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Zürich, Opernhaus: MACBETH, 21.11.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Macbeth

Copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave und Andrea Maffei | Uraufführung der ersten Fassung: 14. März 1847 in Florenz | UA der zweiten Fassung: 21. April 1865 in Paris | Aufführungen in Zürich: (Wiederaufnahme): 17.11. | 21.11. | 25.11. | 28.11. | 1.12.2023

Kritik:

IN DER DÜSTERNIS DES INNEREN HORRORS

Auch sechs Jahre nach der Premiere fasziniert Barrie Koskys Eintauchen in die Gedankenwelt des Bösen, seine Konzentration auf das unheimliche Paar des Grauens -Macbeth und seine Lady - in dem schwarzen Tunnel der Unentrinnbarkeit vor der eigenen Besessenheit, den Klaus Grünberg für diese bezwingende Produktion auf die Bühne gestellt hatte. Bei der zweiten Begegnung mit dieser düsteren Inszenierung gibt es nur wenige Momente, wo man sich etwas weniger Abstraktion, etwas mehr "Farbe" und Ambiente wünscht. Ich denke da gerade an Menschen, die weder das Drama Shakespeares vertieft kennen, noch sich eingehender mit Verdis Adaption beschäftigt haben. Da wirkt sich das Fehlen jeglicher Effekte (das Erscheinen des Geistes Banquos beim Fest, die Reaktionen der Gäste, die Prophezeiungen der Hexen mit der Parade der zukünftigen Könige u.v.a.m.) doch etwas hemmend für das grunsätzliche Verständnis des Werks aus. Trotzdem kann ich nach wie vor zu meinem überwältigten Eindruck der Premiere von 2016 stehen, welchen ich hier einfüge, damit die geneigten Leser*innen nicht zwischen meinen beiden Rezensionen hin- und herklicken müssen.

„Tu, notte, ne avvolgi – di tenebre immota“ (Du, Nacht, umhülle uns mit dichter Finsternis) – heisst es bei Verdi/Piave/Mattei, „Come, thick night, And pall thee in the dunnest smoke of hell ...“ bei Shakespeare. Ja, MACBETH ist ein Nachtstück, das Nachtstück schlechthin, sowohl bei Shakespeare als auch bei Verdi. Die Finsternis gebiert das Grauen, beherbergt die Dämonen, welche sowohl das mörderische Paar als auch uns alle heimsuchen. Den Horror auf die Bühne zu bringen, ist keine leichte Aufgabe, will man sich nicht in oberflächlichen Blutorgien suhlen. Das Inszenierungsteam dieser Neuproduktion von Verdis revolutionärem und in seiner Radikalität geradezu höllisch abgründigem Werk lässt das Stück ganz aus dem Dunkel der Nacht heraus entstehen und belässt es auch dort. Einen sich nach hinten stark verengenden, von matten Lichtern gesäumten, rabenschwarzen (auf die Raben kommen wir noch) Tunnel des Grauens hat der Bühnenbildner und Lichtgestalter Klaus Grünberg auf die Bühne bauen lassen. Genau wie für Verdi ist für den Regisseur Barrie Kosky in dieser Oper nur die Beziehung Macbeth – Lady von Interesse. Es geht ihm um die Darstellung der krankhaften Besessenheit der beiden Protagonisten, und eine solche Besessenheit kommt natürlich aus dem Kopf, dem Geist. So verbannt der Regisseur alles „Dekorative“ von der Bühne. Selbst die Hexen singen aus dem Dunkel der Seitengänge. An ihrer Stelle treten unheimliche, nackte Zwitterwesen auf, Frauen mit nackten Brüsten und Penissen, Männer mit Vaginas, welche für beklemmende Szenen sorgen, wenn sie mit ihren Händen nach Macbeth greifen, ihn umgarnen, bedrohen, aber auch wieder liebevoll in ihrem Kreis einbetten und bergen. „Come, you spirits, unsex me“ heisst es bei Shakespeare – und genau das tun diese nackten Dämonen hier auf der Bühne - genial. Der Statistenverein des Opernhauses Zürich leistet hier Grandioses. Atemberaubend und packend ist auch die Darstellung dieser kaputten Paarbeziehung. Nur einmal haben sie (abgebrochenen) Sex, in dem Moment, wo sie sich im Taumel der geplanten Ermordung von König Duncan (dem ersten Mord der Serie) kurz am Boden wälzen. Ansonsten ist diese Beziehung längst „unsexed“. Ein wannenförmiger Lampenschirm wirft fahles Licht auf die Mitte der Bühne; in diesem Lichtkäfig spielt sich eigentlich alles Wesentliche ab. Zwei Stühle reichen als Objekte aus. Die langen Mäntel mit ihren weiten Ärmeln (die Kostüme stammen von Klaus Bruns) erinnern an Figuren aus dem japanischen Nō-Theater, das auch etwa um die Zeit entstand, in der Shakespears Drama spielt, die langen Haare der Männer wecken Assoziationen zu HERR DER RINGE oder Mel Gibsons schottischem Schlachtepos BRAVEHEART. Requisiten braucht Kosky wenige: Natürlich die Dolche, Luftschlangen für die Festszene (auch dies ein ganz starkes Bild), einen Ball für Bancos Knaben Fleance – und natürlich die Raben! Diese Symbolvögel (als Todesboten und Unheilverkünder gefürchtet seit biblischen Zeiten, über E.A.Poe bis zu Hitchcock, den OMEN Filmen und natürlich Dario Argentos Horrorfilm TERROR IN DER OPER, in welchem die Raben eine MACBETH Aufführung an der Scala terrorisieren) spielen in der Zürcher Produktion schon beinahe die Hauptrolle. Ihre schwarzen Federn fallen unheilsschwanger aus der Lichtwanne, wenn mal wieder ein Mord passiert ist, ihre toten Körper bedecken den Titelhelden, sie begleiten die Lady in ihren fatalen Wahnsinn, den Macbeth in seinen Tod. Der Abteilung Theaterplastik des Opernhauses sind täuschend echt wirkende Nachbildungen gelungen und vor allem der sich bewegende und mit der Lady in der Wahnsinnsszene parlierende Rabe ist ein technisches Meisterwerk. Wenn Macbeth dann von Macduff erstochen wird, reisst dieser haufenweise schwarze Federn aus Macbeths aufgeschlitztem Rücken, wie wenn man ein Stofftier ausweidet. Übrig bleibt ein quasi hüllenloser Macbeth, nur im Unterhemd, an dem noch wenige verlorene Federn kleben. Auch das ein eindringliches Bild, wie so viele an diesem Abend.

