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Opern-Kritik: Staatsoper Unter den Linden – Aida

Im Licht verirrt

(Berlin, 3.10.2023) Calixto Bieito, der einstige Regieberserker, setzt in Verdis Ägyptenoper auf die Intimität des Kammerspiels; doch seine „Aida“-Inszenierung verebbt schnell als gewolltes Thesentheater. Zum Glück ist die Besetzung vom Feinsten – und Maestro Nicola Luisotti weiß genau, worauf es bei Verdi ankommt.

vonJoachim Lange,

Für die „Macbeth“-Vorstellung an der Berliner Staatsoper Unter den Linden hatte der neue Berliner Kultursenator sein Fernbleiben noch zum demonstrativen Boykott gegen den Auftritt von Anna Netrebko deklariert. Dabei war das „nur“ eine Wiederaufnahme. Bei der luxuriös besetzten „Aida“-Premiere zur Eröffnung der Staatsopernspielzeit, kurz nach Verkündung der (vorhersehbaren) Barenboim-Nachfolge durch Christian Thielemann, fehlte er einfach so. Jedenfalls sah es für Nicht-Berliner so aus.

Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper
Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper

Ein Abend der starken Frauen

Am Pult der Staatskapelle demonstrierte der Italiener Nicola Luisotti, dass dieses Orchester nicht nur exquisiten Wagner zu bieten hat (wie mit Thielemann), sondern eben auch Verdi draufhat. Also nicht nur mit exemplarischem Triumph zuzulangen vermag, sondern auch das Kammerspiel beglaubigen kann. Dazu kommt eine Besetzung vom Feinsten. Bassurgestein René Pape gibt den beinharten Oberpriester Ramphis grundsolide mit der Attitüde des Großinquisitors. Der Russe Gregory Shkarupa ist ein spielerisch machtverliebter König der Ägypter. Der Italiener Gabriele Viviani lässt als dessen Gegenspieler Amonasro keinen Zweifel daran, auch seine Tochter Aida als Lockvogel für seinen Machtwillen zu nutzen. Das Zentrum des Ensembles bilden freilich die beiden Frauen Aida und Amneris und der Feldherr Radamès, den beide lieben. Dessen Herz schlägt freilich nur für die äthiopische Königstochter, die sich als Sklavin unerkannt in Gefangenschaft der Ägypter befindet. Was man der glitzernden Robe, die sie hier trägt, nicht ansieht. Marina Rebeka ist eine vokal sehr schlanke Aida, die vor allem mit ihrer virtuos eingesetzten Höhensicherheit fasziniert. Sie hat es natürlich nicht leicht, sich gegen eine Amneris wie den Mezzo-Superstar Elīna Garanča zu behaupten. Die hat nicht nur mit ihrer eleganten Gold-Robe und dann mit dem weißen Traumhochzeitskleid bei den Kostümen den Vogel abgeschossen, sondern bekommt auch szenisch jede Möglichkeit, ihre exquisite Eloquenz und Stimmfarbe zu entfalten. Im Grunde ist sie in dieser Inszenierung das vokale Kraftzentrum mit Raum für den großen Auftritt.

Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper
Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper

Kein volles Tenor-Glück

So glänzen die beiden Frauen aus Riga auf ihre Weise an der Spitze des Ensembles. Ein eigener Fall ist der Radamès Yusif Eyvazov. Obwohl sein Aufstieg Fahrt aufgenommen hat, bleibt seine Stimme nach wie vor Geschmacksache. Ihm gelingt zwar eine sichere, kompakt metallische Höhe, seine tieferen Lagen bleiben jedoch gaumig verschattet. Calixto Bieito hat ihm in seiner Inszenierung öfter, als es nachvollziehbar ist, eine Pistole in die Hand gedrückt, mit der er auch schon mal ins Publikum zielt. Die feuert er zwar nicht Richtung Saal ab, seine Stimme aber schon. Am Ende kassiert Eyvazov auch etliche Buhs. Insgesamt war die musikalische Seite dieser Verdi-Premiere zwar keine Sternstunde, aber der Lindenoper angemessen.

Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper
Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper

Im das Beziehungsdreieck Aida-Radamès-Amneris

Die szenische Interpretation von Verdis populärer Ägypten-Oper in die Hände von Calixto Bieito zu legen, ist heute längst kein Beleg für Intendantenmut oder Risikobereitschaft mehr. Die wilden Jahre des Katalanen, in denen eine Premiere auch schon mal an den Rand des Abbruchs geriet (wie 2004 beim legendären Amoklauf in „Die Entführung aus dem Serail“ an der Komischen Oper), sind schon lange vorbei. In Basel hat Bieito vor dreizehn Jahren schon einmal „Aida“ inszeniert. Damals mit allen Blut -und Gewaltexzessen, die seinen einstigen Ruf als Regieberserker begründeten. Dass er sich in der Neuinszenierung nicht wiederholt, spricht zwar für ihn. Aber er vermeidet nicht nur jede historische Folklore oder eindeutige Verortung, sondern versucht, sich erstaunlich schlicht, kammerspielartig an das Beziehungsdreieck Aida-Radamès-Amneris heranzupirschen.

Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper
Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper

Der eigenständige Reiz der Sterilität

Die Bühne von Rebecca Ringst ist betont abstrakt und assoziationsoffen. Sie entfaltet in aller Sterilität einen eigenständigen Reiz, wenn sich die gleißend weißen, beweglichen Deckenelemente zu einer grell leuchtenden Schräge formieren, um dann der Finsternis in dem verschlossenen Grab zu weichen. Wobei das auch nur metaphorische Andeutung bleibt, denn es ist die in ihrer Verzweiflung vielleicht geläuterte Amneris, die Aida auf einer riesigen Flagge ihrer Heimat herbeischleppt und dem an einen Stuhl gefesselten Radamès zu Füßen legt. Letzte Rache oder Liebesbeweis ist nicht so ganz klar. Auch nicht, was die Horrorclowns bedeuten sollen, die immer mal wieder die Szene bevölkern. Den immer heiklen Triumphmarsch bremst Bieito zu einem Thesentheater aus, in dem er unterschiedliche Zeitebenen übereinanderschichtet. Elefanten gibts nur im historischen Hintergrundvideo. Die dem Sieger zujubelnden Ägypter marschieren in der Mode der Uraufführungszeit der Oper auf. Sie werden von modernen Absperrgittern in Schach gehalten, geraten dann aber im Hintergrund gerade noch erkennbar in seltsam verzückte Zuckungen. Andererseits marschieren Frauen im Küchenhilfe-Look mit riesigen Einkaufstaschen auf, während das Hintergrundvideo Kaufrausch vorführt.

Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper
Szenenbild aus „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Berliner Staatsoper

Manche Regieeinfälle hinterlassen Fragzeichen

An der Rampe vor den Absperrungen schleppen Kinder (der Besiegten?) Müllsäcke herbei und sortieren Computer-Müll. Warum dann die wie ein Revuestar gestylte Priesterin jedem der Kinder eine Kalaschnikow in die Hand drückt, bleibt ebenso irritierend wie der Auftritt von Radamès, wenn er im dritten Akt Aida begegnet. Da schleppt er nicht nur Gefesselte mit sich, sondern erschießt einen nach dem anderen, während er mit Aida spricht. Dieses Massaker bleibt nicht nur als solches ohne nachvollziehbare Erklärung, sondern auch, wieso das bei Aida nicht die geringste Reaktion auslöst. Dass die Erschossenen dann einfach aufstehen und die Szene verlassen, wundert dann schon nicht mehr.

Bieito hat sich sicher eine ganze Menge gedacht, aber nur Stichworte als Bilder aneinandergereiht. So wird auch sein zweiter „Aida“-Versuch – diesmal als clean abstraktes Kammerspiel – nicht wirklich zu aufregendem Musiktheater. Sondern zu einer ärgerlichen Enttäuschung.

Staatsoper Unter den Linden Berlin
Verdi: Aida

Nicola Luisotti (Leitung), Calixto Bieito (Regie), Rebecca Ringst (Bühne), Ingo Krügler (Kostüme), Dani Juris (Chor), Grigory Shkarupa, Elīna Garanča, Marina Rebeka, Yusif Eyvazov, René Papę, Gabrielę Viviani, Victoria Randem, Gonzalo Quinchahual, Staatsopernchor, Staatskapelle Berlin

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