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Salzburg zeigt Verdis „Aida“: Game over auf Level zwei

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Milen Bozhkov
Radamès (Milen Bozhkov) versetzt sich per Videospiel ins alte Ägypten. © Tobias Witzgall

Wie kann man der Ägypten-Folklore entgehen? Zum Beispiel indem man „Aida“ als Videospiel zeigt. Die Neuproduktion des Salzburger Landestheaters ist kurzweilig, verirrt sich aber auf ihren Bedeutungsebenen. Dafür wird hochachtbar gesungen.

Die Ehe schwächelt, dazu gibt es bedrohlichen Stress in der Firma (Unterschlagung? Cum-ex-Geschäfte?). Doch wenigstens greift Radamès, in erkalteter Beziehung mit Amneris verbunden, nicht zum Korn, sondern zur Konsole. Per Videospiel flüchtet er sich nach Ägypten, auf Level eins erschafft er sich schon mal einen attraktiven Avatar, es ist Aida. Ganz wunderbar kann Regisseur Andreas Gergen damit dem Folklore- und Kitsch-Alarm entgehen: Natürlich sehen wir auf der Riesenbühne der Felsenreitschule würdig einherschreitende Ägypter mit Speer und Kriegsbemalung. Aber, zwinker, zwinker – alles ist ja nur virtuell.

Mit Giuseppe Verdis „Aida“ wird Salzburg seit Jahren nicht recht froh. Shirin Neshat, iranische Foto- und Videokünstlerin, bescherte den Festspielen sündteure lebende Bilder ohne Tiefenbohrung, sie durfte/musste ihre Produktion bekanntlich für einen weiteren Festivaldurchgang nachbearbeiten. Umso gespannter war man nun auf die Tat des dortigen Landestheaters, das mindestens einmal pro Saison die Felsenreitschule bespielt.

Vielinszenierer Gergen, von 2011 bis 2017 Operndirektor des Landestheaters macht mit Bühnenbildner Stephan Prattes den doppelten Regie-Boden auch ersichtlich. Da ist das Schlafzimmer von Amneris und Radamès, das auch über der Szene schweben kann. Und da ist die Breitwandbühne, auf der sich das Computerspiel im Großformat manifestiert, digital Animiertes vom alten Theben (Videos: Andreas Ivancsics), Lichtorgel und ein aufblasbares Riesenbaby zum Triumphmarsch inklusive. Irgendwann fallen rote Stoffbahnen aus dem Bühnenhimmel, blutige Trauer soll das symbolisieren.

Leslie Suganandarajah dirigiert einen flüssigen, eleganten Verdi

Andreas Gergens Konzept bringt zwar imponierende Bilder, aber kaum Mehrwert. Zuweilen verirrt sich die Aufführung auch auf ihren Bedeutungsebenen. Gern flüchtet sich das Personal in die klassischen Operngesten, dazwischen tanzen die Businesswesen zu den Ballettmusiken (Choreografie: Reginaldo Oliveira). Optisch ist der Abend durchaus kurzweilig. Doch manches ist auch unfreiwillig komisch, auf im Takt gereckte Waffen steht ohnehin die Theater-Höchststrafe. Ergebnis ist eine nur modisch aufgehübschte Verona-Variante, eine Aufführung zwischen „Aida, das Musical“ und Zeffirelli-Update.

Vollkommen Gegenteiliges passiert im Graben. Leslie Suganandarajah denkt sich „Aida“ nicht als Schwerlastverkehr eines Spätwerks. Der Musikdirektor des Landestheaters dirigiert einen flüssigen, eleganten Verdi. Keine Drastik, kaum Pathos, selten dürfen Sängerinnen und Sänger ihre dankbaren Stellen zelebrieren. Alles wird kundig vorangetrieben – und eilt dabei über Zuspitzungen hinweg. Das Mozarteumorchester lässt es nie krachen, zieht sich auf seine Klangkultur zurück – Suganandarajah wird vielleicht in Folgeaufführungen mehr auf Risiko gehen.

Die Solistenriege lässt nichts anbrennen

Auch bei der Solistenriege brennt nichts an, die meisten singen auf Zinsen und ohne Grenzübertritte. Milen Bozhkov, zum Buchhalter-Outfit verdammt, ist ein hochsolider Radamès mit Reserven und Gestaltungsinteresse. Cristiana Oliveira lässt ihren lyrisch grundierten, unverspannten Aida-Sopran den Raum erobern. Oksana Volkova bringt sich offensiver in Stellung und gibt das effektvolle Amneris-Biest. Aris Argiris hört man gern zu, weil da eine reichhaltige, virile Baritonstimme das Drama des Amonasro plausibel macht. Martin Summer als jugendlicher Ramfis verrät mit klangvollem Bass seine Rolle nicht ans Zerrbild eines Bösewichts.

Obwohl sie von Ramfis mit einer Pistole bedroht wird, trägt Amneris als Businesslady am Ende den Sieg davon. Mini-Manager Radamès geht ohne Frau und Abfindung aus, die Aufführung, so aufwendig sie sich gibt, bleibt auf einer niedrigen Bedeutungsebene stecken. Game over für alle auf Level zwei.

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