KNALLIG, ABER NICHT OBERFLÄCHLICH PLAKATIV

Für diese Wiederaufnahme wurden sämtliche Partien neu besetzt, auch am Pult steht mit Daniele Squeo ein neuer musikalischer Leiter. Squeo setzt ganz auf scharfe Akzente, das ist wunderbar vorwärtsdrängend auf Zug angelegt, er lässt die mit fantastischer Präzision spielende Philharmonia Zürich an entscheidenden Stellen so richtig mitreissend knallen. Passt perfekt zu diesem mörderischen Drama. Im Vorspiel zum vierten Akt, dieser einleitenden Sequenz zur Wahnsinnsarie der Lady Una macchia è qui tuttora, überzeugt das Orchester mit feinfühlig ausgeführter klanglicher Transparenz. Wunderbar liess sich beobachten, wie Daniele Squeo mit den Sänger*innen mitatmet, sie trägt, den Text stumm vorspricht und so zu sich richtig anfühlenden Tempi findet und den dräuenden Sog des Unheimlichen erreicht. 

Herausragend besetzt sind alle Rollen in dieser Wiederaufnahme: George Petean ist ein differenziert intonierender Titelheld; sein ausgeglichener Bariton strömt mit immensem Wohllaut, seine Textdurchdringung und die Artikulation sind makellos. Da Macbeth in dieser Produktion am Ende sowohl die grosse Arie Pietà, rispetto, amore als auch die Sterbeszene aus der Urfassung Mal per me darbieten darf, kommt man erfreulicherweise in einen noch ausgedehnteren Genuss von Peteans Gesangs- und Interpretationskunst. Schauspielerisch ist er ganz grosse Klasse; wie er zu Beginn seine Ängste (und auch seine Feigheit) versucht zu überwinden, Schwäche zeigt, sich von seiner Gemahlin zu den grauenhaften Taten befeuern lässt und gegen Ende in fatalistische Selbstüberschätzung und danach Selbsterkenntnis mit nachfogendem Wahn driftet, bringt George Petean mit bemerkenswerter Darstellungskunst zum Ausdruck. Als Lady fasziniert Ewa Płonka mit den geforderten, durch Mark und Bein dringenden, knalligen Tönen in der Auftrittsarie und der Cabaletta Vieni t'affretta - Or tutti sorgete, gestaltet in La luce langue und im Brindisi des zweiten Aktes gekonnte, messerscharfe Fiorituren und begeistert mit überragend gehaltenen Fermaten im Finale I, wo sich im Unisono von Chor, Solisten und Orchester die Pforten zur Hölle mit effektgeladener klanglicher Wucht öffnen. In der "Wahnsinnsarie" Una macchia è qui tuttora im vierten Akt kann man das etwas fehlende ätherische Abgleiten in den Wahnsinn bemängeln. Ewa Płonka bleibt stimmlich zu geerdet, sicher intonierend, aber die geforderten Töne erklingen nicht im notierten dreifachen Piano mit der von Verdi gewünschten "fil di voce" - also schwacher, dünner Stimme.

