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„Die Banditen“ an der Oper Frankfurt – Was ist ein Räuberhauptmann gegen einen korrupten Politiker?

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Kommt einem spanisch vor, aber das will nichts heißen. In der ersten Reihe mit Sitzplatz: Gerard Schneider (v.l.), Elizabeth Reiter, Kelsey Lauritano, Yves Saelens.
Kommt einem spanisch vor, aber das will nichts heißen. In der ersten Reihe mit Sitzplatz: Gerard Schneider (v.l.), Elizabeth Reiter, Kelsey Lauritano, Yves Saelens. Foto: Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

Jacques Offenbachs späte, ziemlich böse Opéra-bouffe „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt.

Die Oper Frankfurt zieht hier ein musikalisches Ass aus dem Ärmel und spielt es nicht ganz so raffiniert aus, wie es ihr und dem Werk vermutlich möglich wäre. Aber selbst wenn es zum Beispiel nur darum ginge, endlich die Nummer „Die großen Stiefel, sie trappen, sie trappen“ kennenzulernen („sie trappen, sie trappen, sie trappen, sie trappen, sie trappen!“, ernsthaft), wäre es schon den Abend wert. Es will einem kein anderes Beispiel einfallen, bei dem die Angst des redlichen Verbrechens vor der nahenden Exekutive und der unterhaltsame Quatsch so effektvoll zusammenlaufen. Es gibt keinen Grund, die Operetten-Polizei zu fürchten – sie kommt zu spät, sie blickt nicht durch, dies ist wirklich eine völlig respektlose Darstellung –, andererseits weiß man nie.

Jacques Offenbachs „Die Banditen“, „Les Brigands“ (die Räuber, aber der Titel war in Deutschland schon zu prominent besetzt), ist eine späte Opéra-bouffe, eine von Offenbach kultivierte Art gehobener Operette, die fast eine Oper sein könnte, aber viele gesprochene Dialoge enthält. Nach der Uraufführung in Paris 1869 geriet sie schnell aus dem Blick. An der Musik und Frechheit des Textes von Offenbachs Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy kann es kaum gelegen haben, höchstens an der Mode und am Zeitgeist. Satire hat es immer schwer und erst recht, wenn die Zeiten härter werden – und das wurden sie für Frankreich während der ausgehenden Herrschaft Napoleons III. und mit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71.

„Die Banditen“ gerieten zu Unrecht aus dem Blick

Dass „Die Banditen“ es nicht ins ewige Repertoire schafften, bedeutet in diesem Fall also nicht, dass der Vielschreiber Offenbach hier eine unausgereifte oder zu routinierte Arbeit vorgelegt hätte. Das Gegenteil ist der Fall, die Musiknummern funkeln und knallen, und der Clou der Handlung ist zeitlos böse.

Er besteht darin, dass die Bande des Räuberhauptmanns Falsacappa, deren Geschäfte dümpeln, sich zwar bemüht, einen anständigen Diebstahl einzufädeln – die Gelegenheit zeigt sich, als erhebliche Summen (sowie eine fürstliche Braut) in einem diplomatischen Hin und Her zwischen Italien und Spanien überreicht werden sollen. Die rechtschaffenen Räuber scheitern aber daran, dass das betreffende Geld am Hofe längst veruntreut und bis auf einen lächerlichen Rest verschwunden ist. Im Establishment sitzen die wahren Banditen, denen auch bis zum Schluss nicht beizukommen ist. Während Falsacappa und seine Leute doch noch in heftige Bedrängnis geraten und nur mit Glück (das Glück ist hier fast immer Falsacappas kluge und äußerst energische Tochter Fiorella) die Köpfe aus der Schlinge ziehen können, haben sich die korrupten italienischen Politiker und spanischen Hofschranzen im Hintergrund längst geeinigt. Es ist nicht mehr viel Geld in der Staatskasse, aber noch genug für eine kleine weitere Bestechung (darauf würde sich der ehrenwerte Räuber niemals einlassen).

In Frankfurt, wo die Regisseurin Katharina Thoma eine eigene Übersetzung angefertigt hat, heißt es dazu am Ende sehr schön und bodenständig: „Das geht sich aus!“ Sollte man „Die Banditen“ besser auf Französisch bringen? Im Programmheft wird das diskutiert und verneint. Zweifel bleiben. „Das geht sich aus!“ ist ein eindeutiger Pluspunkt.

Im Einzelnen wimmelt der Text von Meilhac und Halévy von Anspielungen – am augenfälligsten mit Blick auf Napoleons III. spanische Gattin und ihren umstrittenen Einfluss. Die korrupte Welt am Hofe von Mantua legt auch nahe, neue Anspielungen einzubauen, aber Thoma verzichtet, anders als etwa Harry Kupfer an der Komischen Oper Berlin 1989/90, der eine von Politkabarett und Bilderspäßen explodierende Produktion präsentierte, die man sich auf Youtube ansehen kann. Die aufgedrehte, die hochgezwirbelte musikalische Stimmung macht keinen „Scheibenwischer“-Dauerwitzebeschuss erforderlich, aber doch eine Bilderwelt, die mit Offenbachs Feuerwerk mithält. Das gestaltet sich bei der Frankfurter Erstaufführung zunächst ein bisschen brav. Das politisch Unverbindliche wird aber zur riskanten Entschärfung, wenn man dem nichts Besonderes entgegensetzen mag.

