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Klassik Barrie Koskys „Fledermaus“

So viel Champagner kann man vorher gar nicht trinken

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Alles schön bunt bei Strauß in München Alles schön bunt bei Strauß in München
Alles schön bunt bei Strauß in München
Quelle: Wilfried Hösl
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„Die Fledermaus“ war einer der Exportschlager der Bayerischen Staatsoper. Otto Schenks Inszenierung von 1974 ging von München aus um die Welt. Jetzt machte sich Barrie Kosky an die Arbeit am Silvesterspaß. Auf dem Papier eine gute Idee. Dem Ergebnis fehlt vor allem eins.

„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ So lautet eine der vielen, ewig gültigen Operettenphilosophien der „Fledermaus“. Also vergessen wir einfach, dass an der Bayerischen Staatsoper von 1974 an der „Fledermaus“-Olymp errichtet wurde, in einer vielfach von Düsseldorf bis New York und Wien (wo sie heute noch läuft) geklonten Otto-Schenk-Möblierung, die schon bei der Premiere verstaubt-altbacken aussah, aber ein wunderbarer Hintergrund für noch wunderbar ältere Witzeleien war.

Aufgeboten wurde über die Jahre eine Sängerparade von Lucia Popp über Edita Gruberova bis Brigitte Fassbaender und Benno Kusche, als Gefängnisschließer Frosch sliwowitzelten im dritten Akt Franz Muxeneder und sogar Heinz Rühmann. Und am Pult stand im besten Fall Carlos Kleiber, der letzte Walzergott, der das verzückte Publikum in Duidu-Delirien trieb und an Faschingsdienstag zudem den dritten Akt verkleidet dirigierte.

Im Dezember 1997 folgte Schenks „Fledermaus“ die mit Riesenerwartungen behaftete Neuinszenierung des damals durch alle Theaterregiedecken gehenden Leander Haußmann. Die entpuppte sich brutal konsequent als grausam unlustiges Katerfrühstück noch vor Silvester. Haußmanns gerade zündende Musiktheaterkarriere war damit tischfeuerwerkhaft schnell vorbei.

Doch weil man zum Jahresende und für den Fasching eine Spielplan-Frivolität brauchte, schleppte man das von Anfang an mausetot gefledderte Ding ebenfalls über zwei Jahrzehnte durch die Spielzeiten; durch viele Bearbeiterhände jedoch weitgehend unschädlich gemacht.

Höchste Zeit also für einen neuerlichen Münchner Operetten-Höhenflug, zumal unbeschwerter Eskapismus im Theater gegenwärtig besonders guttut. Ein williger Walzerbezwinger stand jedenfalls bereit: Der aktuelle bayerische Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski ist beweglich von Mozart bis zur Moderne und als Russe, in dessen Heimat etwa Emmerich Kálmán noch heute so beliebt ist wie nirgendwo sonst. Und wer wäre heute idealer als Neuausdeuter des alten, aber geliebten Schmarren denn Barrie Kosky, der australische Renaissancefürst der Berliner Jazzoperette?

Es mangelt an Tempo

Der spannungsfroh erwartete Abend wurde leider eine Enttäuschung. Denn in der Annäherung an seine erste klassische Wiener Operette hat sich der Kosky in Klischees verfangen oder gleich verweigert. Und was schon in seiner etwas bräsig-nostalgischen Musical-Zurichtung von Kander & Ebbs „Chicago“ in Berlin auffiel – es mangelt ihm entschieden an Tempo.

So beginnt es fast laientheaterhaft zur allzu zackig taktierten Ouvertüre mit einem spießigen Fledermaus-Ballett vor dem Ehebett des Rentiers Eisenstein, der als deutscher Nachthemd-Michel zwischen rosa Plumeaus seinen Rausch ausschlummert. Die Liegestatt wiederum befindet sich am Judenplatz, wo sich Fototapeten als Wiener Hausfassaden auf fahrbaren Kulissen drehen.

Später wird Bühnenbildnerin Rebecca Ringst (erwartbar) diese von ihrer Eisentreppenkehrseite zeigen, bis sie gänzlich nackt als Gefängnisirrgarten dienen. Das sieht sehr nach Tourneetheaterroutine ohne doppelten Ironieboden aus, zumal weitgehend vom Libretto-Blatt gespielt und zunächst charmelos trocken gesungen wird.

