Bayerische Staatsoper: „Die Fledermaus“ – Glitzer mit Tiefe?

Bayerische Staatsoper/DIE FLEDERMAUS/G. Nigl, K. Konradi/Foto © Wilfried Hösl

Ganz traditionell gibt es an der Bayerischen Staatsoper zum Jahreswechsel Die Fledermaus. Barrie Kosky inszeniert Johann Strauss‘ Operette irgendwo zwischen Albtraum und opulenter Revue mit tanzenden Fledermäusen, Glitzerbärten und Stepptanzeinlage, aber ohne eine große Neuauslegung des Werks. Was man davon hält, hängt dann ganz davon ab, was man von der Inszenierung und von der Operette als Gattung erwartet. (Besuchte Vorstellung am 5.1.2024)

 

 

Was der operettenerfahrene Regisseur Barrie Kosky sich von einer Fledermaus erhofft, macht er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung deutlich: „[…] was ich will, und was ich glaube die Mehrheit der Menschen will, ist eine Boulevardkomödie mit einem Hauch Nostalgie, nach der sie sich ein bisschen besser fühlen als davor.“ Das – so viel sei schon im ersten Absatz verraten – ist auf ganzer Linie gelungen. Gemeinsam mit dem Choreographen Otto Pichler stellt Kosky einen temporeichen Abend auf die Beine, der die Handlung der Fledermaus als eine Art kollektiven Fiebertraum erzählt. Eisenstein, der in der Ouvertüre im Schlafrock von zwölf tanzenden Fledermäusen verfolgt wird, träumt von der Rache Dr. Falkes, dem er vor Jahren einen bösen Streich gespielt hat, während ganz Wien davon träumt, in einer rauschenden Ballnacht aus dem Korsett der bürgerlichen Regeln auszubrechen. Die ganze Stadt tanzt, auch das Bühnenbild von Rebecca Ringst tanzt mit. Nichts ist wie es scheint und alles ist rasant und witzig. Das Publikum hat merklich Spaß – und auch dem Ensemble auf der Bühne steht die Freude über das Stück ins Gesicht geschrieben.

Bayerische Staatsoper/DIE FLEDERMAUS/K. Konradi/Foto © Wilfried Hösl

Besonders die Sopranistin Katharina Konradi in der Rolle der Adele wirkt beinahe, als erlebe sie auf der Bühne den besten Tag ihres Lebens. Den ganzen Abend hindurch sprüht sie förmlich vor Energie und Spielfreude. Es macht durchgehend unglaublich viel Spaß, ihr zuzusehen, sei es, wenn sie dramatisch heulend ihrer Chefin Rosalinde die Lüge von der armen, kranken Tante auftischt, oder wenn sie dem Gefängnisdirektor Frank ihr Talent als Künstlerin beweisen will. Noch mehr Spaß aber macht es, Konradi zuzuhören. Denn sie singt schlichtweg hervorragend. Bis hinauf in die höchsten Höhen klingt ihre Stimme bei bester Textverständlichkeit wunderbar klar, sämtliche Koloraturen gelingen technisch nahezu perfekt, dabei aber herrlich lebhaft und strahlend. Stimmlich und darstellerisch ist Konradi das Highlight des Abends. Und dann tanzt sie auch noch! Ob auf dem Ball Orlofskys oder bei ihrer beindruckenden Darbietung der Arie „Spiel ich die Unschuld vom Lande“ im dritten Akt – Otto Pichlers Choreografien, die gerade für eine Opernsängerin, die sonst nicht oft auf der Bühne tanzt, sehr anspruchsvoll sein dürften, gelingen ihr nahezu mühelos.

Getanzt wird viel in dieser Fledermaus. Eisenstein mit seinen zwölf Fledermäusen, Rosalinde mit dem Opernballett, Adele mit ihrer Schwester Ida und später vier Gerichtsdienern Frosch, schließlich tanzt im zweiten Akt auch noch der ganze Chor. Otto Pichler ist hier nicht nur zu den gelungenen und mitreißenden Choreografien zu gratulieren, sondern auch zur hervorragenden Arbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern. Selten hat man Opernsänger gesehen, die sich mit so viel Freude bewegen – nicht nur Katharina Konradi, auch Georg Nigl, Diana Damrau, Martin Winkler und Markus Brück tanzen begeistert mit. Und auch der Chor der Bayerischen Staatsoper wirkt in der Ballszene wie ausgetauscht. So agil und motiviert einer Choreografie folgend kennt man ihn sonst nicht. Technisch sind die zwölf Balletttänzer, von denen vier zusätzlich den Frosch spielen (dazu gleich mehr), sowie die Musicaldarstellerin Miriam Neumeier als Ida den anderen natürlich überlegen, aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass alle mitmachen und dass alle wirken, als hätten sie Spaß an der Sache. Das steckt an.

