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STUTTGART/Staatsoper: LA FEST – Reise in die Welt des Sonnenkönigs

04.12.2023 | Oper international

Premiere „La Fest“ in der Staatsoper am 3.12.2023/STUTTGART

Reise in die Welt des Sonnenkönigs

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Foto: Matthias Baus

 In der Regie und Choreografie von Eric Gauthier (Bühne: Susanne Gschwender; Kostüme: Gudrun Schretzmeier) geht es zurück in die Barockzeit. Die Geschichte einer alten Frau wird hier erzählt, deren Lebensjahre man in bunten und prallen Bildern zurückverfolgen kann. Die Mezzosopranistin Diana Haller interpretiert diese Frau mit brillanten Spitzentönen und Koloraturen. Für „La Fest“ hat der Dirigent Benjamin  Bayl Arien, Ensembles, Chöre und Tänze aus dem vielgestaltigen Kosmos von ca. 1600 bis 1760 ausgewählt. Es ist Musik aus der Feder von 21 Komponisten. Die dabei entstandene Partitur folgt der spannungsvollen Dynamik eines Festes. Auf Momente des hymnischen Hochgefühls folgt melancholische Nachdenklichkeit. Das Programmheft animiert die Zuschauer mit Hilfe von Autoren wie Virginia Woolf bis Leif Randt zum Besuch weiterer Feste. Da entsteigen diverse Protagonistinnen einer riesigen Torte. Und beim Essen am großen Büffet spricht man einen Toast auf die Gastgeberin aus, deren Fehlen niemandem auffällt.  Selbst das frisch verliebte Paar geht hier plötzlich eigene Wege. Ein riesiger Schmetterling, ein großer Leopard und ein Tintenfisch werden ritualartig hereingetragen. Frösche werden begutachtet, zum Schluss stürmt noch ein Gewitter über die Bühne. Es ist ein buntes Flimmern und Flirren unterm Sternenhimmel. Und durch das ganze Haus fliegen schwarze und silberne Luftballons. Neben der Barockmusik gibt es auch elektrisierende Techno-Einlagen. Alle fühlen sich im Tanz total miteinander und mit der ganzen Welt verbunden. Zuletzt vertreibt ein kleines Mädchen die Dämonen mit einem berührenden Lied. Die Gastgeberin kennt das Mädchen sehr genau – und auch die brennende Torte kommt ihr bekannt vor.

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Foto: Matthias Baus

Unter der zupackenden Leitung von Benjamin Bayl musiziert das Staatsorchester Stuttgart feinnervig Anklänge aus Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, die auch der fulminante Staatsopernchor intoniert. Gleich die rasant musizierte Ouvertüre zur Oper „Achante et Cephise“ von Jean-Philippe Rameau entführt die Zuschauer mit kontrapunktischem Feinschliff in die Welt König Ludwig XIV. – und der französische „Sonnenkönig“ geistert auch bei der dritten Air der Mänaden und beim  Marsch der Satyrn und Mänaden aus dem Prolog der Oper „Semele“ von Marin Marais  in eindringlicher Weise durch die Hallen der Staatsoper. Zudem werden blaue und rote Drinks gereicht. Bei der „Ode für Queen Mary“ von Henry Prucell imponierte die Strahlkraft des Staatsopernchors unter der Leitung von Manuel Pujol mit modal gefärbter Harmonik. Einen ähnlich positiven Eindruck gewinnt man von Henry Purcells „Come Follow me“ aus der Semi-opera „King Arthur“. Bei Antonio Vivaldis „Dell’aura al sussurrar“ aus der Oper „Dorilla in Tempe“ triumphiert der Staatsopernchor mit kunstvoller al-fresco-Technik. Gleichzeitig decken hier Geisterkellner die Tische ein. Und bei Andre Campras Menuet en Rondeau aus der Oper „Le carneval de Venise“ treffen schließlich die Gäste ein. Eric Gauthier gelingt es bei seiner Inszenierung durchaus, die Lebendigkeit und  das innere Vibrieren dieser Handlung herauszustellen. Die einzige Schwäche sind die manchmal etwas unvermittelt hereinbrechenden Einlagen der Techno-Musik, die das harmonische Gerüst in störender Weise auseinanderfallen lassen. Diana Haller entlockt „Son qual nave“ aus dem reizvollen Opern-Pasticcio „Artaserse“ von Riccardo Broschi  weitere feingliedrige Klangnuancen. Und der Staatsopernchor fasziniert mit opulenter Leuchtkraft bei Jean-Philippe Rameaus  „Vive la race de nos rois“ aus der Oper „Achante et Cephise“ sowie bei Georg Friedrich Händels „Venus laughing through the skies“ aus dem Oratorium „Theodora“.  Der ukrainische Countertenor Yuriy Mynenko zeigt bei Henry Purcells „Strike the Viol, Touch the Lute“ aus der Oper „Birthday Ode for Queen Mary“ im Arrangement von Benjamin Bayl kunstvolle  Girlanden und Figurationen. Alberto Robert (Bariton) überzeugt einmal mehr bei „Ihr sanften Winde“ aus der Oper „Ulysses“ von Reinhard Keiser mit suggestiven melodischen Chiffren. Bei Agostino Steffanis Ritornello aus dem ersten Akt der Oper „Niobe, regina di Tebe“ sowie der knisternd musizierten Gigue aus der Oper „Orlando Generoso“ folgt das Flaschendrehen – abrupt unterbrochen von einer Eifersuchtsexplosion in Leonardo Vincis „Ama chi t’odia“ aus der Oper „Gismondo, Re di Polonia“ mit der grandiosen Sopranistin Claudia Muschio, deren Kantilenen und Spitzentöne zudem bei weiteren Arien von Leonardo Vinci und Nicola Porpora immer wieder explodieren. Bei Jean-Fery Rebels „Chaos“ aus der Orchestersuite „Les Elemens“ wird die Vertreibung der Dämonen beschworen. Cluster-Effekte wecken dabei Assoziationen zur Neuen Musik. Natasha Te Rupe Wilson (Sopran) und Alberto Robert (Tenor) gefallen außerdem bei Jean-Philippe Rameaus „Suivez les lois“ aus dem Opera-ballet „Les Fetes d’Hebe“. Der famose Bariton Yannis Francois fesselt bei „Augen, machet euch bereit“ aus der Oper „Iphigenia in Aulis“ von Carl Heinrich Graun. Hinzu kommt noch „Smile“ von Charlie Chaplin – garniert mit Texten von John Turner und Geoffry Parsons. Auch Johann Sebastian Bachs „Air“ aus der dritten Orchestersuite darf nicht fehlen. Die Liedmelodie des Air kosten über ruhig schreitendem ostinatoartigem Bass die Violinen allein aus. Auch bei Johann Sebastian Bachs Aria  aus den „Goldberg-Variationen“ sind die Tänzerinnen und Tänzer in ihrem Element. Es gibt sogar noch eine After-Show-Lounge mit DJ Jae sowie vereinzelte Konfetti-Einlagen. Als Kind überzeugt Lia Grizelj. Das Geschehen scheint zuletzt aber hoffnungslos auszuufern. Ovationen und Jubel für die Sänger, das Orchester und den Dirigenten – vereinzelte  „Buh“-Rufe gibt es für Eric Gauthier.  

Alexander Walther

 

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