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„Le nozze di Figaro“ in München: Das große Ding-Ding, Dong-Dong

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Cherubino (oben) und die Gräfin auf dem außergewöhnlichen Sofa.
Cherubino (oben) und die Gräfin auf dem außergewöhnlichen Sofa. Foto:Wilfried Hösl © Wilfried Hösl

Evgeny Titov überdreht „Le nozze di Figaro“ in München derb und doch unoriginell – astrein das Ensemble.

Der neue Münchner „Figaro“, inszeniert von Evgeny Titov, begnügt sich mit einigen drastisch wirkenden, in der Sache dann erstaunlich harmlosen Dekorationsentscheidungen. Das Zimmer, in das das junge Paar einziehen soll, hat Ausstatterin Annemarie Woods als Verlies gestaltet, Blickfang ist zunächst ein Gruselmärchenobjekt zwischen geblümtem Ohrensessel und (Sex-)Folterstuhl. Für den zweiten Akt steht an seiner Stelle das ungewöhnliche rosafarbene Puschelsofa der Gräfin. Jemand hat auch angefangen, die Wände rosa anzustreichen, ohne weit gekommen zu sein. Im dritten Akt zeigen sich die gräflichen Gemächer mit Holzfurnier, es reicht aber nicht bis zur Decke: dahinter weiterhin die schaurigen Steinwände. Im vierten ist die Parklandschaft ein sprödes Gewächshaus. Eine einzige Pflanzensorte wird hier gehegt, aus der sich einschlägiges Rauschmittel herstellen lässt.

Auch wenn das ein typischer Vorgang in der Oper ist, wird diesmal besonders offensichtlich, dass innerhalb dieses scheinbar unbehaglichen sowie aufmüpfigen Rahmens purer, konventioneller Mozart/Da Ponte gespielt wird. Von einem jungen, starken Ensemble, das macht, was man als aufgeräumter Figaro, vernünftige Susanna, gekränkte Gräfin, losgelassener Graf, in alle Frauen dieser Welt verknallter Cherubino so macht. Nur dass zwischendurch der Sexfolterstuhl kurz in Gang gesetzt wird (keine Panik, nur andeutungsweise), Susanna ein Tütchen raucht, der Graf bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Hosen herunterlässt und sie möglichst lange nicht wieder hochzieht – und es gibt etliche Gelegenheiten – und dass schon am Anfang das Ding-Ding, Dong-Dong zum derb gemütlichen Begleitgeräusch einer Sexszene deklariert wird.

Etwas derb geht es also zu, das passt zwar zum (auch schon wieder altmodischen) Mozart-Bild aus Shaffers „Amadeus“, ist aber zugleich halbentschlossen und fast etwas pflichtschuldig. Als sollte es dann eben trotzdem schön aussehen, und die Umgebung nahm etwa den Hanf-Park auch unschuldig wohlwollend auf.

Klimpern und glitzern im Münchner „Figaro“

Dirigent Stefano Montenari setzt extrem geschwind an, eine geradezu wirbelnde Ouvertüre. Nachher wird es gesetzter, bei den Rezitativen hat der Frankfurter GMD Thomas Guggeis auf dem Hammerklavier kürzlich die Latte zu hoch gelegt, um an dieser Stelle gleichzuziehen, obwohl auch hier der Dirigent selbst es mächtig klimpern und glitzern lässt. Jedoch wird auch in München lebhaft bis festivalreif gesungen. Konstantin Krimmel (30 Jahre alt) steht als Titelheld von heute und morgen zur Verfügung, dessen Bariton an Finesse, Sprungkraft und Wärme seinesgleichen sucht. Bei Titov ist er ein Figaro, der wirklich seinem Gewerbe nachgeht, sich selbst hat er zur Hochzeit besonders prächtige Locken spendiert, und der Gräfin versengt er gelegentlich beim Haarglätten eine Strähne. Klar, er ist abgelenkt.

Susanna ist die aus Frankfurt wohlbekannte Louise Alder, mit gereiftem, energischem Sopran, stimmlich nicht unähnlich der Gräfin von Elsa Dreisig, die ihrer Partie einen kühlen Glanz verleiht. Ohnehin treten die beiden vor allem als Freundinnen auf. Rosina Almavivas Morgenrock ist eine Geschmacksverirrung, aber, wie man so sagt, sie kann es sich leisten.

Cherubino, Avery Amereau – ausstaffiert als japanischer Comicheld, dann als Soldat für einen Einsatz in Vietnam oder so, lustig ist das nicht –, klingt vor allem in der Tiefe bezaubernd. Seine Barbarina, Eirin Rognerud, steuert die vierte Frauenstimme bei, die in „Le nozze di Figaro“ ebenfalls so melancholisch singt, dass es kaum auszuhalten ist. Sie spielt bereits in der Marcellinen-Intrige wie eine Statistin mit (das sind Augenblicke, in denen man sich eventuell wundert, immerhin).

Marcelline selbst ist die prächtige Dorothea Röschmann, etwas bizarr exotisch in glittriges Gold und schwarze Seide gesteckt wie für eine gruselige Heroinenpartie. Der Graf ist Huw Montague Rendall, 29, schon jetzt ein Stimmwunder, der sich als gutmütiger, waschechter Komiker zeigt. Denn im Grunde will alles zu einem lebendigen Ensemblespiel hin, das dem Versuch entgegensteht, zu überhitzen, zu überdrehen. Auch dadurch vor allem ein halbherziger Abend.

Bayerische Staatsoper im Nationaltheater, München: 5., 9., 12., 14. November. www.staatsoper.de

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