Der Schwan zu Sevilla: Inszenierung mit Nebenschauplätzen, aber Rossinis Musik nicht behelligt

Xl_2a818c06-140f-415b-ab9d-4bf1ca990597 © Copyright Foto: Jochen Quast

Il barbiere di Siviglia Gioachino Rossini Besuch am 21. Dezember 2023 Premiere

Deutsche Oper am Rhein Theater Duisburg

Der Schwan zu Sevilla: Inszenierung mit Nebenschauplätzen, die aber Rossinis Musik nicht behelligt

Im Juni 2021 wagt die Deutsche Oper am Rhein im Düsseldorfer Haus nach dem Corona-bedingten Lockdown mit einer Neuinszenierung des 200 Jahre alten jungen Blockbusters der Opera buffa einen Neustart in den Theaterbetrieb. Zu erleben ist die Arbeit des Regisseurs Maurice Lenhard, die beim Premierenpublikum im damals gerade einmal zu einem Viertel auslastbaren Haus gut ankommt. Nun ist die Produktion ins Duisburger Theater umgezogen, leider auch mit den Schwächen der Erstausgabe.

Wer immer sich als Regisseur an eine Bühnenversion der Komödie des Rossini-Librettisten Cesare Sterbini nach dem ersten Teil der Figaro-Trilogie von Piere-Augustin Beaumarchais macht, kann im Grunde nicht scheitern. Dafür ist das Stück mit seinem komödiantischen Reichtum, den stilsicher getroffenen Charakteren in einem Tohuwabohu von Eitelkeit, Gier und Machtgelüsten sowie der federnden Musik mit ihren Melodien, Koloraturen und Crescendo-Gipfeln einfach zu stark. Lenhard, in dessen Arbeitsbiografie sich unter anderem eine Phase enger Zusammenarbeit mit der Regisseurin Lydia Steier findet, will freilich mehr sein als ein bloßer Diener im künstlerischen Sinne an Gioachino Rossinis Geniestreich von 1816.

Viel wird schon vorweggenommen, als das nach der Ouvertüre aufflammende Bühnenlicht den Blick auf den Platz in Sevilla freigibt, auf dem sich die Geschenkkartons des Grafen Almaviva für Rosina, die er zu heiraten gedenkt, nur so häufen. Lindoro alias Almaviva und Figaro nutzen die weit verstreuten Kisten als Podien für ihre ersten Auftritte. Originell oder nicht, Schachteln aller Formate sind auch die durchgängige, stets präsente Folie der Barbiere-Inszenierung von Jan Philipp Gloger in der Spielzeit 2015/16 am Essener Aalto-Theater.

Aus diesem Szenario entwickelt Lenhard Szene um Szene das spätere Hochzeitsbankett Almavivas und Rosinas, die mit jugendlicher Unbekümmertheit, List und Geld jeder Intrige Herr werden. Der Weg zum Traum in Tüll und Seide, zum Insert Just married, ist so wie in einer Vorabendfernsehserie vorgezeichnet, verliert dabei aber etwas dramaturgisch Unerlässliches: die Spannung. Wenn unter den Mitwirkenden die Rolle eines Notars aufgeboten ist, möchte man schon nicht vorab wissen, mit wem er alsbald einen Ehevertrag schließen wird.

Anstatt die Vollblut-Figuren des Stücks stilecht und phantasievoll zu konturieren, investiert der Regisseur Energie in periphere Aspekte. Rosina wird schon in der ersten Szene in der von Christina Geiger ersonnenen Kostümierung ein Auftritt im Brautkleid gestattet. Almaviva kopiert mit Leier und Lorbeerkranz wie von Richard Wagners Parnass heruntergestiegen die Figur des mittelalterlichen Minnesängers. Um dieser wahnwitzigen Idee noch die Krone aufzusetzen, suggeriert er eine assoziative Verbindung zur Gestalt Lohengrins, der Elsa errettet wie Almaviva Rosina aus den Fängen ihres Vormunds. Damit auch der letzte Besucher diese Andeutung versteht, werden zwei blumengeschmückte übergroße Schwäne hereingerollt, die danach im Raum verbleiben, Zaungäste an der Hochzeitstafel.

Ein veritables Ärgernis ist die Ausstattung. Gewiss ist Figaro das factotum della città, das jeden Kniff beherrscht und alle Register zu ziehen versteht. In darob in ein Kostüm mit großen Karos in allen Farben zu stecken, ist freilich etwas, wofür der Begriff Missgriff eine Untertreibung wäre. Die Fehlgriffe setzen sich bruchlos im Bühnenbild von Malina Raßfeld fort. Kaum ist das Bild der Anfangsszene mit einer herzig-kitschigen lichtumsäumten Rosina auf dem fiktiven Balkon verschwunden, präsentiert sich ein bühnengroßer Saal ohne Fenster in seiner ganzen Hässlichkeit. In Farben, die an Straßenbahn-Depots erinnern. Mit Mobiliar, das unter Vorspiegelung von Bedeutung hin und her geschoben wird, aber den Akteuren immer wieder die Wege verstellt.

