1. Startseite
  2. Kultur

Väter der Klamotte: „Le nozze di Figaro“ an der Bayerischen Staatsoper

KommentareDrucken

Konstantin Krimmel und Huw Montague Rendall
Wer darf auf den Dildo-Thron? Figaro (Konstantin Krimmel, li.) und Graf Almaviva (Huw Montague Rendall) © Wilfried Hösl

Dieser „Figaro“ schmeckt nach Feydeau, nicht nach Mozart. Regisseur Evgeny Titov überdreht das Stück bis zum Kolbenfresser, Dirigent Stefano Montanari überfährt die Feinheiten der Partitur und bietet eitles Rezitativ-Geklimper. Dafür gibt‘s ein bestechendes Ensemble.

Ganz ehrlich: Wie dieser vollautomatische Dildo-Thron funktioniert, was es mit einem anstellt, wenn die Beine auseinandergefahren werden und die Lustdinger nach oben klappen, man hätte es gern gewusst. Erotik, das hat an diesem „tollen Tag“ (so der Opern-Untertitel) eben mit anderem zu tun: mit hastigem Begehren, mit haltlosem Sex, mit Schenkelklopfer-Witz, wobei Letzteres wörtlich zu nehmen ist. Gut eine halbe Stunde dauert es, und der Graf ist ohne Hose.

Das Dumme nur: Die Bayerische Staatsoper lässt in dieser Premiere keine Farce von Feydeau spielen, auch keine aus dem Bayerischen Hof importierte Klipp-Klapp-Klamotte, es handelt sich um „Le nozze di Figaro“, um Wolfgang Amadé Mozarts erotisch-melancholisches, unendlich lebensweises Gefühlswunderwerk. Mag Ausstatterin Annemarie Woods im letzten Akt alle durchs Gewächshaus irren lassen, in dem der Hanf für den Joint sprießt: Dieser Abend wirkt, als habe man das Personal vor Beginn antreten lassen, um einige Linien Koks zu ziehen.

Zugegeben, die Besetzung lädt dazu ein. Allesamt höchstens Mittdreißiger, keine in Würde und Routine versteiften Kammersänger. Und wenn sich jemand auf vorgerückter Reifestufe bewegt, Sir Willard White als Bartolo oder Dorothea Röschmann, deren Marcellina eine bizarre Herodias-Vorläuferin ist, dann ist das unter Cameo-Auftritt zu verbuchen und Futter für Nostalgiker.

Die Regie von Evgeny Titov bleibt munteres Oberflächensurfen

Regisseur Evgeny Titov überdreht die Aufführung bis zum Heißlaufen mit Kolbenfresser-Gefahr. Kurzweilig ist das, unterhaltlich, bleibt aber munteres Oberflächensurfen. Die Charaktere kommen kaum übers Flachrelief hinaus. In der Überspannung ist kein Platz mehr für Fallhöhen. Diesen Figuren drohen nicht Mozarts schwarze Löcher, sondern allenfalls Nervenzusammenbrüche. Es gibt Gags, auch Pikantes wie Cherubinos Intersexualität, doch wird dies alles kaum ausformuliert oder ist Opfer mangelnden Timings.

Schauplatz ist ein Schloss, dessen metallene Wände mit Patina überzogen sind. Die Renovierung ist (Geldmangel?) noch längst nicht durch. Das gräfliche Büro driftet in den Furnierholz-Schick, das Gemach der Gräfin ins Rosarote. Immerhin steht dort ein fahrbares Plüschsofa, auf das la Contessa mit dem Hackebeil des Gatten eindrischt. Ein, zwei Aspekte arbeitet Evgeny Titov demnach heraus – bei einem Stück, in dem zehn bis zwölf zu bedenken wären.

Eine unheilige Allianz entsteht da mit dem Mann im Graben. Stefano Montanari, früher Barockgeiger, gibt den Treibjäger. Seine schaufelnden Gesten puschen den Mozart-Motor in Richtung Dauer-Turbo. Widerhaken, gelegentliche Mittelstimmenarbeit und schön formulierte Bläser-Verläufe – man ahnt lediglich, dass da ein Alte-Musik-Experte am Werk ist.

Zwischen Egotrip und Karikatur: Dirigent Stefano Montanari

Auf der Flucht nach vorn überfährt Montanari all die Mirakel der Partitur. Dabei geht es gar nicht um Tempi, um Gefühligkeit, um eine wie auch immer geartete, letztlich mit Klischees behaftete Empfindsamkeit. Montanaris Deutung fehlt vielmehr jegliche Erdung, überhaupt ein Sensorium für das Organische dieser Musik, für ihren Puls, für ihre Architektur. Nach altem Brauch begleitet er die Rezitative am Hammerklavier. Dass man hier Improvisationen riskieren kann, hintergründiges Weiter- und Zusammenspinnen der Musiknummern, auch Zitate aus anderen Stücken, das ist nicht erst seit René Jacobs en vogue. Bei Montanari klingt’s, als habe einer die Noten vergessen, um sie aus dem Kopf mit modernistischen Zutaten nachzuspielen. Ein Ergebnis zwischen Karikatur und Egotrip. Eine Geschmacksfrage folglich, aber auch eine des Handwerks – es ist eine der unpräzisesten Premieren seit dem Abgang Kent Naganos.

Das größte Wunder dieses Abends daher: Wie das Bayerische Staatsorchester darauf reagiert, wie es mitgeht, wie es schöpft aus seiner Spielkultur und reichen Mozart-Tradition, wie es (notfalls geht’s eben auch ohne Dirigent) uns beschenkt mit kleinen Kostbarkeiten. Nicht umsonst bedanken sich einige Sängerinnen und Sänger am Ende bei Rafaela Seywald, mitdirigierende Assistentin im Souffleurkasten. Sie war wohl bitter nötig.

Seit der „Così fan tutte“ vor einem Jahr ist die Bayerische Staatsoper auf bestem Weg zum Mozart-Ensemble. Viele der „Figaro“-Besetzung haben hier Festverträge, es ist eine imponierende Leistungsschau. Alle sind sie Filigranarbeiter. Elsa Dreisig singt die heikle erste Gräfin-Arie mit bewundernswerter Kontrolle, kleidet die Figur in ein apartes, kühles Melos. Louise Alder beginnt als flüchtig-neckische Susanna, im Laufe der Zeit weitet sich die Stimme, gewinnt an Fülle und Farben, ihre „Rosen-Arie“ ist eine Insel der Introspektion, der natürlichen Seelentiefe. Ähnliches bei Avery Amereau, deren Cherubino pure, subtil eingesetzte Erotik ist.

Huw Montague Rendall bringt für den Grafen Flexibilität, Bariton-Schönklang und das nötige Temperament mit, Tiefenresonanzen wird sich der erst 29-Jährige noch erarbeiten. Konstantin Krimmel, nur ein Jahr älter, ist in der Titelrolle dagegen sehr weit. Timing, Stimmumfang, die Lust am Spiel mit Farben, Nuancen und Text, seine (auch darstellerische) Agilität adeln ihn schon jetzt zum Muster-Figaro. Kleines Gedankenexperiment: Diese Besetzung in der sechs Jahre jungen, zu Unrecht ausgemusterten Christof-Loy-Regie plus Constaninos Carydis oder Antonello Manacorda am Pult – und das Haus hätte einen „Figaro“, wie es ihm gebührt.

Auch interessant

Kommentare