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„Die Frau ohne Schatten“ an der Stuttgarter Staatsoper: Im Auge des großen Bruders

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Benjamin Bruns, Iréne Theorin, Michael Nagl, Simone Schneider und Martin Gantner
Der Mensch als Teil eines titanischen Plans: Letzte Szene der Aufführung mit Benjamin Bruns (Kaiser, v.li.), Iréne Theorin (Färberin), Michael Nagl (Geisterbote), Simone Schneider (Kaiserin) und Martin Gantner (Barak). Foto: matthias baus © Matthias Baus

Das Stück hat gerade Konjunktur: Auch Stuttgart zeigt nun „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Dies als Mix aus Dystopie, „1984“ und „Alien“ sowie mit einem hervorragenden Ensemble.

Mein Bauch gehört mir: Doch was, wenn der Feminismus Konkurrenz von der anderen Seite bekommt? Wenn wie hier erst der Kaiser, dann der Färber Barak in leichter Rücklage hereinschleichen und die Gattinnen deren Wölbungen streicheln. Kein Zweifel, die Männer sind schwanger. Es ist mehr als ein Gag, den sich Regisseur David Hermann da an der Staatsoper Stuttgart erlaubt. „Die Frau ohne Schatten“, diese mit Symbolismus beschwerte, explodierte „Zauberflöte“, wird ja zu Recht kritisiert – als monumentale Herdprämienfeier, als frauenfeindliche Verherrlichung der Gebärfähigkeit. Dabei geht es, da sind Richard Strauss (Musik) und Hugo von Hofmannsthal (Text) in Schutz zu nehmen, auch um anderes, Größeres: um ein allegorisches Nachdenken über Beziehungsarbeit, über Erwartungen ans Gegenüber, folglich um die Liebe mit all ihren Brüchen und Erfordernissen.

Vielleicht auch deshalb hat diese Oper gerade Konjunktur. Baden-Baden zeigte die „Frau ohne Schatten“, Köln und Lyon folgten, nun Stuttgart. Dazu kommt, dass sich die Chefdirigenten das Werk gern ans Revers heften. Der Dreiakter war schon immer ein Interpretenschaustück. Christian Thielemann wird damit im März seine letzte Dresdner Premiere bestreiten – um das Trumm dann auch an seiner neuen Berliner Staatsopern-Arbeitsstelle zu wuchten.

Ein Riesenwurm beherrscht den Kugel-Bunker

In Stuttgart versucht sich Regisseur Hermann gar nicht erst an Psychostudien dieser Märchenfiguren. Eine Kaiserin, die der Färbersfrau ihren Schatten und damit ihre Fruchtbarkeit abkaufen will, damit der Kaiser auf Geheiß des allmächtigen Keikobad nicht versteinert, die verschütt gegangene Zuneigung zwischen dem Färber Barak und seiner Gattin, dazu die strippenziehende Amme der Kaiserin: In Stuttgart wird dies zum Mix aus Dystopie, Orwells „1984“ und „Alien“.

Das hohe Paar haust in einem Loft im Beton- und Japan-Schick, das Färber-Paar in einem Kugelbunker (Bühne: Jo Schramm). Es ist ein Land nach unserer Zeit. Dazu erfindet Hermann einen Riesenwurm, der den Bunker beherrscht und irgendwann erstochen wird. Anfangs scheint das diffus, alle dürfen unbehelligt von der Regie ihre (schwere!) Gesangsarbeit erledigen. Doch dann wird klar: Hermann kühlt den hitzigen Dreieinhalbstünder mit einer der größten Orchesterbesetzungen der Operngeschichte herunter, entgeht so einer Verdopplung der Emotion. Und doch wird alles nicht auf Szenen zweier Ehen verkleinert: Wir erfahren allmählich, dass alle von einem ungreifbaren großen Bruder beherrscht werden und von seinem Gesandten, dem kalt-dämonischen Geisterboten. Menschen, so begreift nicht nur die Kaiserin im gleißenden Licht eines riesigen Lüster-Auges, sind Mittel zum Zweck und Teil eines titanischen Plans.

Und noch ein Gutes hat die Reduktion: Man kann sich ungehindert am Gesang delektieren. Stuttgart wartet da mit Außerordentlichem auf. Bei Simone Schneider (Kaiserin), Martin Gantner (Barak) und Benjamin Bruns (Kaiser) erfährt man, wie es klingt, wenn sich Stimmen natürlich ins große Fach entwickeln dürfen. Gantner, früher lyrischer Bariton an der Bayerischen Staatsoper, verbindet auf meisterhafte Weise Textarbeit mit der raumgreifenden Vokalgeste. Nie klingt das überreizt und hat doch dramatische Vehemenz.

Sehniges Strauss-Dirigat ohne dröhnendes Pathos

Ähnliches bei Simone Schneider, am Gärtnerplatz einst als Königin der Nacht (!) aktiv. Nun ist sie längst eine jugendlich Dramatische par excellence. Mühelos öffnet sich die Stimme in den gefährlichen Höhen der Kaiserin, hat auch erheblich an Tiefenresonanz gewonnen – einzig der Text bleibt etwas unterbelichtet. Und wer einen solchen Kaiser wie Benjamin Bruns verpflichtet, hat das große Los gezogen. Eine der undankbarsten, kniffligsten Tenorpartien klingt da, als sei sie ihm in die Stimme komponiert worden. Musterhaft fokussiert ist das gesungen, mit metallischer Durchschlagskraft, aber auch Empfindung für die Lyrismen der Partie.

Evelyn Herlitzius ist als Amme ein Gesamtkunstwerk. Eine Duse der Oper, die mit bloßer Präsenz manche Regie-Löcher füllt. Iréne Theorin, als indisponiert angesagt, hat sich die Färberin gut zurechtgelegt. Nie gerät sie ins Keifen, immer ist das kontrolliert und mit Reserven gestaltet, wobei der eine oder andere Konsonant schon stückdienlich gewesen wäre. Und ein Sänger, der zum Hinhören geradezu zwingt: Michael Nagl als Geisterbote.

Unten im Graben hat sich Generalmusikdirektor Cornelius Meister tief hinein in die Riesenpartitur gedacht. Seine Deutung mit dem Stuttgarter Staatsorchester hat Zug, tritt – trotz erheblicher Kraftentfaltung – nicht über die Ufer. Ein sehniger Strauss mit sattem Farbauftrag und Energie auch in der Detailarbeit. Sogar im Schluss-Quartett driftet das nicht ins dröhnende Pathos, was auch gar nicht zum Geschehen oben gepasst hätte. Da stehen die Kerle vor einer mehr als fatalen Entbindung. Fans von Kino-Mann Ridley Scott wissen Bescheid.

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