Die Vorliebe dieser Inszenierung für Nebenschauplätze hat überdies Konsequenzen für den Flow der Handlung. So wird die köstliche Szene, in der der vermeintliche Musiklehrer Don Alonso, eben Almaviva, mit Rosina flirtet, während Bartolo je nach Inszenierung schläft oder abgelenkt wird, um ihren Witz gebracht. Verschenkt auch die Gewitterszene, in deren Folge die Entführung Rosinas mit dem Ziel der gemeinsamen Flucht scheitert. Was heißt hier Entführung, wenn es nicht einmal zu einer regelrechten Leiter reicht. Es ragen nicht mehr als zwei, drei Sprossen aus dem Untergeschoss nach oben heraus. Lebt die durchaus begüterte Rosina, wie das Bild andeutet, tatsächlich in einem Kellergewölbe?

Eine schlüssige Idee, um auch dem Witz dieser Regie gerecht zu werden, ist die Verwandlung von Rosinas Brief an Lindoro in eine Papierschwalbe, die von Hand zu Hand fliegt wie eine Brieftaube im Dienste Amors.

Der orchestrale Gesamteindruck ist dank der Duisburger Philharmoniker mit Antonino Fogliani am Pult über jede Kritik erhaben. Gelegentlich von der superben Anastasiya Titovych am Hammerklavier besonders motiviert, steigern sie sich in eine vorzügliche Tagesform, mit hoher Affinität zu Rossinis Staccati, Crescendi und Accelerandi. Dem von Patrick Francis Chestnut einstudierten Chor wäre für die kommende Aufführungsserie eine bessere Abstimmung mit dem Graben zu wünschen, vor allem im ersten Akt.

In den Hauptrollen wird es ein Abend der Männerbesetzungen. Als Graf Almaviva sticht der Tenor César Cortés, Gast in Duisburg, heraus. Er beeindruckt mit schönem Timbre, Belcanto-Schmelz und der Kunst des Paraphrasierens. Es ist ein Vergnügen, nach der Auftrittsarie Ecco ridente in cielo ihn inAll’idea di quel metallo, dem Duett mit Figaro, sowie in Dunque io son … tu nun m’inganni?, dem Duett mit Rosina, zu erleben. Gleich zwei Mal ein Rendezvous nach Noten, ein spürbares Suchen nach Ergänzung in Harmonie.

Eine Suche, hier nach Parforce und Standing, ist auch Jake Muffett in der Titelpartie anzumerken. Sein Figaro engagiert sich von der beherzt intonierten Bravourarie Largo al factotum an, der Schlüsselfigur dieser Komödie Raum und Dominanz zu vermitteln, was ihm auch prächtig gelingt.

Ihr Rollendebüt als Rosina geht die Mezzosopranistin Kimberley Boettger-Soller mit Spielwitz und komödiantischem Esprit an. Sie darf auch dank der Regie jede Art von trappole, (List) inszenieren, mit der sie ihre Männer um den Finger wickelt. Sängerisch ist dieses Debüt ungeachtet der geschmeidigen Koloraturen nicht ganz überzeugend. Ihre Stimme liegt höher, als es einer Idealbesetzung anstünde. Bemerkbar macht sich dies bereits in ihrer Auftrittsarie Una voce poco fa im unteren Registerbereich, wenn sie neben all der Folgsamkeit und Süße von ihrem Schlangenblick erzählt, mit dem sie sich zu helfen wisse.

Anke Krabbeist eine quirlige Berta. Ihre einzige Arie Il vecchiotto cerca moglie weitet sie zu einem humoresken Minijuwel aus, in dem sich ihre Abneigung für den eheversessenen „Alten“ alias Bartolo mit dem Geständnis paart, eben diesen zu erobern, sobald Rosina hierfür den Weg frei gemacht haben wird.

Das Dreigestirn der weiteren männlichen Rollen löst seine Aufgabe mehr als passabel. Giulio Mastrototaro gibt Bartolo mit kernigem Bariton. Er lässt, auch wenn er für die Rolle etliche Jahre zu jung erscheint, keinen Zweifel an den Ansprüchen, die er verfolgt. Bogdan Taloș ist ein Basilio, bei dem sich das Verschmitzte und das Verschlagene die Waage halten. Mit La calunnia è un venticello, seiner von markanten Schlägen der Basstrommel verstärkten Arie, gibt er eine eindrucksvolle Visitenkarte ab, die ihn zur Aufnahme in höchste Mafia-Kreise qualifizieren könnte.

Als Fiorello ist Matteo Guerzé ein Gewinn, auch als Amor mit Pfeil und Bogen, zu Beginn und zum lieto fine des melodramma buffo. Vielleicht ist es kein Zufall, dass er mit Piano, pianissimo das erste Wort hat, wobei es Rossini nun wahrlich nicht darauf ankommt, andächtige Ruhe zu verbreiten. Ganz im Gegenteil.

Bis in die Karnevalszeit wird der Duisburger Rossini-Amor noch seine Liebespfeile verschießen. Der anhaltende Beifall des Publikums im ansprechend gefüllten Theater – auch für das Regieteam - zeigt an, wie sehr sich der Besuch lohnen könnte.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Jochen Quast

 

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