Am Schluss wird eine Scheinhochzeit gefeiert. Das Brautpaar steht zuoberst auf einer überdimensionierten Hochzeitstorte. Eben als der Bräutigam sich anschickt, der Braut seine Treue zu schwören, tritt die richtige Ehefrau auf, reisst der falschen Braut den Schleier vom Kopf und entdeckt, dass sie... ein Mann ist. Die ganze Hochzeitsgesellschaft bricht in beissenden Spott aus, die Ehefrau ist von ihrer Eifersucht geheilt, und die falsche Braut merkt, dass sie/er jämmerlich betrogen wurde. Bevor der Vorhang fällt, macht der Bräutigam, der offenbar gar nicht mit seiner Ehefrau in den Olymp zurückgekehrt ist, einige Schritte auf die/den Geprellte*n zu und lässt damit offen, ob es nicht doch noch zu einer homosexuellen Liaison kommen könnte. Die drei Personen sind der Göttervater Jupiter, seine Ehefrau Juno und die Sumpfnymphe Platée.

Loading image...
Mathias Vidal (Platée)
© Toni Suter

Französische Barockopern haben im deutschen Sprachraum einen schweren Stand: Die Sujets sind der antiken Mythologie entnommen, die Anspielungen an die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse am Hof versteht heute kaum noch jemand, die vielen Ballette scheinen den Fluss der Handlung zu stören, und die altertümliche französische Sprache macht das Ganze auch nicht einfacher. Dass das Opernhaus Zürich mit Rameaus Platée ein Stück ebendieses Repertoires auf die Bühne gebracht hat, war ein Wagnis. Nach der Premiere darf man mit Freude feststellen, dass der künstlerische Versuch gelungen ist.

Loading image...
Mathias Vidal (Platée) und Evan Hughes (Jupiter)
© Toni Suter

Personell konnte die Intendanz dabei auf das Gespann der Dirigentin Emmanuelle Haïm und der Regisseurin Jetske Mijnssen zurückgreifen, die bereits 2019, ebenfalls unter Mitwirkung des hauseigenen Barockensembles La Scintilla, eine Oper Rameaus erarbeitet hatten. Im Unterschied zur Tragéde lyrique Hippolyte et Aricie handelt es sich bei Platée um ein Ballet bouffon, also eine Ballettkomödie. Daraus haben Mijnssen und Haïm zwei Schlüsse gezogen: Erstens soll das Ballett keine lästige Unterbrechung der Handlung, sondern ein konstitutiver Bestandteil des Werks sein. Zweitens muss das Stück für ein heutiges Publikum amüsant sein.

Loading image...
Platée
© Toni Suter

Um die Verbindung zwischen der Sänger- und der Tänzerwelt herzustellen, lassen die Regisseurin und der Bühnenbildner Ben Baur das Stück in einem Zweispartentheater spielen, das aus einem Ballett- und einem Opernensemble besteht. Der Bassbariton Evan Hughes, der Jupiter singt, hat eine ausgesprochen tänzerische Begabung. Wenn Jupiter und Platée sich zum ersten Mal begegnen, sind sie in Kleidung und Bewegungen kaum von den acht Tänzerinnen und Tänzern des Corps du Ballet zu unterscheiden. Die Kostümbildnerin Hannah Clark steckt sie alle in weisse Tutu-Röcke und Federkleider. Und Kinsun Chan choreographiert das Ganze so raffiniert, dass man nicht weiss, ob es sich nun um eine Opern- oder eine Ballettszene handelt.

Loading image...
Mathias Vidal (Platée), Mary Bevan (La Folie), Theo Hoffman (Momus)
© Toni Suter

Rameau hat die Rolle der Platée für einen Haute-contre geschrieben, einen sehr hohen Tenor, der nicht im Falsett singt. Dass in den französischen Barockopern Frauenrollen niederen Standes von Männern gesungen wurden, war nichts Aussergewöhnliches. Als Sumpfnymphe steht ja Platée in der Hierarchie der Götter an unterster Stelle. Was Mijnssen jedoch ändert, ist die Tatsache, dass hier ein Mann nicht eine Frauen-, sondern eine Männerrolle spielt. Dies ist ein durchaus feministischer Ansatz: Die Regisseurin will nicht eine Frau durch die Intrige einer fiesen Männergesellschaft dem Spott preisgeben. Indem sie Platée als Mann agieren lässt, verlagert sie die Komik des Stücks, die nun in den fluktuierenden geschlechtlichen Identitäten liegt.

Loading image...
Mathias Vidal (Platée)
© Toni Suter

Der Franzose Mathias Vidal, ein Spezialist für das barocke Repertoire, erfüllt sängerisch alle Erwartungen. Er spielt die Titelfigur als sensibler, leicht schüchterner, androgyner Jüngling. Hughes’ Jupiter ist nicht, wie oft dargestellt, ein Macho, sondern ein empathischer, bisexueller Mensch, der auch stimmlich angenehm klingt. Als Karikatur erscheint die hochgewachsene Juno von Katia Ledoux, die dem Klischee von der keifenden Ehefrau entspricht und somit nicht ganz zum feministischen Ansatz passt. Der Götterbote Mercure und der König Cithéron sind die beiden Drahtzieher der Komödie; sie reden der liebeshungrigen Platée ein, Jupiter höchstpersönlich habe sich in sie verliebt. Nathan Haller verkörpert den listigen Mercure als strahlender Tenor, während der erkältete Renato Dolcini als griesgrämiger Cithéron bei der Premiere immerhin tapfer durchhält. Eine Pointe erhalten die beiden Intriganten dadurch, dass sie sich nebenbei auch um Junos Zwillinge im Kinderwagen kümmern. Unter den Nebenrollen verdient La Folie von Mary Bevan besondere Erwähnung. Von der Regie zur Haus-Choreographin aufgewertet, die auch dominahafte Züge trägt, punktet sie in ihrer Arie „Formons les plus brillants concerts” mit einem fabelhaften Koloratursopran.

Loading image...
Mary Bevan (La Folie)
© Toni Suter

Womit wir beim musikalischen Aspekt dieser Komödie sind. Emmanuelle Haïm, die mit ihrem Ensemble Le Concert d’Astrée seit über zwanzig Jahren die Barockszene massgeblich mitgestaltet, macht aus Rameaus Partitur ein Feuerwerk. Unter ihrer Stabführung (sie dirigiert mit Taktstock) klingt das Orchestra La Scintilla auf allen Ebenen schlicht betörend. Die Stilelemente wie Verzierungen, lange Vorhalte oder Jeu inégal klingen ganz natürlich. Die Eigenheiten der barocken Instrumente, insbesondere der zahlreichen Holzblasinstrumente, kommen prächtig zum Zug. Und die vielen lautmalerischen Elemente der Partitur wie das Quaken der Frösche (passend zur Sumpfnymphe) oder das Donnerrollen (zum Erscheinen Jupiters) werden wirkungsmächtig herausgehoben. Der Zürcher Platée-Produktion gelingt es somit, nicht nur eine Komödie für das Auge, sondern auch eine für das Ohr zu sein.

*****