Als Banquo verströmt Vitalij Kowaljow edle, bassgewaltig gerundete Töne und begeistert mit der Profundität seines wunderbaren Basses. Glücklich darf sich ein Opernhaus schätzen, das einen mit einer herrlich strahlenden Tenorstimme gesegneten Sänger wie Omer Kobiljak im Ensemble hat. Manchmal kann man es sich kaum erklären, dass er so wenig in gewichtigeren Partien eingesetzt wird und dafür Gäste eingeflogen werden. Von seinen wunderbaren Qualitäten konnte man sich gestern Abend in seiner einzigen Soloszene, der Arie O figli, figli miei beglücken lassen: Strahlende und ergreifende Phrasen von berückendem Schönklang.

Davor erfolgte der bewegende Auftritt des Chores der Oper Zürich mit der erschütternden Klage um die verlorene Heimat und um die Opfer des tyrannischen Paares auf dem schottischen Thron. Mut gemacht wurde diesen Vertriebenen vom Sohn des erordeten Königs Duncan, Malcolm. Und dieser liess wahrlich aufhorchen. Noch nie habe ich die wenigen Phrasen des Malcolm so überzeugend und mitreissend wahrgenommen wie gestern Abend: Maximilian Lawrie ist zur Zeit noch Mitglied im IOS - es wird sich lohnen, seine weitere Entwicklung im Auge (und im Ohr) zu behalten! Vervollständigt wurde das grossartige Ensemble dieser Wiederaufnahme von weiteren talentierten Mitgliedern des IOS: Ann-Kathrin Niemczyk als Kammerfrau der Lady, Amin Ahangaran als Arzt und Gregory Feldmann als Diener Macbeths und gedungener Mörder Banquos. 

Ein starker Abend!

Inhalt:

Schottland Mitte des 11. Jahrhunderts

Auf dem Rückweg von einer siegreichen Schlacht begegnen den beiden Feldherren Macbeth und Banquo Hexen, von denen sie sich die Zukunft prophezeien lassen. Für Macbeth sagen die Hexen voraus, er werde bald Than (ein hoher schottischer Edelmann) von Cawdor und später König sein, Banquo hingegen werde Vater von Königen werden. Ein Soldat grüsst Macbeth darauf als Than von Cawdor, der Amtsvorgänger sei hingerichtet worden – die erste Prophezeiung der Hexen hat sich erfüllt.

In einem Brief ihres Gemahls erfährt Lady Macbeth von den Prophezeihungen. Die ehrgeizige Frau will den Voraussagen etwas Nachschub verleihen und überredet ihren zögernden Gemahl zum Königsmord. Die Gelegenheit ist günstig, denn der König Duncan hat sich mit seinem Gefolge zum Besuch auf Macbeths Anwesen angekündigt. Macbeth vollbringt in der Dunkelheit der Nacht die Tat, die Lady besudelt die schlafenden Wachen mit Blut und lenkt so die Schuld auf diese.

Macbeth wird nun König. Doch da ist noch Banquo – ein Mann der Verdacht schöpft und (gemäss den hexen) Vater zukünftiger Könige sein wird. Also beschliesst Macbeth auch seinen Waffengefährten und dessen Sohn zu töten. Banquo wird von gedungenen Mördern umgebracht, doch sein Sohn kann fliehen.

Anlässlich eines Banketts bringt die Lady Trinksprüche aus, Macbeth hingegen verfällt zusehends in Grübeleien und sieht Banquos Geist an seinem Platz sitzen. Den Adligen fällt Macbeths merkwürdiges Verhalten auf. Besonders der edle Macduff wird misstrauisch und flieht.

Macbeth will noch einmal die Hexen befragen: Sie sagen ihm, dass kein auf natürliche Weise Geborener ihm gefährlich werden könne und er sich keine Sorgen zu machen brauche, bis der Wald von Brinam gegen sein Schloss vorrücke. Die Lady überredet ihren Gemahl, Macduffs Familie auszulöschen.

Macduff hat seine mit ihm geflohenen Anhänger mit dem Heer des Duncan-Sohnes Malcolm vereinigt. Im englischen Exil planen sie die Befreiung Schottlands vom Usurpator Macbeth. Als Tarnung verwenden sie Äste aus dem Wald von Birnam.

