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MILANO /Teatro alla Scala: PETER GRIMES von Benjamin Britten. Premiere

21.10.2023 | Oper international

MILANO/ TEATRO ALLA SCALA : PETER GRIMES von Benjamin Britten am 18.10.2023  (Premiere)

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Nicht, dass wir in Wien in den letzten Jahrzehnten in puncto Peter Grimes irgendwie unterversorgt gewesen wären. Von Christiane Mielitz‘ Inszenierung an der Staatsoper (mit Neil Shicoff !) bis zu Christof Loys (wegen des großen Erfolgs wiederaufgenommenen) Geniestreich im Theater an der Wien war er eigentlich irgendwie immer präsent.

Und dennoch ist die neue Scala-Produktion (die soeben Premiere hatte) noch einmal etwas Besonderes. Sie ist so dicht, so intensiv, so packend, so herzzerreißend, so überwältigend, um nicht zu sagen: vernichtend, dass sie mit der Zeit fast unerträglich wird und man sie zum Schluss nur noch mit grosser Mühe aushält.

Die Gründe dafür: viele, bzw. alle.

Regie führte Robert Carsen (der ja, wie man hört, den nächsten Salzburger Jedermann inszenieren soll. In Wien hat er auch schon ein leichtes Händchen („Platée“) bewiesen. Hier hingegen ist alles (dem Stoff durchaus angemessen) schwer, schwerer, am schwersten, so schwer wie es nur irgendwie geht.

Von seinem langjährigen künstlerischen Komplizen Gideon Davey hat er sich diesmal ein Einheitsbühnenbild bauen lassen, wie man es sonst eher nur von teutschen Regietheatergrössen gewohnt ist: einen finsteren Einheitsbunker, der vom Gerichtssaal über das Pub und das Bordell und Peters Hütte für schlicht alles herhalten muss.

Daveys Kostüme bringen auch nicht mehr Licht in die Chose – im Gegenteil: sie sind alle in den Farben Schwarz, Braun und maximal Jeansblau gehalten – wenn man das denn Farben nennen kann. Düster düsterer, am düstersten, so düster wie es nur irgendwie geht. Und auch Carsen, der wie immer sein eigenes Licht macht, belässt diesmal alles im Finstern, sodass man nicht einmal bei der Applausordnung die Protagonisten richtig wahrnehmen kann. Finster, finsterer, am Finstersten, so finster, wie es nur irgendwie geht, der einzige (geringfügige) Lichtblick sind die blonden Haare der wie immer großartigen Nicole Car (als Ellen Orford).

Zur (im positivsten Sinne) vernichtenden Wirkung dieses denkwürdigen Abends trägt natürlich auch der musikalische Teil der Produktion hauptsächlich bei: von Simone Youngs herber, nervöser, aber ausgeglichener Interpretation angefangen bis zu dem sogar in jeder „kleinsten“ Nebenrolle perfekt gecastetem Ensemble.

Der Gerechtigkeit zuliebe müsste man eigentlich alle über 30 Mitwirkenden namentlich erwähnen (und natürlich den genialen Chor unter Alberto Malazzi). Der leichteren Lesbarkeit zuliebe seien hier dennoch nur die Super-Protagonisten „vor den Vorhang“ gebeten: natürlich Brandon Jovanovich, für dessen – zwischen Aggressivität und Zärtlickeit oszillierender, immer total bühenpräsenter Gestaltung des Grimes einem schlicht der Atem und die Worte fehlen…

Und Olafur Sigurdarson als Captain Balstrode und Margaret Plummer als Auntie und Natascha Petrinsky als Mrs.Sedley und Kammersänger Peter Rose als Swallow und und und…

Einhelliger, tobender Applaus in der (was bei diesem Werk auch nicht selbstverständlich ist) bis auf den letzten Platz ausverkauften Scala.

Eigentlich sollte man sich diesen epochalen Grimes ja noch mindestens zwei bis dreimal anschauen…wenn man diese aussichtslose aller aussichtslosen Aussichtlosigkeiten denn psychisch aushalten würde…denn dieser perfekte Abend rüttelt an den existentiellen Grundfesten der menschlichen Seele…

Robert Quitta, Milano

 

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