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PARIS/ Palais Garnier: Maurice Ravels „Ma Mère l’Oye“ und „L’Enfant et les Sortilèges“. Ein Märchenabend sorgt für klingelnde Kassen

22.11.2023 | Oper international

Ein Märchenabend sorgt für klingelnde Kassen in Paris: Maurice Ravels „Ma Mère l’Oye“ und „L’Enfant et les Sortilèges“ im Palais Garnier

Wie viele Häuser hat auch die Pariser Oper nach der Corona-Zeit an ihren Spielstätten Bastille und Palais Garnier mit Auslastungsproblemen zu kämpfen. Zudem muss Intendant Alexander Neef mit einem knapperen Budget als erwartet auskommen. Da ist es natürlich verständlich, gerade zur beginnenden Adventszeit ein Stück aufs Programm zu setzen, dass für klingelnde Kassen sorgt. Derzeit sind alle Aufführungen des Ravel-Doppelabends ausverkauft. Und das ist auch gut so, denn was Richard Jones und Antony McDonald als Regie- und Ausstattungsteam für die auch in unseren Breiten recht oft gespielte Kurzoper „L’Enfant et les Sortilèges“ (Uraufführung war 1925) schaffen, ist ein unterhaltsamer, mit schnellen Bildwechseln und schönen Ideen gefütterter Trip.

Maurice Ravel arbeitete in dieser von ihm als „Lyrische Fantasie“ bezeichneten Stück mit der damals supererfolgreichen und auch heute keineswegs vergessenen Schriftstellerin Colette zusammen. Die beiden erzählen auf witzige, bissige Weise von einem arbeitsscheuen Kind (Marine Chagnon singt und spielt das sehr schön), welches in seinem Zimmer so lange herum wütet, bis die Stofftiere, Teetassen, Möbel ein Eigenleben entwickeln. Die Sache fängt – in der Vorlage und auf der Bühne – lustig an, im Palais Garnier sieht man schräge Wände und ein riesenhaftes Teeservice, das vorher noch ganz klein war und vom Kind weggeschleudert wurde. Doch mehr und mehr wird die Sache zum Alptraum, es gibt eine bedrohliche Mathematikstunde (mit tollem Einsatz junger Tänzerinnen und Tänzer an den Schulpulten), Tiere fangen an, miteinander zu kämpfen. Als das Kind für ein liebes Zottel-Wesen Erbarmen zeigt, ist der Spuk vorbei. Ravel hat eine Fülle von wunderbaren Einfällen und wechselt gern und rasch Harmonien, die Sache geht wirklich gut und elegant ins Ohr!

Patrick Lange dirigiert das Pariser Opernorchester klangsinnlich und emphatisch, Jones und McDonald inszenieren aus kindlicher, aber nie kindischer Perspektive. Eine Dreiviertelstunde zum Zurücklehnen und Genießen – gibt es ja auch nicht so oft momentan…

Vor dem ungezogenen Kind mit seinen Zauberdingen steht Ravels „Ma Mère L’Oye“ auf dem Programm. Dieses Werk basiert auf einem Märchen von Charles Perrault und erzählt die Geschichte von „Mutter Gans“, eine im Wortsinne Fabel-hafte Chose. Wieder lässt Ravel die Musik flirren und sprühen, eilt vom Knalleffekt zu Klangpreziose. Paris gibt nun die Ballettfassung und es tanzt, in der Choreographie von Martin Chaix, das Nachwuchsensemble, die Élèves de l’École de Danse. Auch im Publikum sitzen viele Elfen mit hübschen Hüten, feinen Kleidchen und natürlich in Begleitung ihrer Eltern oder Verwandten.

Bühnenbildnerin Camille Dugas lässt eine Reihe von Steinen oder vielleicht auch Wolken über der sonst meist leeren Szene schweben, manchmal bewegen sie sich etwas, am Ende schneit es. Martin Chaix geht es um das – positiv gemeint – Vorführen seiner teils stupenden Talente, aber auch ums – lockere – Erzählen der Handlung. Eine ganze Reihe an Märchenfiguren tauchen auf und verschwinden rasch wieder. Ravel schrieb dieses Pasticcio für die Kinder von Freunden um 1910. In der Ballettversion lässt man sich am besten von den Bewegungen treiben und folgt seinen eigenen Assoziationen. Patrick Lange dirigiert übrigens auch hier gut und à point.

Noch ein Servicetipp: beim Herauskommen aus der Oper schnell an den unerträglichen Kitsch-Schaufenstern der großen Kaufhäuser vorbei eilen, wo es heuer besonders dämliche, dazu aggressiv kommerzielle Dekorationen gibt. Nein, das hartnäckig aufs Nobelparfüm pickende Vöglein lehnen wir ebenso ab wie den oft mit lauter, quälend quäkender Musik aufgemotzten Rest!

Wie viele Aufführungen der Pariser Nationaloper ist übrigens auch das Ravel-Doppel als Stream abrufbar, da gibt es dann keine Großstadthektik und überlastete U-Bahnen zu bewältigen.

J.F.F.

 

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