Unterdessen ist die Lady an der Grenze zum Wahnsinn angelangt: Sie sieht Blutflecken an ihren Händen die nicht verschwinden wollen. In einer der grossartigsten Szenen der Oper gesteht sie ihre Schuld und sinkt entseelt nieder. Macbeth lässt der Tod seiner ambitionierten Frau kalt. Er hat andere Sorgen, da der Wald von Birnam gegen ihn anrückt. In der Schlacht vermeint er zu triumphieren, doch Macduff schreit ihm ihm Zweikampf entgegen, dass er seiner Mutter bei der Geburt aus dem Leib gerissen worden sei – die letzte Prophezeiung der Hexen erfüllt sich ebenfalls und Macbeth stirbt durch Macduffs Schwert. Malcolm wird neuer König.

Werk:

Zeitlebens hat sich Verdi mit Shakespeare beschäftigt, erkannt in dessen Werken riesiges Potential für das Musiktheater und setzte drei Werke des englischen Dichters in Musik: MACBETH, OTELLO und FALSTAFF. Mit KING LEAR beschäftigte er sich ebenfalls ausgiebig, gelangte jedoch nie zur Niederschrift einer Partitur und vernichtete schliesslich sämtliche Skizzen.

MACBETH stellte 1847 geradezu ein revolutionäres Werk dar: Keine Liebesgeschichte, eine Handlung voller Blut und Düsternis, der Tenor in einer Nebenrolle (Macduff). Von der Kritik wurde das Werk abgelehnt, das Publikum der Uraufführung feierte zwar den Komponisten mit 38 Vorhängen, doch so richtig durchsetzen konnte sich MACBETH nie. Für Paris arbeitete Verdi seine Lieblingsoper etwas um, fügte das obligate Ballett ein, komponierte für die Lady eine neue Arie im zweiten Akt (La luce langue), der Chor der vertriebenen Schotten (O patria oppressa) und ein neuer Schluss für den vierten Akt kamen dazu. Dafür wurde Macbeths Sterbeszene geopfert, welche zum jedoch seit Erich Leinsdorfs Dirigat an der Met 1950 oft auch in die Zweitfassung (Paris 1865) aufgenommen wird. Als Schlachtmusik griff Verdi, der sonst mit traditioneller Schulmusik nicht allzu viel am Hut hatte, auf eine Fuge zurück, da ihm deren Reibungen und Gegenüberstellungen von Themen als besonders angemessen dafür erschienen. Doch auch die Pariser Fassung war seinerzeit heftig kritisiert, ja gar als „unshakespearisch“ bezeichnet worden, was den Shakespeare-Kenner und –Verehrer Verdi ganz besonders schmerzte. Erst nach 1920 erkannte man die immensen Qualitäten des Werks und seine herausragende Stelle im Schaffen des Komponisten auf dem Weg von den konventionellen Anfängen zum echten Musikdrama, mit psychologisch feinsinnig und intelligent durchformten Charakteren. Gerade mit der Figur der Lady ist ihm eine Gestalt gelungen, die sich wie ein erratischer Block aus der italienischen Opernlandschaft erhob: Eine Frau, die mit hässlicher, rauer, hohler aber auch Mark und Bein durchdringender Stimme und dann wieder in tragfähigstem Piano flüsternd zu singen hatte, keine Sympathien erwecken durfte – eine Sängerin mit diabolischer Klangfarbe ist gefordert. Die Partie wurde im 20.Jahrhundert sowohl von Sopranistinnen (Callas, Rysanek, Barstow, Zampieri), hochdramatischen Sopranen (Nilsson, Dame Gwyneth Jones) als auch von dramatischen Mezzosopranistinnen erfolgreich verkörpert (Cossotto, Verrett, Ludwig).

Musikalische Höhepunkte:

Vieni, t´affretta, Briefszene und Arie der Lady, Akt I

Fatal, mia donna, Duett Macbeth-Lady, Akt I

Schiudi, inferno, Finale Akt I

La luce langue, Arie der Lady, Akt II

Studia il passo, Szene und Arie des Banquo, Akt II

Si colmi il calice, Brindisi der Lady, Akt II

Che fate voi, Szene Macbeth-Hexen, Akt III

Patria oppressa, Chor Akt IV

O figli, figli miei, Arie des Macduff, Akt IV

Una macchia, Wahnsinns- und Sterbeszene der Lady, Akt IV

Pietà, rispetto, amore, Arie des Macbeth, Akt IV

Mal per me, Sterbeszene des Macbeth aus der Urfassung, Akt IV

Karten

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