Aida an der Berliner Staatsoper – zumindest gesanglich interessant

Wenn Amneris triumphiert

Die Staatsoper Unter den Linden eröffnet ihre Spielzeit mit einer enttäuschenden „Aida“ in der Inszenierung von Calixto Bieito, die aber zumindest ein paar vokale Glanzlichter vor allem von Elīna Garanča bietet

Von Roberto Becker

(Berlin, 3. Oktober 2023) Es gab Zeiten, in denen bei einer Inszenierung von Calixto Bieito Aufregung auf allen Ebenen programmiert war. Die exzessive Darstellung von Gewalt war sein Markenzeichen. Immer gewürzt mit kräftigen Statements gegen Auswüchse von Machtmissbrauch aller Art. Das schloss tumultartige Reaktionen im Publikum und türenknallende Proteste ein. Bieito rückte damit jedoch bekannt geglaubten Stücken auf unheimliche Wiese, quasi über die Hintertür der Recherche im Subtext, auf die Pelle. Bei Mozartopern wie der „Entführung aus dem Serail“ oder „Don Giovanni“, aber auch bei Verdis „Trovatore“ gelang ihm das exemplarisch. Bei seiner erste „Aida“ vor 13 Jahren in Basel war er bereits ein Gefangener der selbstproduzierten Erwartungen.

Ein Stadion als Ort des Geschehens, blutverschmierte Gestalten, die gegen ein Gitter prallen und es zu überklettern versuchen, halbnackt zusammengetriebene und erniedrigte Fremde (wie die von Radames besiegten Äthiopier), die mit Früchten beworfen werden und von denen einer von der kriegsberauschten Meute zu Tode geprügelt wird; Kinder, die an Nähmaschinen europäische Flaggen nähen, ein (katholischer) Priester, der einen Knaben am Halsband mit sich herum führt. Am Ende wird Radames lebendig begraben- in einem Erdloch, wie bei einer archaischen Steinigung. Auch hier war all das schon eine Ansammlung von metaphorischen Bruchstücken, die letztlich weder der Liebesgeschichte, noch der Haupt- und Staatsaktion gerecht wurde. Ihr Erregungspotenzial bezog diese Inszenierung aus der Darstellung von Blut und Gewalt.

Wenn Bieito heutzutage immer noch als Skandalregisseur anmoderiert wird, dann ist das eigentlich nur noch eine historische Reminiszenz. An seinem zweiten Aida-Versuch, mit dem jetzt die Staatsoper Unter den Linden die Spielzeit eröffnete, war vor allem die sterile Belanglosigkeit, in der eine nicht wirklich erzählte Geschichte unterging, wenn man so will der Skandal.

In einem meist hell ausgeleuchteten Allerwelts-Bühnenraum von Rebecca Ringst gibt es allenfalls Behauptungen, rätselhafte Rituale. Wie die blutigen Verletzungen, die sich Radames in Vorbereitung auf seinen Feldzug mit einem Dolch selbst zufügt. Dass er dauernd mit einer Pistole herumfuchtelt, ist das eine. Dass er dann aber bei seinem Treffen mit Aida lauter Gefesselte an die Rampe schleift und dann wie nebenbei abknallt, macht keinen Sinn – hatte er doch die Begnadigung der Äthiopier vom König erbeten und durchgesetzt. Noch absurder wie dieses Massaker selbst, ist die Gleichgültigkeit, mit der Aida das Ganze ignoriert.

Der Triumphmarsch ist, zugegebenermaßen, immer ein Darstellungsproblem, beim dem im besten Fall die Distanz zum triumphierenden Pathos der Musik durch die Szene mitgeliefert werden sollte. Dem zelebrierten Sieg der Ägypter über die äthiopischen Invasoren soll schließlich nach dem Willen der herrschenden Priester die Ermordung aller Gefangenen folgen. Bei Bieito sind es Frauen und Männer in der Mode der Entstehungszeit der Oper, die als Ägypter hinter modernen Absperrgittern einem imaginären Triumphzug folgen, der irgendwo in der Ferne des Zuschauerraumes stattfinden könnte. Auf der Bühne sind davon nur ein paar Kinder übrig, die Elektroschrott anschleppen und sortieren. Bis sie zu guter letzt jeder eine Kalaschnikow in die Hand gedrückt bekommen. Warum auch immer. Wenn die Publikumsmassen auf der Bühne in den Hintergrund abgedrängt sind, sieht man nur noch wie sich die Frauen verzückt krümmen. Das ist genauso albern wie die Horrorclowns deren Sinn und Zweck auch im Dunkeln bleibt.

Eingespielte Hintergrundvideos (Videodesign: Adrìa Reixach) bieten einen Mix aus zeitgenössischen Aufnahmen aus afrikanischen Kolonien aus der Entstehungszeit der Oper (inklusive Elefanten), rollende Panzer und Innenansichten von Kaufhäusern. Also Kolonialismus-, Kriegs- und Konsumkritik. Aber mit dem was zwischen den Akteuren und da vor allem zwischen Radames, der (auch im Hinblick auf ihn als Mann) ambitionierten Amneris und ihrer Rivalin Aida passiert, hat das kaum etwas zu tun.

So wie Bieito seine drei zentralen Protagonisten in Szene setzt, mag es ihm vor allem um diese tragisch aufgeladene Dreiecksgeschichte gegangen zu sein. Es liegt nicht nur, aber auch, an Elīna Garanča, dass Amneris diesmal das zentrale vokale und darstellerische Kraftzentrum in dieser Konstellation ist. Attraktiv und machtbewusst im Auftreten ist sie von Kostümbildner Ingo Krügler zuerst in ein exquisites Goldgefließ und dann in einen Traum von Weiss gehüllt. Hier führt eine Sängerin im Vollbesitz ihrer enormen Fähigkeiten vor, was es heißt, eine Rolle zu beherrschen und eine Aufführung zu dominieren.

Zumindest mit ihrer Robe steht die als Sklavin gefangene Aida, von der niemand weiß, dass sie eine Königstochter ist, ihr nicht allzu sehr nach. Jedenfalls nicht in dem Maße, wie es ihre Stellung im Personaltableau vermuten lassen würde. Marina Rebeka besticht mit schlanker, etwas kleinen aber betörend sicheren Höhenflügen, die sie mühelos anschwellen lassen kann. Für diese vokalen Hochseilkunststücke kassiert auch sie zurecht Szenenapplaus.

Der von beiden begehrte Radames Yusif Eyvazov hat es da schon schwerer. Auch er hat zwar offensichtlich seine Fans, die sich nicht an der scheppernden Grobheit seiner Stimme stören, mit der er immerhin stabile Höhen zustande bringt. Aber das gaumig Unsensible, unlyrische seiner Stimme ist immer noch so präsent, wie bei seinem Auftauchen auf den Besetzungszetteln hierzulande. Am Ende kassierte er ähnlich viele Buhs wie das Regieteam. Als Oberpriester Ramphis ist René Pape immer noch Luxus. So wie auch Gregory Shkarupa als König und Gabriele Viviani auftrumpfender Amonasro überzeugen.

Am Pult der Staatskapelle, deren Geschicke künftig in die Hände von Christian Thielmann als Nachfolger ihres Langzeit GMD Daniel Barenboim gelegt wurden, folgt dem Pult Gast Nicola Luisotti willig zu einem solide zupackenden Verdi. Im Gedächtnis bleiben dürfte von diesem Abend vor allem die vermasselte Inszenierung von Calixto Bieito und die erstklassiges Amneris der Elīna Garanča!

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