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Die Fledermaus | Premiere am 23. Dezember 2023 | Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski | Inszenierung: Barrie Kosky. Foto: © Wilfried Hösl

Die Fledermaus | Premiere am 23. Dezember 2023 | Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski | Inszenierung: Barrie Kosky. Foto: © Wilfried Hösl 

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Strauß‘ Fledermaus 2023 ff – Eine vorweihnachtliche Neuinszenierung im Münchner Nationaltheater

Vorspann / Teaser

Gewisse christkatholische Opernkreise störten sich am Termin – und nahmen dennoch ihr Premierenabonnement wahr. Die andere Befremdlichkeit blieb unbeachtet: dass Münchens zweites Opernhaus am Gärtnerplatz den Sylvester-Faschings-Klassiker parallel anbietet. Theaterfreunde trugen andere Bedenken: schließlich war die Carlos Kleiber-Otto Schenk-Interpretation der Maßstab, an dem Vladimir Jurowski und Barrie Kosky gemessen würden … ob das geht?

 

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Am Ende: kein Buh, abgestufter, einhelliger Jubel – diese Aufführung kann für Jahre ins Repertoire eingehen. Es gab viele Vorab-Gerüchte: kein prominenter Frosch, statt dessen viele Frösche; alles dominierende Genderei; die Opernprimadonna Diana Damrau zu „madamig“; womöglich die in der Wiener Tradition klassische „Blaue Donau“ statt der eben unerreichbaren „Blitz&Donner“-Polka unter Carlos Kleiber…

Doch Barrie Koskys offensives Bekenntnis zu „Klamauk, Gaudi, Unsinn, Albernheit usw.… gerade in diesen düsteren Zeiten“ führte zu zweieinhalb Stunden amüsanter Federboa-Unterhaltung. Und wenn GMD Jurowski und das fein abgestufte Staatsorchester samt Kammerensemble im Bühnenhintergrund des Orlovsky-Balles den süddeutschen Samt-Sound ein bisschen kantiger und trockener servieren, dann hat München eine der Burlesque und dem Vaudeville nahestehende hochklassige Neuinszenierung. 

Viele erfrischend neue Spielzüge: Da schläft Eisenstein in einem üppigen Damast-Bett vor einer Kulisse Alt-Wiener Herrschaftshäuser im 1. Bezirk „Judenplatz“ und wird gleich zu den ersten Takten der Ouvertüre tänzerisch beängstigend-reizvoll von zwölf Fledermäusen umschwirrt. Diese von „Tempo-Choreograf“ Otto Pichler wirbelig-fetzig geführte Truppe tauchte immer wieder auf – mit dem Gipfel, die eben von Carlos Kleiber eingelegte Polka „Unter Donner und Blitz“ zu einem furios schrägen Höhepunkt des Balles beim Counter-Tenor-Prinzen Orlovsky als Dragqueen (mit herrlich grellen Vorschlag-Tönen Andrew Watts). Doch das Sahnehäubchen setzte dem Abend dann im Schlussakt „Frosch I“ auf; vom Gefängnisdirektor Frank als „ein Frosch und fünf Kaulquappen“ vorgestellt, musste Max Pollack die Schlüssel für den in Stöckelschuhen und Glitzer-Slip heillos verkaterten Chef holen – und machte daraus, was es in der Staatsoper seit Jahrzehnten nicht zu erleben gab: eine fulminante Stepptanz- und „Body Percussion“-Nummer, also von den genagelten Schuhen mitsamt den staunenswert verschiedenen Schenkel-Bauch-Brust-Hals-Mund-Klatsch-Sounds eine Performance, die schon nach einem kleinen Teil bejubelt, von ihm bedämpft und zu einem längeren Gipfel an – tja?! – schier rasend automatisierten „Body Entertainment mit Schlüssel-Geklingel“ gesteigert wurde – frenetische Begeisterung und Jubelsturm – auch im Schlussapplaus.

Darüber hinaus war zu bestaunen, wie nahtlos die guten Dialog-Teile in Gesangsnummern übergingen, wie kleine Reaktionen den Text anderer Bühnenfiguren kommentierten, wie die Fledermaus-Truppe und dann auch etliche passend kostümierte Bühnenarbeiter die Häuserfronten zu wechselnden Schauplätzen herumschoben und das Tempo hochhielten – einfach: exzellentes Musizier-Regie-Handwerk, eben Musiktheater. Für den 2.Akt war zwar zu akzeptieren, dass die umgedrehten Häuserfronten mit ihrer Stahlkonstruktions-Treppen-Rückseiten (Bühne: Rebecca Ringst) befremdlich wirkten – aber ein schräge Snobiety-Type wie Orlovsky mietet ja heutzutage womöglich eine Industriehalle „for fun“. Zum Ballende wurden dann die Häuserfassaden wie Tapeten, die alles „großbürgerliche Elend“ kaschiert hatten, heruntergerissen – ein entlarvender Hinweis darauf, was GMD Jurowski vorab formuliert hatte: dass da alle Personen lügen, betrügen und täuschen und ihm eigentlich nur der Advokat Dr. Blind (unverwüstlich Kevin Conners) halbwegs sympathisch sei.

Dass die amüsante Unterhaltung bruchlos blieb, war auch dem Kostümzauber von Klaus Bruns zu danken. Die stilistisch absurd überdrehte Kostüm-Buntheit der Gesellschaft konnte wie ein vielfarbiger Tsunami an den Bühnenrand branden. Aller LSBT*Q-Fluid-XYZ-Genderei unseres Zeitgeistes, bis hin zu Fanstasy-Bärten für viele „Ladies“ und „Madln“, war ironisch Genüge getan. Und dann trug die verschlankt-verjüngt wirkende Diana Damrau ein maßgeschneidertes Ballkleid, das sie eben zurecht zum Männertraum machte, auch ohne rauchige Csárdás-Brusttöne. Vokal blieben keine Wünsche offen: bei ihr, beim Tenor-Galan mit Model-Figur von Sean Panikklar, dem gezielt pummeligen „Ewig-Zweiten“ Dr. Falke von Markus Brück, dem „Ewig-Dritten“ des Gefängnisdirektors Frank von Martin Winkler, der herrlich Sopran-kess-kecken Adele von Katharina Konradi und dem feschen, sich prompt für „ewig-unwiderstehlich jung“ haltenden Eisenstein von Georg Nigl. Seinem mehrfach auftrumpfenden Bariton hörte man die Freude an, nach allen tief tragischen Rollen endlich mal eine hörbar wienerische Spät-Gaudiburschen-Figur zu verkörpern - mit dann doch auch tragischer Oberfläche. Er und die temperamentvoll prompt weiblich überlegene Rosalinde der Damrau bildeten ein echtes „Society-Paar“. Ja, tutti bravi: wir werden ihnen jetzt dann in der Faschingszeit begegnen, allen überdreht Gaudi-Gierigen in diesen düsteren Zeiten.

  • Die Aufführung wird an Sylvester um 22.40 Uhr in arte gesendet und steht anschließend in der Mediathek.

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