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„Lucia di Lammermoor“ in Nürnberg: Lucas letzter Kampf

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Andromahi Raptis und Sergei Nikolaev
Verbotene Liebe: Luca (Andromahi Raptis, 2.v.re.) wird von Edgardo (Sergei Nikolaev, 2.v.li.) getrennt. Regisseurin Ilaria Lanzino erzählt die Donizetti-Oper als schwule Outing-Geschichte – was tatsächlich aufgeht. © Ludwig Olah

Donizettis populärste Oper als Geschichte über ein schwules Outing? Das geht tatsächlich auf: Ilaria Lanzino beweist das in Nürnberg mit einer bestechenden Inszenierung. Und auch die musikalische Fraktion überzeugt.

Vom vermeintlichen Wahnsinn dieser Belcanto-Frauen, die mit Spitzentönen durchs Leben irrlichtern, hat sich die Regie ja längst verabschiedet. Die Diagnose ist schließlich reine Männerprojektion: Die großen Sopran-Szenen bei Donizetti & Co. zeigen keine Persönlichkeitsstörung, sondern Fluchtbewegungen aus abstoßenden Kerle-Welten. Nicht gelebte Liebe, Selbstbewusstwerdung und -verwirklichung, dies alles gegen gesellschaftliche Konventionen, das hat Regisseurin Ilaria Lanzino auf eine radikale Lösung gebracht: Am Staatstheater Nürnberg ist die Hauptfigur von „Lucia di Lammermoor“ ein Mann, Luca, der trotzdem von einer Sopranistin gesungen wird.

Und obwohl Luca im schwülen Jugendzimmer samt Vinylplatten, Regenbogen im Fenster und Lichterkette mit queeren Freunden abhängt: Der Abend missrät nicht zur rosaroten Transenparade, zum CSD mit Donizetti-Soundtrack. Ilaria Lanzino erzählt tatsächlich eine Outing-Tragödie. Von einem Twen, der traumatisiert wurde, dessen Familie ihm auf die Schliche kommt und eine Hetero-Zwangshochzeit organisiert. Ein Besonderling, der seine Lebensliebe Edgardo „offiziell“ werden lässt und eine Homo-Vermählung feiert – die jedoch mündet in ein tödliches Finale. Zentralelement der reduzierten Bühne bleibt dabei fast immer ein großes Bett (Ausstattung: Emine Güner), manchmal ist es auch der so gefürchtete Altar.

Das Stück wird durch die Eingriffe nie verfälscht

Opern-Orthodoxe mögen aufstöhnen: Ja, dafür sind Eingriffe nötig. Doch die sind minimal inversiv, meist wird die weibliche Wortform durch die männliche ersetzt. Am stärksten betrifft es die Rolle des Arturo, im Original Lucias Zwangsgatte und Tenor. In Nürnberg tritt Mezzosopranistin Sara Šetar als Lucas verordnete Hetero-Partnerin auf.

Das Entscheidende aber: Alles geht auf. Verblüffend ist das, in manchen Neubewertungen bestechend – die gespannte Stille im Premierenpublikum spricht Bände. Alle emotionalen Kraftfelder, alle Figurenkonstellationen bleiben erhalten. Das Stück wird nie verfälscht oder krampfig zurechtgebogen. Man verfolgt tatsächlich eine ins Heute geholte Intensivierung und Übersteigerung der Donizetti-Oper. Was auch daran liegt, dass die Aufführung eine hohe theatrale Qualität hat. Zeitweise fühlt man sich nach nebenan ins Schauspielhaus versetzt. Ilaria Lanzino muss eine immense, das Gesangspersonal restlos überzeugende Motivationsarbeit geleistet haben. Es ist eine jener Produktionen, die das Gefühl geben: Es läuft von allein. Weil alle ums Wohl und Wehe ihrer Figuren wissen, darum, welche Gesten und Blicke gerade erforderlich sind.

Dazu passt sogar, dass die Besetzungen nicht Donizetti-typisch sind. Andromahi Raptis ist ein sehr lyrischer Luca, keine Stratosphärenton-Schleuder. Ihr Sopran klingt herb, etwas flirrend. Doch Atemkontrolle und Tongebung sind lehrbuchhaft: eine Stimme, die sich einem nicht entgegenstreckt, sondern Hörerinnen und Hörer zu sich auf die Bühne holt. Auch Sergei Nikolaev mag ein eher leichtgewichtiger Edgardo sein. Umso stärker wird das Verletzliche, die Verzweiflung hörbar, auch das kleine Glück, das zerstört wird.

Ein Ende im Stil von „Romeo und Julia“

Ivan Krutikov donnert dafür den Luca-Bruder Enrico mächtig auf – allein sein Baritongeschütz treibt die Familienrache voran. Nicolai Karnolsky, der mit größerer Bass-Feinzeichnung arbeitet, ist ein Pater Raimondo zwischen den Fronten. Als der die Homo-Ehe zum Entsetzen der Mit-Priester segnet, drückt er ihnen zur Abdankung sein Kreuz in die Hände.

Gerade weil in den Hauptrollen eher Filigranarbeiter unterwegs sind, müsste sich das Dirigat von Jan Croonenbroeck noch etwas beruhigen. Das Temperamentvolle, das Zündeln an der Partitur passt zum jugendlichen Charme des Bühnengeschehens. Doch manches ist im Überschwang zu laut – die heikle Akustik des Hauses fordert da ihren Tribut. Dennoch erlebt man einen exzellenten Handwerker, der dank weniger Bewegungen seine Sänger wieder einfangen kann und der Donizetti mit der Staatsphilharmonie Nürnberg als vielschichtiges, kraftvolles Drama begreift und nicht als Kurkonzert-Humtata.

Als musikalisches Extra darf Friedrich Kern mit seiner Glasharmonika, das Begleitinstrument bei Lucas/Lucias großer Szene, auf die Bühne – in dieser Aufführung kein ungreifbares Klangkleid für den Wahnsinn der Hauptfigur, sondern Party-Gag einer schwulen Hochzeit. Wie überhaupt Regisseurin Ilaria Lanzino immer wieder Satirisches und feine Komik platziert, auch metrosexuelle Choreografien (Valentí Rocamora i Torà) – die Fallhöhe ist dadurch nur umso größer. Lucas und Edgardos Geschichte endet schließlich als Romeo-und-Julia-Tragödie. Was das heißt, davon sollte man sich per Fahrt nach Nürnberg selbst überzeugen.

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