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MAILAND / Teatro alla Scala / Stream: DON CARLO

08.12.2023 | Oper international
live †bertragung der oper don carlo am 07. dezember

Bild: Sendeanstalt/Copyright“. 

MAILAND / Teatro alla Scala / Stream: 
DON CARLO von Giuseppe Verdi
Premiere:  7. Dezember 2023 

Wer an diesem 7, Dezember, dem Tag des heiligen Ambrosius, in Wien Karten für die „Turandot“-Premiere an der  Wiener Staatsoper hatte, wird wohl hingegangen sein. Aber wer daheim bleiben musste und einen Stream auf einen großen Fernsehbildschirm plus guter Tonanlage legen konnte, war mit der Premiere aus der Mailänder Scala, geboten von arteCONCERT, auch nicht schlecht bedient.

Schließlich hatte der dortige Direktor, der in Wien bestens bekannte Dominique Meyer, (fast) alles aufgeboten, was die derzeitige Opernszene an großen Namen zu bieten hat. Und, wie man sich aus seiner Wiener Zeit erinnert, er belästigt sein Publikum nicht gerne mit „Interpretationen“, was ihm vielfach übel genommen wurde.

Kritische, von Zeitgeist getaufte Journalisten werden die „Don Carlo“-Inszenierung von Lluís Pasqual als pure „Bebilderung“ der Handlung begreifen und verdammen – aber das hat natürlich auch seine Vorteile. Erstens wird das Werk gezeigt, wie es ist, man muss über keinen nur dem Regisseur erklärlichen Subtext rätseln, weil der Text ja eigentlich mehr als genug hergibt, und Sänger sind in solchen Präsentationen immer in bevorzugter Position, weil sie ohne optische und darstellerische Verbiegungen und Verzerrungen ihre ganze Persönlichkeit einwerfen können. Und das taten alle an diesem Abend wahrlich. Oper von gestern? Man kann auch „Oper pur“ sagen.

In einem düsteren, gefängnisartigen Bühnenbild (Daniel Bianco), das im Autodafé-Akt durch einen goldenen Hintergrund die grausame Repräsentation dieser Szene verstärkt, in Kostümen (Franca Squarciapino), die zwar nicht wirklich korrekt, aber doch andeutungsweise 16. Jahrhundert zeigen, wird „Don Carlos“ (wie wir sagen) als das gezeigt, was es ist: eine große Haupt- und Staatsaktion mit überdimensionalen Gefühlen: Liebe, Eifersucht, Freundschaft, repressive Politik, Widerstand, Tapferkeit und schließlich Tod leuchten in aller Dramatik auf. Mehr braucht es nicht, der Rest gehört der Musik.

So, wie diese durch den Abend rauschte, hatte Ricardo Chailly keine Finessen vor, sondern immer nur Dramatik per se, vom ersten Ton des Orchesters, dem ersten Ton der Sänger an, die allesamt dazu angehalten waren, mit voller Kraft alles zu geben. Das dunkle Spektakel fesselt schon von dem musikalischen Grund auf, den Chailly unter den Abend legt.

Und die Besetzung. Die zwei größten Damen-Namen, die die Opernwelt derzeit zu bieten hat, in zwei fast gleichwertigen Rollen. Das ist durchaus ein Duell, das es in sich hat. Die Prinzessin Eboli hat das erste Wort. In einem fast beschwingten Ambiente (so ist es bei Philipp II. wohl nicht zugegangen, in der Oper darf es sein) singt sie ihre „Schleier-Arie“ mit fürstlichem Impetus – Elīna Garanča als rothaarige Schönheit von nicht zu bremsendem Temperament. Sie hält ihre Dramatik bis zum zerstörerisch-tragischen „Don fatale“ durch – tatsächlich hat man das Gefühl, dass sie neuerdings (auch bei ihrer Bayreuther Kundry zu beobachten) mehr persönliche Anteilnahme in ihre Rollen legt als früher (da manche Carmen wirkte, als sei sie gar nicht dabei). Auch ist ihr Mezzo nach Jahren heller Färbung  jetzt endlich so dunkel und mezzogleich, wie man es für diese Stimmlage wünscht. Allerdings – und das gilt auch für Anna Netrebko – ist auch  Elīna Garanča schon zwei Jahrzehnte im Geschäft, leichte Abnützungserscheinungen sind zu hören. Dafür funkelt die Persönlichkeit geradezu und wischt jeden Einwand weg.

don carlo netrebko vvv vvv

Nach der Prinzessin Eboli allerdings kommt „la regina“, und besser kann man Anna Netrebko nicht charakterisieren. Übrigens erweisen die Italiener wieder ihren untrüglichen Geschmack – gegen die rothaarige Hexe der Garanča setzen sie das schwarzhaarige, auf wunderschöne Elizabeth Taylor geschminkte Leidensbild der Elisabetta, Gott segne Menschen, die Sinn für Optik haben. An das nachgedunkelte Timbre der Netrebko hat man sich schon gewöhnt. Sie könnte auch die Eboli singen, aber es wäre natürlich schade um ihre Höhen, auch wenn sie im Forte schon manchmal scharf klingen, aber ihr Piano, ihre Technik ist noch immer berauschend. Und sie umgibt die Rolle mit dem Flair tragischer Würde, was ja ideal zur Figur passt.

Normalerweise ist der König auch der König des Abends, bloß hier leider nicht. Michele Pertusi kann es mit der Stimmkraft aller anderen Kollegen nicht aufnehmen, auch klingt sein Timbre zu trocken. Seine traurige Arie gelingt, von Chailly sensibler begleitet als sonst den ganzen Abend zu hören, recht schön – aber es ist nicht das erste Mal, dass Philipp von dem Großinquisitor in Grund und Boden gesungen wurde. Da sah man „unseren“ Jongmin Park, der in der Ära Meyer in Wien eine große Karriere gemacht hat, von Wagner bis Mozart, von Basilio bis Gremin und mit vielem mehr immer überzeugend einsetzbar. Ein wunderschöner, profunder, sonorer, resonanzreicher Baß. Den Karl V. hat er schon in Wien gesungen, er schlägt damit gleich zu Beginn die starken Töne des Abends an. Dann darf er auch der Großinqisitor (diesmal nicht blind) sein, und da er am Ende als solcher gebraucht wird, gibt es dann für den Mönch (Karl V.) einen Substituten. Eines Tages wird Jongmin Park ein Philipp II. sein – vorausgesetzt, niemand kommt auf die Ideen, dass ein Koreaner keinen spanischen König singen darf, weil er ja kein Spanier ist…

Vor allem mit Stimmkraft prunken auch Francesco Meli als Don Carlo (mit seinem sehr schönen Timbre) und Luca Salsi als Posa, allerdings fordert das Vollkraft-Geschmettere an einem langen Abend dann auch seinen Tribut, da ging die Anstrengung dann auch mal ins Distonieren über. Aber wer wird solche Kleinigkeiten übel nehmen?

Es war große Oper und Startheater bester Sorte, was die Mailänder hier zu ihrer Scala-Eröffnung geboten bekamen. Und gar keine „Regie“. Und die Wiener erinnern sich – haben wir nicht angesichts der Ära Roscic immer wieder einmal geahnt, dass wir Dominique Meyer noch nachweinen würden?

Renate Wagner

 

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