Die reale, im Moment oft sehr düstere Welt lässt sich an diesem Abend im Nationaltheater wunderbar ausblenden. Nicht nur im zweiten Akt, wo der Ball Orlofskys für die Figuren der Fledermaus eine temporäre Fluchtmöglichkeit aus der streng geregelten bürgerlichen Realität bietet, sondern das ganze Stück hindurch lädt Barrie Kosky dazu ein, in eine bunte, unbeschwerte Parallelwelt einzutauchen. Auch das kleine Fensterchen im dritten Akt, durch das die echte Welt noch in der eskapistischsten Inszenierung in die Fledermaus eindringen kann, hat Kosky konsequent geschlossen: Eigentlich wird der Gerichtsdiener Frosch traditionell von einem Schauspieler oder Komiker gespielt, der im dritten Akt in einem kabarettistischen Monolog Spitzen in Richtung aktueller Tagespolitik schießen darf. Kosky verzichtet auf den Monolog, aber nicht auf Frosch. Im Gegenteil: In seiner Inszenierung gibt es gleich sechs Frösche. Die schon erwähnten vier Balletttänzer, den Schauspieler Franz Josef Strohmeier, der aber nicht allzu viel redet, und Max Pollak, der da, wo sonst der Frosch-Monolog ist, eine Stepptanzeinlage mit Bodypercussion zum Besten gibt. Am Ende hätte wohl ein Frosch – am besten Pollak! – gereicht, denn die vier Ballett-Frösche dienen nur der Choreographie und Strohmeier ist leider mehr oder weniger nur Stichwortgeber. Aber die Truppe stört nicht, sie ist lustig und das reicht.

Die neue Münchner Fledermaus macht nicht nur Spaß, sie klingt auch ausgezeichnet. Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski steht selbst am Pult des Bayerischen Staatsorchesters, das mit warmem, dunklem Klang aufwartet. Er verleiht dem Abend einen steten Schwung, alles fließt und alles tanzt. Dass viele Dialoge mit zusätzlichen Walzern unterlegt sind, gespielt von einem Streichquartett hinter der Bühne, verleiht dem Abend eine zusätzliche Kontinuität. Nur manchmal gerät die Musik vielleicht ein bisschen zu plätschernd. Der Csárdás sowie die Polka „Unter Donner und Blitz“ im zweiten Akt dürfen gerne etwas feuriger sein als Jurwoski sie da dirigiert. Nichtsdestotrotz, Jurowski überzeugt und er und das Bayerische Staatsorchester werden zurecht mit Standing Ovations bedacht.

Bayerische Staatsoper/DIE FLEDERMAUS/G. Nigl, D. Damrau/Foto © Wilfried Hösl

Auf Seiten der Sängerinnen und Sänger gibt es viele Hochs, aber leider auch das ein oder andere Tief. Neben der schon besprochenen Katharina Konradi sticht positiv vor allem Georg Nigl als Gabriel von Eisenstein heraus. Nigl ist in Wien und jetzt wohl auch in München eine Art „Eisenstein vom Dienst“, kaum einer singt diese Partie so oft wie er. Warum das so ist, wird schnell klar: Nigl überzeugt mit einer beeindruckenden Palette an Stimmfarben und Dynamik, im Uhrenduett des zweiten Akts wechselt er so schnell von Piano in ein strahlendes, imposantes Fortissimo, dass der ein oder andere Zuschauer zusammenzuckt. Dass der Bariton nicht alle Spitzentöne der Tenorpartie Eisenstein singt ist schnell verziehen, dafür ist alles andere zu gut. Neben seiner Stimme beweist Nigl großartiges darstellerisches Gefühl und wartet mit viel Dialekt und gelungener Improvisation auf. Eisensteins Gattin Rosaline singt in der Neuproduktion Diana Damrau. Ihre Stimme ist schnell beschrieben: Einfach nur schön. Die Verzierungen und Spitzentöne klingen zauberhaft, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Damrau nicht ganz die nötige Stimmkraft für die Partie der Rosalinde hat. Da geht noch mehr. Lautstarken Jubel erntet sie für ihr Rollendebüt trotzdem.

