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Opern-Kritik: Gärtnerplatztheater – Die Zauberflöte

Mozart-Lichtblick in München

(München, 22.10.2023) Regisseur Josef E. Köpplinger schafft mit seiner neuen „Zauberflöte“ am Gärtnerplatztheater möglicherweise einen neuen Münchner Standard. Ensemble und Orchester setzen musikalische Glanzpunkte.

vonMaximilian Theiss,

Wenn man in einem Theaterraum Platz nimmt, in dem kein Vorhang den Blick auf die Bühne versperrt und diese auch noch bis auf den in flackernder Leuchtreklameschrift platzierten Werktitel komplett leer ist, dann hat man so seine Sorgen. Schmucklosigkeit kann echt langweilen, und der Symbolgehalt flackernder Leuchtreklameschrift wird zu oft und zu gerne bemüht. Eine „Zauberflöten“-Inszenierung, die in angestrengtem Trotz alles Märchenhafte in den Wind schießt, will halt niemand haben. In Josef E. Köpplingers inzwischen dritter Auseinandersetzung mit der Mozart/Schikaneder-Oper bewahrheiten sich diese Befürchtungen keinesfalls.

Der steinige, aber notwendigen Pfad des Erwachsenwerdens

Nachdem ein Heranwachsender als kindliches Tamino-Alter-Ego die Bühne betritt, verwandelt sich diese in die erhoffte und erwünschte Zauberbox. Denn ein bisschen märchenhaft, wenn nicht sogar kitschig darf’s schon sein. Und ein bisschen albern auch, gerade in der Personalie Papagenos, der standesgerecht mit einem eigenen Papagenomobil einfliegen darf. Doch all das ist wie so vieles in der Produktion des Gärtnerplatztheaters aufs Beste dosiert. Daniel Gutmann als Papageno ist weit davon entfernt, der penetrante Hampel-Clown und nervige Tollpatsch an der Seite des schönen Tamino zu sein, sondern präsentiert sich eher als lebensfroher, entspannter (und gutaussehender) Geselle, der auf der Jagd nach dem siebenfachen Sonnenkreis dem Prinzen Tamino nicht nur hilft, sondern ihn eben auch ab und an die Bredouille bringt.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ am Gärtnerplatztheater München
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ am Gärtnerplatztheater München

Die rechte Dosis Albernheit bringen außerdem die drei Knaben mit, die – nicht ganz unüblich für Jungs in diesem Alter – in liebreizender Lustlosigkeit Pamina, Papageno und Tamino den Hals retten. Und um den „schönen Tamino“ noch zu relativieren: Dargestellt von Lucian Krasznec, ist er mit seinem Durchschnittseinerlei aus Hoodie, Bequemhose und einer rein auf den wärmenden Zweck ausgerichteten Jacke die Unauffälligkeit in Person, ein Jedermann-Prinz, der (wie wir alle im Laufe der Zehner- und Zwanzigerjahre) den steinigen, aber notwendigen Pfad des Erwachsenwerdens, des Verlusts der Unschuld, der Desillusionierung, der Aufklärung beschreitet. Ähnlich gestaltet auch Sophie Mitterhuber ihre Pamina als weibliches Coming-of-Age-Pendant.

Licht als prägendes Element

Gerade die Aufklärung, oder vielmehr ihr englisches Pendent, nämlich das EnLIGHTenment, sind das prägende Element von Köpplingers Regie: Immer wieder wird die eher dunkel gehaltene Bühne durch gleißendes, kaltes Neonlicht erhellt, wenn ein weißgewandeter Sarastro mit seiner weißgewandeten Entourage auftritt, wenn Tamino das bezaubernd schöne Pamina-Bildnis in der Hand hält (ein leuchtendes, handygroßes Kästlein) oder seine Zauberflöte (eine leuchtende Stange), wenn Papageno zu seinem Glockenspiel greift (ein leuchtendes, tabletgroßes Kästlein). Der märchenhafte Kontrapunkt zum weißkalten Neon-Enlightenment ist die Welt der Königin der Nacht mit wallenden, aufwändig geschnittenen Gewändern, die die Herrscherin wie auch ihre drei (bezaubernd unsympathischen) helfenden Damen zieren.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ am Gärtnerplatztheater München
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ am Gärtnerplatztheater München

Im rasanten Tempo durch die Partitur

Insgesamt beherrscht ein lässiger, gewitzter Tonfall die Szenerie, der sich in der Musik ganz wundervoll widerspiegelt. In aller Nonchalance und faszinierender Beiläufigkeit jagt das Orchester unter seinem neuen Chefdirigenten Rubén Dubrovsky durch die Partitur, klanglich schlank und zugleich vielfarbig. Sämtliche Darsteller auf der Bühne eint eine bestechende Mühelosigkeit und Perfektion in den rasanten Tempi, deretwegen man zum Beispiel bei den beiden Bravourarien fast schon Mitleid mit Alina Wunderlin als Königin der Nacht hat.

Doch Wunderlin scheint selbst in den aberwitzigen Höhen nicht zu singen, sondern glasklar und glockenhell zu rezitieren. Das Ensemble eint, dass jede Sängerin und jeder Sänger nicht nur in seinen Arien glänzt, sondern gerade im drei-, vier-, fünf-, sechsstimmigen Ensemble musikalische Glanzpunkte setzen. Und René Pape als, nun ja, Stargast des insgesamt recht jungen Sängerensembles repräsentiert mit seiner Tonfülle die Würde des Alters und des Amtes, sowohl als Sarastro wie auch als Bayerischer Kammersänger.

Ein neuer „Zauberflöten“-Platzhirsch in München?

Zum Kammersänger wurde er übrigens vor sechs Jahren nach der Aufführung einer anderen „Zauberflöte“ ernannt, wo er ebenfalls den Sarastro sang, nämlich an der Bayerischen Staatsoper. Deren legendäre oder (je nach Standpunkt) verstaubte August Everding-Inszenierung kennen inzwischen schon drei Generationen Münchner Kinder: Seit 45 Jahren prägt sie das (vor-)weihnachtliche Geschäft der Bayerischen Staatsoper mit und hat sich in München einen gewissen Platzhirsch-Status erarbeitet. Der gerät nun mächtig ins Wanken, sollte die Gärtnerplatz-„Zauberflöte“ ins Standardrepertoire des Hauses wandern.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ am Gärtnerplatztheater München
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ am Gärtnerplatztheater München

Das wäre absolut wünschenswert, und zwar nicht nur deshalb, weil sie toll ist, sondern vor allem, weil sie das ideale Gegenstück zu Everdings märchenhafter und – soviel Ehrlichkeit muss sein – musealer Inszenierung ist. Im Zuge seines Antritts als Intendant des Gärtnerplatztheaters (lang ist’s her: vor elf Jahren) betonte Köpplinger, dass das Gärtnerplatztheater nicht das zweite, sondern „das andere“ Opernhaus werden solle. Dasselbe ist ihm nun mit seiner „Zauberflöten“-Inszenierung gelungen.

Staatstheater am Gärtnerplatz München
Mozart: Die Zauberflöte

Rubén Dubrovsky (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie), Ricarda Regina Ludigkeit (Choreografie), Momme Hinrichs (Bühne), Alfred Mayerhofer (Kostüme), Kai Luczak (Licht), Meike Ebert & Raphael Kurig (Video), Demian Erofeev, René Pape, Lucian Krasznec, Alexander Grassauer, Alina Wunderlin, Sophie Mitterhuber, Daniel Gutmann, Julia Sturzlbaum, Juan Carlos Falcón, Chor und Extrachor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz






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