„Figaros Hochzeit“, das gehört im Mozart-Tempel Bayerische Staatsoper (mit immerhin zwei Uraufführungen, „Die Gärtnerin aus Liebe“ und „Idomeno“ in den Vorgängertheatern) zum Silberbesteck des Repertoires. Doch nach zwei Inszenierungen, die 30 und 20 Jahre vorrätig blieben, schlug nun für die aktuelle Christof-Loy-Produktion bereits nach sechs Spielzeiten die Schredderstunde. Angeblich war das Bühnenbild schwierig zu lagern, außerdem wollte der neue Intendant Serge Dorny eine komplett neue Mozart/da-Ponte-Trilogie mit einem jungen Sängerensemble in die Hände des französischen Filmregisseurs Olivier Assayas legen.
Doch wie es theaterpraktisch so kommt: Assayas musste absagen, weil er plötzlich ein Streaming-Projekt realisieren konnte. Ihn ersetzten nur für „Così fan tutte“ zum Auftakt vor einem Jahr der australische Theaterregisseur Benedict Andrews und gerade eben für „Le nozze di Figaro“ der hochgehandelte russische Theater- wie Opernregisseur Evgeny Titov. Das szenische Ergebnis beide Male: eher indifferent.
Die „Così“ spielt in hässlichen Räumen, auf verdreckten Matratzen immer hart an der Rampe, Lederfetischmaske und Dildo kommen zum Einsatz. Erfahrenen Sängern wie Christian Gerhaher und Sandrine Piau als Alfonso und Despina standen beglückend junge Stimmen gegenüber, Staatsopern-Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski dirigierte ein straffes, rhythmusbetontes Verwechslungsspiel der Liebe.
Für Kontinuität sorgen im „Figaro“ drei herausragende Mozart-Sänger aus der „Così“: Konstantin Krimmel gestaltet als Hausbariton mit wohlig ausbreitendem Kastanien-Timbre und schöner Fülle einen so aufmüpfigen wie eifersüchtigen Barbier, der sich am Ende doch wieder als Herr des emotional verwickelten Spiels erweist. Genauso wie Louise Alder mit lyrisch blühendem, ruhigem, ein wenig zu charakterneutralem Sopran als seine Braut Susanna, die souverän die Rädchen dreht, sich gefühlsmäßig weder einbringt, noch den notgeilen Grafen an sie ranlässt. Und die ebenmäßig mezzohellstimmige Avery Amereau ist als blitzverliebter Page Cherubino dabei, der sich – seines Fußballtrikots ledig – kahlgeschoren in den schlotternden Soldatenoverall wie ein kitschiges Brautkleid stecken lässt.
Immerhin die Haare schön
Dazu kommen als weitere Vokalisten: der wendige, etwas zu schmächtig, um gefährlich zu wirkende Graf von Huw Montague Rendell. Der fuchtelt mit der Pistole, hat aber wenig in der Hose. Auch scheint sein Timbre heller als das seines Domestiken: Ein Rollentausch mit Krimmel wäre wohl optimaler gewesen. Aber immerhin haben beide die Haare schön. Elsa Dreißig ist wieder mal die stöckelschuhstaksige Gräfin zwischen Depression und Eherettungsangriff. Vor allem ihre zweite Arie singt sie mit herrlichen Bögen und verletzlicher Delikatesse.
Das Quartett der vier kleinen Rollen veredeln die madamig stimmplustrige Dorothea Röschmann (einst hier auch Susanna und Gräfin) als Mutter-Beimer-pusselige Marcellina im Tigerprint, der schon länger stimmarme Willard White (Bartolo), der darstellerisch trotz Gummianzug unterbeschäftigte Tansel Akzeybek (Basilio) und die reif blaustrumpfige Barbarina von Eirin Rognerud.
Gelegentliches Kopfschütteln gibt es über das mutig zupackende Dirigat des geigenden Barockspezialisten Stefano Montanari, der Jurowski ersetzte, welcher gegenwärtig bei seinem anderen Klangkörper, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, dessen 100. Geburtstag zu zelebrieren hat. Montanari startet mit einer gelungen austarierten Ouvertüre durch, übertreibt dann aber immer wieder die Tempi, wird zu laut, die Einsätze schlackern. Eine gleichwohl vielversprechende, kontrastbunte Interpretation, zumal er auch in den Rezitativen vom Cembalo aus anspielungsreich anspornt. Aber es muss sich alles erst noch ausbalancieren und eingrooven. Jetzt ist es in seiner knalligen Unrast des Mozart-Guten einfach noch zu viel.
Zu wenig allerdings ist der Deutungsansatz von Evgeny Titov. Auch der liest den „tollen Tag“ vorwiegend als arg vulgäre Sexkomödie. Da dreht sich das Dildokarussell unter dem gräflichen Lustsessel, dessen Besitzer dauernd die Hose fallen lässt. Wieder spielt eine Ledermaske eine wichtige Requisitenrolle. Ansonsten werden alle gesellschaftlichen Abstände durch den penetranten Billig-Chic von Annemarie Woods Kostümen nivelliert. Revolutionäre Funken gar zünden keine. Auch wird strickt zur Rampe gespielt, denn das ranzige Bühnenbild offenbart nur Varianten eines verschimmelten Schlosshofs, wo sich Susanna statt in die Kleiderkammer im Kohlenkeller versteckt.
Dort kommt sie Fluppe paffend wieder heraus. Gärtner Antonio beklagt eine von Cherubino auf der Flucht durch den Lüftungsschacht geknickte Cannabispflanze. Eine ganze Stiege steht auf dem gräflichen Schreibtisch unter künstlichem Licht. Bis sich dann der nächtliche Indoor-Garten als von Drogenschwaden durchzogene Marihuana-Plantage erweist: Figaros Hanfzeit. Aber sowenig dieses Geschäftsmodell aufzugehen scheint, so wenig befriedigt diese oberflächlich gedeutete neue Münchner „Nozze di Figaro“ und wirkt ziemlich bekifft.