Am Ende fallen die Kronleuchter
Am Ende fallen die Kronleuchter
Quelle: Wilfried Hösl

Georg Nigls Eisenstein, der am Pandemie-Silvester 2020 selbst per Stream gerade die Wiener Schenk-Variante durch seine hemmungslose Subversion im Frack bürgerlicher Anständigkeit sprengte, braucht diesmal viel zu lange, bis in ihm der entfesselte Glubschaugen-Bourgeois wütet.

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Diana Damrau will sich die Tralala-Divenrolle der Rosalinde mit schwerem Vokalkriegsgerät und einem schnarrenden Wien-Akzent erobern, den Wilma Degischer als ewigböse Sisi-Schwiegermutter nicht besser gekonnt hätte. Und bleibt doch ein allzu leichter, tiefenlos-reifer Koloratursopran. Katharina Konradis Adele singt allerfeinst blitzsauber, aber ohne jede Domestiken-Verschlamptheit.

Markus Brück (Dr. Falke) und Kevin Conners (Dr. Blind) bleiben verhaltensunauffällig, irgendwie schräg ist nur der sanft bizarre Gefängnisdirektor Frank (Martin Winkler), der vergeblich in sein kleines „Vogelhaus“ lädt. Auch lässt sich Vladimir Jurowski nie wirklich gehen. Er taktiert zu exakt, alles ist blankewienert, übergenau ausbuchstabiert, fällt nie locker vom Operettenhocker; auch keine selig besoffenen Stolperer sind eingebaut.

Viele Paradiesfedern durchwehen dann den queeren Ball des gar nicht russischen Prinz Orlowsky. Den kreischt – wie schon die die vergangenen 20 Jahre in München – ein mittelguter Countertenor (Andrew Watts). Seine geladenen Gäste samt von Otto Pichler zum üblichen Hinternwackeln animierter Balletttruppe sind alle metrosexuelle Bartmädchen und sehen aus wie auf einer „Römische Dekadenz“-Ibiza-Mottoparty.

Das zeigt heute freilich auch jede einigermaßen liberale Provinzbühne. Bei Kosky könnte dieses gar nicht demaskierende Larventreiben, gerade wenn man seinen Berliner „Cage aux Folles“ (ebenfalls mit mondänen Puschelroben von Klaus Bruns) kennt, dessen Teil II sein – ein Operetten-Käfig voller Wiener Narren. Statt trotzig-stolz „I Am what I Am“ zu schmettern, sitzt man halt zur besoffenen „Duidu“-Ballapotheose an der Rampe und schaut vom Bühnenhimmel herabsinkenden Kronleuchtern zu.

Keine neuen Funken aus alten Pointen

Die freilich haben keine zweite, tiefere Bedeutung, genauso wenig wie der ratlos heftige Stilistik-Umschwung im weitgehend musikfreien, der Wortkomik überlassenen und deshalb so schweren dritten Akt. Kosky verzichtet auf einen prominenten Schauspieler, der aus alten Pointen neue Funken schlagen könnte.

Er besinnt sich auf seine Broadway-Wurzeln, lässt den famosen Max Pollack als Frosch I (plus bedeutungslose fünf weitere Klone) so unvermittelt wie wortlos steppen und Bodyperkussion an Thorax und Kehle klopfen. Dazu tupft Jurowski fein die Pizzicato-Polka, so wie er vorher schon bei der „Unter Donner und Blitz“-Balletteinlage aus allen Instrumentenrohren feuernd in seinem militaristisch grimmigen Klangelement war.

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Im Folgenden mutiert der souverän köperkomische Martin Winkler plötzlich in Silberslip und Damenpumps zu surreal slapstickschrillen Gefängnisgrotesknummer auf der Eisenstiege. Und mit dem Erscheinen des Prinzen in seiner Riesenkrinoline (eine vertane Anspielung auf Erzherzog Ludwig Victor genannt „Luziwuzi“, jüngster und sehr schwuler Bruder von Kaiser Franz Joseph) wird diese flügellahme Rache der Fledermaus Dr. Falke zu einem hastig verschämt-guten Happy End gebracht.

Champagner hat bei so viel wohlbekannten Kosky-Rezepturen nur sehr wenig verschuldet. Wohlwollender Beifall, echte Operettenbegeisterung hört sich anders an. Also: Glücklich ist, wer vergisst…

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