Etienne Pluss verlegt den ersten Akt unter eine Autobahnbrücke, auf der man gelegentlich im abendlichen Licht Autos vorbeisausen sieht (nach „Le Grand Macabre“ die zweite Premiere mit just einem solchen Bild für den ersten Akt, kurioser Zufall). Unten im Laubsägesommerwald ist es jedoch lauschig. Das wirkt ironisch, aber in Verbindung mit den Kostümen von Irina Bartels auch etwas lieb. Dass die Banditen Krawatten als Stirnbänder nutzen, dokumentiert zwar, dass sie irgendwie aus dieser, unserer Welt des Kapitalismus stammen, aber das ist eine Dekorationsentscheidung wie auch die gelegentliche Gangsta-Gestik. Sie bleiben possierliche Hotzenplotze, und die Funken springen nicht, so tüchtig auch getanzt wird (Choreographie: Katharina Wiedenhofer). Und obwohl ein Mensch nach dem anderen über eine Rutsche in den Räuberkeller geschickt wird. Ein heilloses Gedränge dürfte da unten herrschen, aber gerade solche Wiederholungswitze müssen auf Draht sein. Erst zum Aktende fängt es an, aus dem Ruder zu laufen. Sehr gut, endlich.

Dann rollen „Die Banditen“ ordentlich an

Im zweiten und dritten Akt nach der Pause läuft es insgesamt besser. Das liegt auch am Auftritt der spanischen Delegation, die vor lauter Stolz und Steifheit als Tableaux hereingefahren wird. Das zum diplomatischen Treffpunkt auserkorene Wirtshaus an der Grenze zwischen Italien und Spanien (!) ist hier ein Restoroute, das für den Akt am Hof von Mantua rasch zum feudalen Saal umzubauen ist.

Hier steht ein Himmelbett, aus dem Choristinnen im Dutzend schlüpfen, denn der Prinz von Mantua (wie sein Kollege aus dem „Rigoletto“) ist ein ruchloser Frauenheld – während Falsacappas Töchterlein unter den wohlwollenden Augen ihres Vaters der Verehelichung mit dem Ex-Bauern und Neu-Räuber Fragoletto entgegensieht. Die Banditen als integre Mitglieder der Gesellschaft wissen, was sich gehört.

Musikalisch weiß das auch die Oper Frankfurt und schickt eine erstklassige Besetzung auf die Bühne. Der Chor unter der Leitung von Tilman Michael triumphiert erneut als Hauptrolle, so makellos, so sicher, so dynamisch. Das Museumsorchester mit Karsten Januschke swingt sich in den Abend hinein, die absolute Spannung, die „Die Banditen“ verdienen, entwickelt sich erst nach und nach. Von Anfang an macht Januschke dafür aber klar, dass das ein Fall von gepflegter Oper ist, kein Beiwerk für die Karnevalszeit.

Zahllos die größeren und kleineren Rollen, fast ausschließlich und hervorragend aus den eigenen Reihen besetzt. Im Zentrum: Titelheld Gerard Schneider mit seinem weichen, lebhaften Tenor, Elizabeth Reiter als seine resolute Tochter mit einem unoperettenhaften, prächtigen Sopran und Mezzo Kelsey Lauritano als Luxus-Fragoletto. Yves Saelens ist Falsacappas treuer Vize Pietro und einer der beiden Gastsänger, denn der Bedarf an Tenören ist in diesem Werk schier unstillbar. Der andere Gast ist darum Peter Bronder, der als Mantuas Schatzmeister Antonio nachher mit einem markanten Mime-Tenor erläutert, wer der größte Bandit ist: er. Bronder, umjubelt, macht eine Frosch-Szene à la „Fledermaus“ daraus, ein Kabinettstück für sich.

Als eisig leidenschaftliche und nachher auch stinksaure Prinzessin von Granada bietet Juanita Lascarro Stimme (auch auf Spanisch) und Komik in großem Umfang. Peter Marsh ist der Prinz von Mantua, wie immer auch als Nichtsnutz genießerisch bei der Sache. Man kann sich nur wundern, wie aus dieser verfahrenen Situation doch noch ein Happy End werden kann. Ist in Frankfurt auch kein ganz lupenreines.

Die Spielfreude ist groß, die Begeisterung des Publikums zum Schlussapplaus ebenfalls.

Oper Frankfurt: 1., 10., 16., 18., 22. Februar, 1., 10., 15. März. www.oper-frankfurt.de

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