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Musiktheater
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Jeanne d’Arc au bûcher
(Johanna auf dem Scheiterhaufen)

Dramatisches Oratorium in elf Szenen
Text von Paul Claudel
Musik von Arthur Honnegger


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)

Premiere in der Rudolf-Oetker-Halle Bielefeld am 12. Januar 2024


Homepage

Theater Bielefeld
(Homepage)

Graphic-Novel-Heldin als Retterin in dunkler Zeit

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sarah Jonek

Am Ende gibt's jede Menge Verklärung. Johannas Tod auf dem Scheiterhaufen wird nicht als Tragödie des Individuums betrachtet, sondern theologisch überhöht. Paul Claudel verwendete in seinem Libretto Elemente aus dem Sonnengesang des Franz von Assisi, um die Flammen umzudeuten in das höhere Licht der Erlösung. Und natürlich ist das Schlussbild als Symbol für den Widerstand Frankreichs gegen die deutsche Besatzung gesehen worden, nachdem Arthur Honnegger dem (1935 komponierten und 1936 in Basel uraufgeführten) Werk 1944 einen Prolog voranstellte, ein dunkeldüsteres de profundis, das die französische Nationalheilige Jeanne d'Arc als Lichtgestalt und Zeichen der Hoffnung in Weltkriegszeiten beschwor. Schließlich hatte die historische Jeanne 1429 als 17jähriges Bauernmädchen gegen alle Wahrscheinlichkeit die Truppen zur Befreiung der belagerten Stadt Orléans angeführt und den verzagten Thronfolger in Reims zum König Karl VII. krönen lassen.

Szenenfoto

Ensemble

Claudel schuf keine lineare Historienerzählung, sondern fügte collagenartig elf Szenen zusammen, die den (gut dokumentierten) Prozess und Stationen aus dem Leben Johannas verschachteln, teilweise in allegorischer Form. So werden die Gerichtsverhandlungen in einer grotesken Tierszene allegorisiert, bei der Bischof Cauchon von Beauvais, der Vorsitzende des geistlichen Gerichtshofes, als Schwein dargestellt ist (im französische Wort "cochon" für Schwein lässt sich der Name "Cauchon" heraushören); und die Auslieferung Johannas an die englischen Besatzungstruppen wird die Form eines Kartenspiels mit den Hauptakteuren als Spielkarten abgehandelt. Andere Szenen erinnern an mittelalterliche Mysterienspiele, dann wieder gibt es geradezu volkstümliche Elemente. In der Musik Arthur Honeggers (1892 - 1955) wird dieser wilde Stilmix kongenial aufgegriffen. Der Komponist setzt Volkslieder gegen mittelalterlich anmutende oder erhaben hymnische Phrasen. Die Musik ist in vielen Passagen ziemlich eingänglich und lässt sich gut hören; die polystilistische Anlage sorgt für Abwechslung, und das große Finale bietet das dem Sujet angemessene Pathos. Dabei durchkreuzen sich Schauspiel und Oratorium. So ist die Partie der Jeanne eine Sprechrolle, wie überhaupt viele Passagen in Form eines Melodrams als gesprochener Text über dem Orchesterklang angelegt sind. Dadurch kommt dem Chor musikalisch eine tragende Rolle zu. Nach der Uraufführung wurde das Werk gefeiert. Wenn es inzwischen doch ziemlich still um diese Johanna geworden ist, liegt das sicher auch an der unkonventionellen Form zwischen Konzert und Theater. Und ganz unproblematisch ist die Geschichte vom Tod eines jungen Mädchens auf dem Scheiterhaufen mit großer Verklärungsmusik aus nüchterner heutiger Sicht natürlich auch nicht.

