Aida, Madama Butterfly, Carmen – Opern aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert zu inszenieren, stellt Theater der heutigen Zeit immer wieder vor Herausforderungen. So durchzogen sind die Werke von orientalistischen, sexistischen und rassistischen Erzählweisen, sodass man schnell Gefahr läuft, diese zu reproduzieren. Die Staatsoper Unter den Linden eröffnet die neue Saison zum Tag der Deutschen Einheit mit einer Aida-Neuinszenierung von Calixto Bieito. Wo der Name des spanischen Regisseurs draufsteht, ist allerdings selten unreflektierter Bühnenbombast drin. Angst, all die überholten Narrative zu reproduzieren muss die Lindenopernintendanz so wenig haben – und doch geht Bieitos Inszenierung auf ganz eigene Art schief. Dabei hat sie noch nicht mal wirkliche Aufreger zu bieten.

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Elīna Garanča (Amneris) und Marina Rebeka (Aida)
© Herwig Prammer

Am Pult zeichnet Nicola Luisotti musikalisch statt dickem Ölgemälde mit feinen Wasserfarben. Gerade im ruhigeren ersten Akt funktioniert das hervorragend. Ab dem zweiten Akt beginnen, um bei der Metapher zu bleiben, einige Farbverläufe zu verschwimmen. Vor allem beim Zusammenspiel von Orchester und Chor strebt an diesem Premierenabend einiges auseinander, was vor allem beim berühmten Triumphmarsch zu Wacklern führt. Mit ein wenig mehr gemeinsamer Erfahrung mag sich das bei den nächsten Vorstellungen aber hoffentlich geben. Auch kostet Luisotti den vollen Dynamikumfang von Verdis zugleich leisester und lautester Oper vor allem in Richtung des Maximums kaum aus, wodurch die Höhepunkte nicht recht zünden wollen. Zum Glück aber klingt Aida leise aus, sodass die transparente Lesart des italienischen Dirigenten eindrucksvoll nachwirkt.

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Marina Rebeka (Aida) und Gabriele Viviani (Amonasro)
© Herwig Prammer

Ganz im Gegensatz dazu tritt Yusif Eyvazov, ausnahmsweise ohne Gattin Anna Netrebko, auf und tut das, was er auch in der Berliner Turandot-Neuinszenierung im vergangenen Jahr tat: eigenbrötlerisch schauen und laut singen. Auch als Radamès hört man den aserbaidschanischen Tenor unterhalb eines dauertönenden Fortes selten. Erstaunlich anrührend ist dennoch das finale Duett in der Grabkammer, das mag aber vor allem an Marina Rebekas sehr natürlicher und jugendhafter Aida liegen. Fremdelt die Lettin zu Beginn des Stückes bei ihrem Rollendebüt als äthiopische Prinzessin noch etwas, kommt die Sopranistin im Laufe des Abends immer besser in die Rolle herein. Auch wenn die dramatischen Glanzpunkte an manchen Stellen nicht in voller Blüte erstrahlen, besticht Rebeka in den lyrischen Passagen durch Natürlichkeit, Schattierung und Farbenreichtum. Man darf auf die weitere Entwicklung ihrer Aida gespannt sein.

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René Pape (Ramphis) und Yusif Eyvazov (Ramadés)
© Herwig Prammer

Lyrisch-weich ist auch die Interpretation von Elīna Garanča, die sich die Rolle als Amneris ganz ihr eigen macht. Mit unvergleichlicher Transparenz zeichnet die Mezzosopranistin das Portrait einer Frau zwischen Überfluss der Dinge und Verzweiflung am Nicht-Geliebt-Werden. Selten hat man eine Amneris nicht nur so verletzlich gesehen, sondern auch gehört. Ob dunkel-tiefe und leise-innige Töne oder fulminanter Forte-Fluch – an diesem Abend gelingt Garanča alles. René Pape als Ramphis gestaltet seine Rolle altersweise und großmütig, während Gabriele Viviani als auch gesanglich brutal-kriegerischer Amonasro brilliert. Grigory Shkarupa komplettiert mit warm-angenehmen Bass als König das Ensemble und hat kostümtechnisch als waffenwütiger Trainingsanzugträger mit Krone aus Patronenhülsen den wohl Kürzesten gezogen – und damit zur Inszenierung.

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Elīna Garanča (Amneris) und Marina Rebeka (Aida)
© Herwig Prammer

Calixto Bieito will in seiner Neuadaption von Verdis wohl bekanntester Oper viel und erreicht damit erstaunlich wenig. Ein weißer Raum, grell beleuchtet, kein Ort zum Verstecken. Aida und Amneris in bunten Pailettenkleidern, die Herren zumeist in Kriegsmontur. Der Chor mal in Plastiktüten gehüllt, dann in Kleidern und Fracks wie aus besten Biedermeierzeiten. Dazu Kinder, die erst Säcke voller Technikmüll über die Bühne schleppen, ehe sie dann die Kabel und Tastaturen, angetrieben von einem dauerpeitschenden Clown, in ihre wertvollen Einzelteile zerlegen, vom reichen Bürgertum nur die leeren Fastfood-Tüten erhalten, und schließlich zu Kindersoldaten werden. Dazu sich stets vermehrende Horror-Harlekine, Waffengefuchtel und Ein-Mann-Erschießungskommando aus Langeweile in Form von Radamès. Währenddessen flimmern punktuell immer wieder Filmsequenzen im Hintergrund: Von kolonialen Großwildjagden, über Kampffliegerangriffe aus dem Spanischen Bürgerkrieg, zu überfüllten Supermärkten in Wirtschaftswunderzeiten und einem kenternden Containerschiff in stürmischen Ozeanwellen.

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Elīna Garanča (Amneris) und Yusif Eyvazov (Ramadés)
© Herwig Prammer

Ausbeutung damals und heute formen den Mittelpunkt der Neuinszenierung. Die unterschiedlichen Ebenen – die Oper an sich, ihre Entstehungs- aber auch die Jetztzeit und vieles dazwischen – zusammenzubringen, scheint das erklärte Ziel des Regisseurs. So werden nicht zuletzt Themen wie Kolonialismus, Nationalismus und Konsumismus zwar angeschnitten, aber nicht ausge- oder aufbereitet. Ohne Zweifel gelingt es Bieito auch in dieser Inszenierung an der Staatsoper Unter den Linden einzelne, ungeheuer bildstarke Momente zu kreieren. Die Waffensegnung im Stile evangelikaler Freikirchen in den Vereinigten Staaten von Amerika oder die mühevolle Rückkehr des blutüberströmten Radamès durch Menschenmaßnahmen und Absperrgitter aus dem Krieg sind nur zwei Beispiele. Doch die Masse der Anspielungen – ob auf Bühne, per Videoinstallation oder per plakativem „Let’s make lots of money“-Banner – lässt am Ende die einzelnen, berechtigten Kritikpunkte an Oper und Gesellschaft verblassen. Bieito wirft ein, belässt es dann aber dabei. Statt zu einer Anklage gegen die Ungerechtigkeiten der Welt zu werden, verkommt diese Aida so zu einer fast karikaturesken Collage, die alle Aussagekraft einbüßt.

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