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Musiktheater
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La Bohème


Oper in vier Akten
Text von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa
Musik von Giacomo Puccini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)


Premiere im Theater Aachen am 11. November 2023



 

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Klimaziel verfehlt

Von Stefan Schmöe / Fotos: Thilo Beu

Es ist heiß an diesem Weihnachtsabend in Paris. Einen richtigen Winter mit Kälte und Schnee gibt es hier offenbar schon länger nicht mehr, wie die offene Bauweise der Mansardenwohnung zeigt - Mauerwerk existiert nur noch als Ruine. Viel mehr allerdings hat sich in dieser dystopischen Zukunftsvision gegenüber unserer vergleichsweise kühlen Gegenwart nicht verändert. Eine Bohème ganz am Puls unserer Zeit? Vielleicht doch mehr eine Regie, die vergeblich dem Zeitgeist nachjagt. Und natürlich soll dieser Ansatz uns Puccinis Dauerbrenner aus dem Jahr 1896 ganz besonders nahebringen. Was dann, wenig überraschend, nicht gelingt.

Vergrößerung in neuem Fenster Das Verkehrsschild im Hintergrund vermittelt einen Hauch Aachener Lokalkolorit: Erste Begegenung von Rodolfo und Mimì an einem schwülwarmen Dezemberabend

Puccinis detailverliebte Dramaturgie setzt sich einmal mehr durch gegen ein bemühtes Konzept, zum Glück. Es ist relativ egal, ob Mimì und Musetta, wie hier von der Regie (Blanka Rádóczy) behauptet, von Beginn an beste Freundinnen sind. Zwar macht es dann wenig Sinn, dass Mimì sich in ihrem Kummer im dritten Akt Marcello anvertraut, denn der ist ja mit Musetta liiert und sicher sowieso über alles im Bilde - aber egal, die Musik ist trotzdem schön. Der Hausbesitzer Benoit und Musettas Kurzzeit-Liebhaber Alcindoro sind ein und dieselbe Person, noch dazu ein offenbar einflussreicher Lokalpolitiker - nicht mehr als ein Kuriosum am Rande. Ziemlich unsinnig, dass Rodolfo seine Dramenmanuskripte zwecks kurzzeitiger Erwärmung des Zimmers verbrennt, wenn es doch ohnehin zu heiß ist. Und wenn der Philosoph Colline im letzten Akt wortreich seinen Mantel zum Pfandleiher bringt, um Geld für Mimìs Medizin zu beschaffen, dann fehlt der Szene die Tragik - denn einen Mantel trägt er bei diesem Klima sowieso nicht. So geht's in einem fort. Es ist eine dieser Inszenierungen, bei denen man schnell denkt: Irgendwas muss halt ungewöhnlich und neu sein, um das Honorar zu rechtfertigen. Nur fehlt eine wirklich überzeugende Idee.

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Kein Café Momus in Sicht: Improvisierte Weihnachtsparty auf der Straße; in der Mitte Musetta

Ungeachtet solcher Einfälle bleibt Blanka Rádóczy eng am Textbuch und letztendlich ziemlich konventionell, was bei dieser Oper kein Schaden ist. Dazu hat sie ein junges, durchweg gutaussehendes Ensemble zur Verfügung, das auch bei mittelprächtiger Personenregie glaubwürdig spielen kann. Camille Schnoor singt die Mimì mit recht großem, im ersten Akt etwas unausgeglichenem, später souverän geführtem Sopran und starker Präsenz. Da kann der Rodolfo von Àngel Maciás, dessen Tenor in der Höhe ein wenig eng wird, nicht ganz mithalten. Larisa Akbari ist eine tolle, musikalisch wie szenisch sehr nuanciert gestaltete Musetta, Ronan Collett ein souveräner Marcello. Durchweg ordentlich sind auch die anderen Rollen besetzt. Chor und Kinderchor haben ein paar Koordinationsschwierigkeiten, singen aber zupackend forsch. Und auch wenn auf der ziemlich banal ausschauenden Drehbühne (Bühnenbild: Blanka Rádóczy und Andrea Simeon) die Adventszeit nur vage angedeutet ist: Die Kostüme des Kinderchors zeigen sehr amüsant ein breites Spektrum an scheußlichen Weihnachtspullovern (Kostüme: Andrea Simeon).

