand.

Szenenbild aus „Le nozze di Figaro“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Le nozze di Figaro“ an der Oper Frankfurt

Leichtigkeit des Seins und Echtheit der Gefühle

Für Köhler durchweben daher egalitäre Züge das Werk. „Als Adam grub und Eva spann“, war entweder niemand oder jeder Edelmann. Wo sich gesellschaftliche Rollen aufzulösen beginnen, da ergreift der entgrenzende Wandel auch die Definition der Geschlechter. Bei Cherubino ist solche Volatilität am Tag. Des „Engelchens“ Erfolg bei den Frauen erwächst aus seiner je nach Situation einen attraktiven jungen Mann oder hübsches Mädchen vorstellenden, doch immer angenehmen Erscheinung. Köhler serviert alles dies leichthändig und immer wieder bis hin zum Tänzerischen und Schwebenden. Die Figuren wissen sich als Spielende. Was tiefere Regungen nicht ausschließt. Der Gräfin Sehnsucht nach einem treuen Gemahl firmiert zugleich unter Strategie und authentischer Empfindung. Die Tür-auf-Tür-zu-Dramaturgie des Werks kommt da gelegen. Wenn die Figuren die Spielfläche verlassen, dann um mit neuersonnenen Finten zurückzukehren. Karoly Risz‘ Bühnenraum besteht denn auch einzig aus Türen. Keine neue, aber eine probate Lösung. Freilich spricht deren öde Holzfurnier-Anmutung ansonsten ebenso von des Gedankens Blässe wie die inflationär und ohne erkennbare Veranlassung in der Gegend herumstehenden Liegestühle. Susanne Uhl kleidet die Personnage in ein bunt-fröhlich augenzwinkerndes mixtum compositum aus gegenwärtigen und Anspielungen auf frühklassizistische Moden.

Szenenbild aus „Le nozze di Figaro“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Le nozze di Figaro“ an der Oper Frankfurt

Stupende Ensembleleistung

Musikalisch grenzt der Frankfurter „Figaro“ an pures Mozart-Glück. Tilman Michael motiviert den Chor des Hauses zu schönstimmiger Frische. Frankfurts neuer GMD Thomas Guggeis und das Opern- und Museumsorchester finden sich bestens aufgelegt zusammen, um aus dem Graben zugleich vital pulsierend und ätherisch zu tönen. Kapellmeister und Klangkörper wissen sich historisch informiert, sie nehmen sich aber Lizenzen weit über die Gestaltungsmöglichkeiten Alter Musik hinaus und scheuen selbst vor romantisierenden Anwandlungen nicht zurück. Da weht ein freier Geist in voller Solidarität mit der Liberalität auf der Bühne. Kihwan Sim ist ein umwerfend präsenter Figaro im vokal vollsten Saft. Aufrührerische Attitüde und sensibelste Nuance, Sim gebietet über beide. Für Susanna wartet Elena Villalón mit leicht ansprechendem, ebenso grazilem wie durchsetzungsfähigen und warm tönendem Sopran auf. Den Grafen Almaviva gibt Danylo Matviienko als eleganten Schwerenöter, der je nach Gusto einmal sein vermeintliches Herrenrecht hervorkehrt, ein anderes Mal seinen Charme.
Bezwingend gestaltet Adriana González eine Gräfin Almaviva, bei der stimmlich hinter dem noblen Habitus immer wieder die unverbildete Rosina von einst hervorlugt. González‘ Piani künden von unerfüllter Sehnsucht nach einem solidarischen und treuen Gemahl. Wendig, flexibel und emphatisch heißt Kelsey Lauritano ihren Cherubino vokal und spielerisch von Blüte zu Blüte flattern und von männlicher in weibliche Garderobe wechseln. Auch alle weiteren Solistinnen und Solisten tragen zur grandiosen Ensembleleistung aus einem Guss bei.

Oper Frankfurt
Mozart: Le Nozze di Figaro

Thomas Guggeis (Leitung), Tilmann Köhler (Regie), Karoly Risz (Bühne), Susanne Uhl (Kostüme), Joachim Klein (Licht), Gal Fefferman (Choreografische Mitarbeit), Tilman Michael (Chor), Kihwan Sim, Elena Villalón, Danylo Matviienko, Adriana González, Kelsey Lauritano, Cecilia Hall, Donato Di Stefano, Magnus Dietrich, Idil Kutay, Franz Mayer, Jerilyn Chou, Rebekka Stolz, Chor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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