Szenenfoto

Live-drawing auf dem Podium: Reinhard Kleist

Das Theater Bielefeld kündigt die Produktion als "Lichtspieloper mit Live-Drawing" an und ist vom Stadttheater in die Rudolf-Oetker-Halle, einen Konzertsaal von 1930, ausgewichen. Chor und Orchester sitzen klassisch auf der Bühne, die Solistinnen und Solisten agieren halbszenisch mit angedeuteten Aktionen vorne an der Rampe. Dafür bebildert Reinhard Kleist die Aufführungen mit Zeichnungen, die live am Rand des Podiums entstehen und im Entstehungsprozess auf eine riesige Leinwand projiziert werden. Kleists Ästhetik ist die der graphic novel, und die Bilder haben bei aller Präzision etwas Schwebendes, eine beeindruckende Leichtigkeit. Damit wird das Pathos des Stückes geschickt eingefangen, ohne in Kitsch abzugleiten. Die allmähliche Entstehung der Bilder entwickelt sich immer wieder spannungsreich, verrät mitunter erst spät den Kontext - in diesem Sinn ergibt sich durchaus dramatische Spannung. Mit diesen Bildlösungen, die den Sprüngen in Text und Musik eine durchgehend einheitliche Ästhetik gegenüberstellt und damit auch als Klammer fungiert, geht der Verzicht auf eine Interpretation des Stoffes einher, der hier auf der Bildebene schnörkellos nacherzählt wird. Das kann man bedauern, weil die Regie (künstlerische Gesamtleitung: Wolfgang Nägele) eine mögliche Aktualität gar nicht erst sucht. Ein weitestgehend unbekanntes Stück aber ohne Umdeutung zur Disposition zu stellen und dem Publikum eine eigene Interpretation zuzutrauen, ist sicher nicht die schlechteste Lösung.

Szenenfoto

Standfest: Johanna; rechts sitzt Bruder Dominik

Natürlich steht durchgehend die Figur der Jeanne im Zentrum, bei der sich Kleist in seinen Zeichnungen an der ohnehin burschikosen Darstellerin Johanna Wokalek orientiert, seine gezeichnete Jeanne aber eine Spur androgyner anlegt (die historische Jeanne ritt in Männerkleidung, was später ein Punkt der Anklage war). Wokalek gibt eine teils mädchenhafte, teils schnoddrige Johanna ohne Leidenspathos. Sie lässt der Figur eine gewisse Künstlichkeit, zelebriert den Text Claudels mit Bewusstsein für dessen Künstlichkeit, was ein Moment der Distanz schafft. Ihr gegenüber bleibt der heilige Dominik (John Wesley Zielmann, ebenfalls eine Sprechrolle), eine Art side kick für die Heldin, eher blass, als wolle er dem fernsehbekannten Star nicht die Show stehlen. Aus dem zuverlässigen Gesangsensemble (u.a. Veronika Lee als Jungfrau, Mayan Goldenfeld als heilige Margarethe, Freya Apffelstaedt als heilige Katherina und Moon Soo Park in verschiedenen kleinen Basspartien) ragt Tenor Lorin Wey (in mehreren Rollen) heraus, überaus präsent in den gesungenen wie den gesprochenen Passagen.

Szenenfoto

Im Tod sprengt Johanna die Ketten, die sie binden: Großes Finale

Ganz ausgezeichnet singen Chor und Extrachor des Bielefelder Theaters sowie der betörend klangschöne Kinder- und Jugendchor JunOs (auf der Galerie der Rudolf-Oetker-Halle), der zudem drei sehr ausgezeichnete Kindersolisten stellt (Vitus Kalbhenn, Melody Schneider und Leni Weßel). Unter der umsichtigen Leitung von GMD Alexander Kalajdzic loten die guten Bielefelder Philharmoniker die unterschiedlichen musikalischen Sphären überzeugend aus, scheuen die gelegentliche Volkstümlichkeit nicht, halten aber das richtige Maß, auch an den pathetischen Stellen.


FAZIT

Dem Theater Bielefeld gelingt eine hörens- wie sehenswerte Produktion des in seiner Feier des Martyriums nicht unproblematischen Werkes.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Kalajdzic

Künstlerische Leitung
Wolfgang Nägele

Live-Drawing
Reinhard Kleist

Chor
Hagen Enke

Kinder- und Jugendchor JunOs
Felicitas Jacobsen
Anna Janiszewska

Dramaturgie
Jón Philipp von Linden


Chor und Extrachor
des Theaters Bielefeld

Bielefelder Philharmoniker


Solisten

Johanna (Jeanne)
Johanna Wokalek

Bruder Dominik
John Wesley Zielmann

Die Jungfrau
Veronika Lee

Margarethe / Sopran-Solo
Mayan Goldenfeld

Katharina
Freya Apffelstaedt

Sprecher
Tilman Rose

Tenor-Solo
Lorin Wey

Bass-Solo
Moon Soo Park

Mutter Weinfass
Franziska Hösli

Mühlenwind
Bojan Heyn



Weitere
Informationen

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Theater Bielefeld
(Homepage)



Da capo al Fine

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