Vergrößerung in neuem Fenster Auch auf eine winterliche Zollschranke muss man verzichten, statt dessen könnte man hier Wasser holen: Rodolfo und Mimì (links), Musetta und Marcello im dritten Akt

Christopher Ward dirigiert das gute Sinfonieorchester Aachen detailversessen und hebt manche Nebenstimme hervor, die sonst unterbelichtet bleibt. Er schärft die Kontraste (sehr hart schneidet er im zweiten Akt den ausklingenden Walzer gegen den aufkommenden Marsch) und unterstreicht Puccinis Sinn für Alltagsgeräusche. Im zweiten Akt ahnt man schön den Verkehrslärm der Großstadt; die impressionistische Schnee-und-Nebel-Musik im dritten Akt verpufft leider angesichts des sommerlichen Wetters auf der Bühne. Ward kann aber auch unsentimental und doch gefühlvoll die Gesangslinien begleiten. Und wenn die großen Arien und Duette kommen, dürfen die Sängerinnen und Sänger auch gerne an die Rampe treten - ein in das Bühnenbild integrierter Steg gaukelt vor, das sei szenisch irgendwie sinnvoll. Der Fokus auf die Musik ist jedenfalls keine schlechte Idee.

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Das Ende: Mimí, frierend trotz der hohen Temperaturen, und Rodolfo erinnern sich an bessere Zeiten

Und dann schneit es im vierten Akt doch noch. Vermutlich setzt die Regisseurin hier auf ein Überraschungsmoment wie auf einen Verfremdungseffekt, weil doch alle in Shorts herumlaufen. Vermutlich will die widersprüchliche Wetterlage auch das subjektive Empfinden und Erleben von Kälte (auch im übertragenen Sinn) zeigen und den Gegensatz zwischen der erfrierenden Mimì und den schwitzenden Bohèmiens hervorheben. Nur sieht es letztendlich viel mehr nach einer Kapitulation der Regie vor Libretto und Partitur aus, weil Schnee und Kälte als Bilder eben doch viel, viel sinnfälliger sind als Dauersonnenschein. Mimì stirbt letztendlich ergreifend wie immer, mit besonders dickem, wärmendem Muff an den Händen. Viel Applaus für Sängerinnen und Sänger, für den Dirigenten und das Orchester, und ein kleines bisschen weniger für das Regieteam.


FAZIT

Die an sich ziemlich konventionelle Regie bemüht ein paar neue, wenig schlüssige Ideen, kann dem Stück damit aber nichts anhaben: Puccini ist stärker. Musikalisch überzeugend.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christopher Ward

Inszenierung und Bühne
Blanka Rádóczy

Bühne und Kostüme
Andrea Simeon

Chor
Jori Klomp

Licht
Manuel Michels

Video
David Gerards


Opernchor und Extrachor
des Theaters Aachen

Kinder- und Jugendchor Aachen

Sinfonieorchester Aachen


Solisten

* Besetzung der Premiere

Mimì
*Camille Schnoor /
Suzanne Jerosme

Musetta
*Larisa Akbari /
Laia Vallès

Rodolfo
Ángel Macías

Marcello
*Ronan Collett /
Jorge Ruvalcaba

Schaunard
*Jorge Ruvalcaba /
Ronan Collett

Colline
Jonathan Macker

Benoît/Alcindoro
Pawel Lawreszuk

Parpignol
Wonhong Kim

Sergeant
Stefan Hagendorn

Zöllner
Jorge Escobar

Händler
Hans Schaapkens



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Aachen
(Homepage)





Da capo al Fine

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