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Le Grand Macabre an der Wiener Staatsoper. Foto: Michael Pöhn

Le Grand Macabre an der Wiener Staatsoper. Foto: Michael Pöhn.

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Ligeti als performatives Gesamtkunstwerk – „Le Grand Macabre“ an der Wiener Staatsoper

Vorspann / Teaser

Kurz nach der Frankfurter Premiere kam das Welttheater von György Ligeti (1923-2006) nun an der Wiener Staatsoper heraus. Drei große Häuser – München folgt 2024 – widmen sich also immerhin diesem Stück, ein Geniestreich des 20. Jahrhunderts. Da liegt aber gleich die Frage „nur drei?“ auf den Lippen, doch mag man dies akzeptieren, wenn man die Ernsthaftigkeit des Ansinnens mit dazu nimmt – dieses mit enormen Anforderungen gespickte Werk inszeniert und spielt man nicht nebenbei.

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    In Wien hat sich die renommierte Needcompany mit Jan Lauwers (Inszenierung und Bühne) des Stücks angenommen und eine Sichtweise eingenommen, die den „Grand Macabre“ nicht als Klamotte zeitgenössischen Opernschaffens präsentiert (da hat sie eh nichts zu suchen), sondern als Opern-Tanztheater tief schürft, um Ambivalenzen, offene Situationen und tragische Elemente zu zeigen.

    Überzeichnung gerät bei Lauwers lustvoll und fast schon auf eine natürliche Art und Weise, während der Beginn, als tatsächlich zum von Ligeti erfundenen „Breughelland“ auf der Bühne die Breughels Gemälde als Raumelemente erscheinen, kurze Angst vor klassischen Missverständnissen bekommt. Doch da Lauwers stark visuell mit Körpern und Bewegung arbeitet und sich Ligetis schillernde Partitur samt einem exzellenten Sängerensemble dazugesellt, entsteht dieser spezielle Wiener Weltuntergang als performatives Gesamtkunstwerk – und zwar nicht mit der humorpolternden Brechstange, sondern subtil, mit erschreckender Präzision. Wenn dann ein mächtiger Irrer stimmgewaltig (Georg Nigl glanzvoll als Nekrotzar) das Weltende verkündet, ist man beinahe froh im Theater zu sein und dank steigenden Alkoholpegels auf der Bühne die Apokalypse schiefgeht.Ein ähnlicher Schaudermoment stellt sich ein, wenn Ligeti die Sirenen ertönen lässt und das Publikum endgültig an die Grenzen von Realität und Spiel, Lust und Schrecken, Macht und Ohnmacht katapultiert. Doch dann fängt uns das grandiose Stück wieder ein und gerade diese Produktion kitzelt mit sängerischer Sorgfalt aus der Partitur viele fantastische Opernmomente heraus, wie die zeitlos schimmernden Duette zwischen Amanda und Amando (Maria Nazarova und Isabel Signoret) oder die als Uhrpendel schwingenden Weltuntergangsgehilfen Piet vom Fass (Gerhard Siegel) und Astradamors (Wolfgang Bankl) – diese beiden fabelhaften Sänger lassen bei aller Heftigkeit der Partie stets die Lust an der Umsetzung verspüren. Das gilt auch für die in Untiefen ihres Mezzos agierende Marina Prudenskaya als Mescalina, die in schwindelerregenden Sopranhöhen über ihrem Superkleid balancierende Sarah Aristidiou (Venus / Chef der Gepopo) und den trippelnden Unfürsten Go-Go, wobei Countertenor Andrew Watts vermutlich das überzeugendste und gleichzeitig verlorenste „Hallo?“ der Operngeschichte zu rufen weiß.

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      Le Grand Macabre an der Wiener Staatsoper. Foto: Michael Pöhn

      Le Grand Macabre an der Wiener Staatsoper. Foto: Michael Pöhn

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      Dabei ist man in der Wiener Staatsoper ständig zwischen Sehen und Hören hin- und hergerissen, denn Lauwers lässt seine Company beständig flirrend um die Sänger tanzen; diese quasi animierten Breughelbilder sind auf Dauer ein wenig ermüdend, zudem findet die Schärfe von Ligetis Zeichnung nicht immer auf der Bühne eine passende Antwort – die Folterung Astradamors durch die Ehefrau fällt etwa mit einem Schal einigermaßen verweichlicht aus. Hingegen ist die Reduzierung der Szene am Ende der Oper ein absichtsvolles, wiederum beunruhigendes Moment, und auch das verstörende Nichts, untermalt von intensiver Orchestermalerei, bekommt hier eine Bühne. Für die vom Wiener Publikum bejubelte fortwährende Achterbahn der Emotionen sorgt mit Hang zum Luxus auch das fabelhafte Orchester der Staatsoper und der Slowakische Philharmonische Chor unter Leitung von Pablo Heras-Casado. So gestochen scharf und auch in Idiomen von Choral und Passacaglia bis zur Folklore-Schräglage sicher unterwegs hört man Ligeti wieder mit gespitzten Ohren und möchte glatt einer Empfehlung aus der Matinee folgen: am besten alle sechs Aufführungen hören! Ja, warum eigentlich nicht: Abo-Ligeti, bis wir sterben.

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