Als Rosalindes Liebhaber Alfred begeistert Sean Panikkar. Er singt die Rolle als herrlich nervigen Tenor. Alle seine Auftritte sind etwas überdreht, aber das gehört zur Rolle: Zwischendurch ist gut hörbar, dass Panikkar durchaus schön und gefühlvoll singen könnte, wenn er denn will. Kevin Conners gibt einen überraschend kräftigen Dr. Blind, Markus Brück singt Dr. Falke mit angenehmen dunklen Timbre, aber leider nicht in optimaler Tagesform: An einigen Stellen fehlen ihm Stimmkraft und Lautstärke. Martin Winkler als Gefängnisdirektor Frank ist dagegen fast zu laut und zu kräftig, er könnte im ersten Akt noch ein wenig subtiler sein. Er überzeugt dafür auf ganzer Linie als Darsteller, im ersten Akt streng, im dritten Akt dann selbstironisch in Glitzerslip und High Heels.

Bayerische Staatsoper/DIE FLEDERMAUS/Foto © Wilfried Hösl

Das alles wäre so weit wunderbar, hätte die Bayerische Staatsoper Koskys Neuinszenierung der Fledermaus auf ihrer Website nicht zumindest vorübergehend mit dem Slogan „Glitzer mit Tiefe“ beworben. Glitzer ist genug da, aber die Tiefe erweist sich dann doch als oberflächlich. Das fällt vor allem im zweiten Akt auf. Kosky und Kostümbildner Klaus Bruns haben sich bei den Kostümen der Ballgesellschaft von den Cockettes inspirieren lassen, einer queeren Tanzgruppe im San Francisco der 1970er. Auf der Bühne sieht man viele Glitzerbärte und bunte, schrille Kostüme. Geschlechterrollen verschwimmen, es ist unmöglich zu sagen, wer weiblich, wer männlich ist. Den Prinzen Orlofsky, eigentlich eine von einem Mezzosopran gesungene Hosenrolle, zeigt Kosky passend dazu als Dragqueen, gesungen von Countertenor Eric Jurenas. Der zeigt eine solide musikalische Leistung, aber seine Rolle ist durch das Streichen von Text von einem dreidimensionalen Charakter zum Conférencier reduziert worden, der musikalische Nummern ankündigt und opulente Kostüme präsentiert. Und das ist sinnbildlich für diesen zweiten Akt. Die bunte, queere Welt der Chorkostüme findet keinen Eingang in die Handlung. Anders als bei Das Schlaue Füchslein, wo Kosky in einer genuin queeren Lesart mit viel Glitzer und Gefühl die Liebesgeschichte zweier junger Füchsinnen erzählt, ist das Spiel mit Gender und Sexualität in der Fledermaus eine lebendige Kulisse, vor der sich die Handlung abspielt. Gefängnisdirektor Frank darf von dieser Welt im dritten Akt ein bisschen träumen, sonst vermischt sich nichts. Man kann das so interpretieren, dass die Figuren eben einfach nicht aus ihrer genormten Welt herauskönnen, aber auf der Bühne zu sehen ist es nicht.

Was bleibt also von der Münchner Fledermaus? Die Ausstattung ist neu, die Erzählung der Handlung als Traum ist auch neu, aber im Großen und Ganzen bleibt alles beim Alten. Dabei bietet die Fledermaus so viele Ansatzpunkte für eine mitunter kritische Neuauslegung. Zum Beispiel könnten das Frauenbild und das Ungarnbild dieses Werks gerne einmal neu beleuchtet werden. Anders als das Verlangen nach Eskapismus und Rausch, was bei Kosky definitiv nicht zu kurz kommt, sind diese Aspekte nur bedingt zeitgemäß. Kosky könnte so eine Neuinterpretation sicher unternehmen, ohne auch nur einen Funken weniger zu unterhalten: Wie gut er Unterhaltung und Kritik kombinieren kann, hat er besonders bei seiner Inszenierung von Wagners Meistersingern bei den Bayreuther Festspielen gezeigt. Nur wollte er das diesmal nicht. Was er in der Fledermaus sieht und den Menschen bieten will, ist „eine Boulevardkomödie mit einem Hauch Nostalgie, nach der sie sich ein bisschen besser fühlen als davor.“ Und das hat er auch geschafft. Die Inszenierung wird mit lautstarkem Jubel gefeiert. Man kann nun die Tiefe vermissen und auf die nächste Neuinszenierung warten, oder man kann sich in Koskys träumerische Parallelwelt stürzen, die Welt vergessen und sich über den Glitzer freuen.

 

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert