1. Startseite
  2. Kultur

Rebellen mit Anstand: „Zauberflöte“ am Gärtnerplatz

KommentareDrucken

Daniel Gutmann, Lucian Krasznec, Anna Agathonos, Sophie Rennert, Cornelia Horak
Trau, schau, wem? Papageno (Daniel Gutmann, re.) und Tamino (Lucian Krasznec) werden von den drei Damen (Anna Agathonos, li., Sophie Rennert, 3.v.li., und Cornelia Horak) bedrängt. © Markus Tordik

Ein doppelter Tamino, Generationenkonflikt mit Augenzwinkern, behutsam verheutigte Sprechtexte und Gags ohne Komödienstadel-Alarm: Diese „Zauberflöte“ am Gärtnerplatz ist eine flotte Sache und absolut familientauglich.

In anderen Märchen heißen solche Buben Bastian Balthasar Bux, in Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ zum Beispiel. Teenies, die in eine merkwürdige, sagenhafte Welt geraten. Und wie dieser junge Tamino, Ebenbild des echten Prinzen, anfangs gar nichts kapieren – um am Ende, wenn sich das Mozart-Personal in die Kulissen davongemacht hat, wie zu Beginn auf leerer Bühne allein zu bleiben: War da was?

Der doppelte Tamino, ein hübscher Regie-Kniff ist das, inhaltlich bleibt er fast folgenlos. Immerhin: Josef E. Köpplinger schafft eine Identifikationsfigur. Für die ganz Kleinen, die in dieser „Zauberflöten“-Premiere die Klappsitze des Gärtnerplatztheaters erklettern, und für die anderen, die seit Jahrzehnten fürs Abo zahlen. Hier, in Münchens Volksoper, ist das Stück daheim, das zeigt dieser bejubelte Abend.

Hausherr Köpplinger hat seine Dresdner Inszenierung von 2020 modifiziert und an die Isar geholt. So etwas macht der Intendant ja gern, aber auch Aufgewärmtes kann munden. Zumal Köpplinger den Spagat schafft. Diese „Zauberflöte“ bleibt, fast unangekränkelt von Aktualisierungen, ein Märchen. Und wird behutsam verheutigt: Weniger eine Geschichte über hehre, freimaurerische Werte ist das, sondern eine übers Erwachsenwerden. Ein augenzwinkernder Generationenkonflikt mit wohlerzogenen Rebellen. Als Klimakleber würden die ihr Lösungsmittel selbst mitbringen.

Tamino mit Lichtschwert statt Flöte

Den Sprechtexten hat Köpplinger in seiner eigenen Fassung das Gestelzte ausgetrieben. Alles spielt sich ab in einer teils nächtlichen Wüstenei, später sieht man auf der Leinwand zerstörte nahöstliche Tempel. Die Welt ist aus den Fugen, signalisiert Köpplinger mit Bühnenbildner Momme Hinrichs samt dem Video-Duo Raphael Kurig und Meike Ebert – ohne deshalb in die „Tagesschau“-Oper abzubiegen. Tamino bekommt statt Flöte ein Lichtschwert, den ersten Eindruck von Pamina verschafft er sich per Handy-Screen. Modernismen in homöopathischen Dosen sind das. Die schmeißen sich nicht ran ans jugendliche Publikum, sondern laden es ein.

Dazu läuft die Maschinerie im Schongang. Meist ist die Szene fast leer. Und wenn die Unterbühne nach oben fährt, ist der Effekt umso größer. Die Gags lösen nie Komödienstadel-Alarm aus und werden gern belacht – vom nicht funktionierenden Luftgefährt der drei Knaben bis zum Nachwuchs von Papageno und Papagena, der in Riesen-Eiern über die Bühne wuselt. Auch in Sachen Sexualkunde bleibt also alles familientauglich. Und ehe man sich’s versieht, ist der Abend schon wieder vorbei.

Mit ihren drei Stunden Normalspieldauer ist die „Zauberflöte“ gerade für den Nachwuchs oft eine harte Prüfung. Am Gärtnerplatz wird alles zur hochtourigen, routiniert rhythmisierten und kurzweiligen Angelegenheit. Jede Figur ist glaubhaft, sympathisch und kaum Flachrelief. In der Premierenbesetzung ist Daniel Gutmann kein seifiger, süßlicher, sondern ein (auch vokal) kerniger Papageno mit Schmäh. Wenn er sich „Ein Mädchen oder Weibchen“ herbeiträumt, bekommt er beides zugleich, Stadtviertel-üblich sind das Kerle im Lederrock. Alina Wunderlin bewegt sich als Königin der Nacht in atemberaubend eisigen Höhen. Sophie Mitterhuber ist eine schlankstimmige Pamina, Lucian Krasznec ein präsenter, tenorstarker Tamino, der seinen Mozart-Pegel noch finden wird. Alexander Grassauer könnte als Sprecher mühelos zum Sarastro befördert werden. Doch den gibt Bass-Star René Pape als Dresdner Import, man erinnert sich gern an seine früheren überwältigenden Abende.

Rubén Dubrovsky dirigiert einen Mozart al dente

Die wahre Form eines Hauses zeigt sich ja, wie kleinere Rollen besetzt werden. Mit dem Damen-Trio Cornelia Horak, Sophie Rennert und Anna Agathonos oder Juan Carlos Falcón als aasiger Monostatos schöpft man am Gärtnerplatz aus dem Vollen – was bei der Zweitbesetzung auch der Fall sein dürfte.

Zum flotten Gestus des Abends trägt der Graben bei. Anders als bei seinem „Figaro“ vor einigen Monaten hat der neue Chefdirigent Rubén Dubrovsky den Turbo zugeschaltet. Der Klang ist sehr al dente, das Gärtnerplatzorchester spielt auf alten Trompeten und mit Kesselpauken. Mozart mit Widerhaken, sehnig, ein eng gesteckter Slalom – die Musikerinnen und Musiker gehen reaktionsstark mit. Manchmal wünscht man sich, Dubrovsky würde Mozarts Melos mehr nachgeben – vielleicht wenn der Premierendruck entwichen ist.

Zum „Zauberflöten“-Longseller der großen Schwester bietet diese Produktion eine echte Alternative. Während die Bayerische Staatsoper auf die Magie ihres fast 50 Jahre alten August-Everding-Märchens vertraut, gibt es am Gärtnerplatz eine Charme-Offensive der anderen Art. München verträgt das locker.

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!