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„Boris Godunow“ mit dem Nationaltheater Mannheim: Die Kinder und der traurige Tyrann

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Schmerzensmann Boris mit seinem bleichen Volk.
Schmerzensmann Boris mit seinem bleichen Volk. Foto: Christian Kleiner © Christian Kleiner

Das Nationaltheater Mannheim zeigt „Boris Godunow“, szenisch halbgar, musikalisch entschieden.

Die Geschichte der Fassungen von Modest Mussorgskys „Boris Godunow“ ist ein Abenteuer für sich. Das Nationaltheater Mannheim hat sich für seine Produktion im Ausweichquartier im Ludwigshafener Pfalzbau für eine heute übliche Mischung entschieden: Ein „Ur-Boris“, angereichert unter anderem mit dem nachträglich eingefügten „Polen-Akt“, der früher bloß als verlängernde Unterbrechung des innerrussischen Geschehens galt. Mussorgsky spielte jedoch virtuos auf der Klaviatur „westlicher“ Musik. Dass diese fader wirkt als die russische, ist Programm.

In Lorenzo Fioronis Inszenierung ist dieser Akt sogar der geglückteste, rosa Licht und geblümte Fassade, dazu eine Art ewiger Maskenball: die Damen – angeführt von Julia Faylenbogen als böser Marina – als Fledermäuse und die Herren als Pudel und der manipulative Jesuit, Evez Abdulla, als Rabe. Ungut, aber in Farbe.

Fioronis Russland ist eine kargere Angelegenheit. Paul Zoller hat eine Art steilen Bunker bauen lassen, hinten eine große, knarzende Tür ins Licht oder in die Finsternis je nachdem. Die Kostüme von Sabine Blickenstorfer machen aus dem russischen Volk weißblonde Kinder in hellen Uniformen. Zunächst könnte man meinen, dass alles längst vorbei ist, eine postapokalyptische Zukunft erreicht, in der die traurige Geschichte vom Aufsteiger-Zaren Boris und seinem Herausforderer Grigori – der sich als von Boris ermordeter legitimer Thronfolger ausgibt – nur noch ein Märchen aus allen Zeiten wäre. Aber der Chor, singend und spielend vorzüglich (Leitung: Alistair Lilley) entwickelt dann doch das übliche (kindliche!) Hin und Her der Emotionen. Arme Teufel sind es, aber wehe, man gerät in ihre Hände. Warum sie hier aus einem Sci-Fi-Gruselfilm kommen – angereichert zuweilen mit dekorativen, aber beliebigen Pappmaschee-Riesenköpfen –, bleibt vage und nimmt den Szenen viel mehr (Lokalkolorit, Individualität), als es ihnen gibt. Schwierig für die interessanten Einzelfiguren, selbst den Gegenspieler gleißenden Tenor Grigori, Jonathan Stoughton, wiedererkennbar zu werden.

Halbgar auch der Ansatz, den Zaren selbst inmitten der bleichen Kinder als Schmerzensmann mit sehr präsentem Leib zu präsentieren, auch in Zollers Videos zwischen den Bildern – die zwar das Mosaikhafte betonen, das Mussorgsky vorschwebte, aber auch lang sind, und irgendwann hat man jede vernarbte und blutende Wunde an Boris’ selbstgequältem Körper in Ruhe betrachtet, und es ist noch immer nicht vorbei. Man glaubt dem mächtigen und nuancierten Bass Patrick Zielke in Ton und Bild sein Leid, rührend auch die Szenen mit seinem verzweifelten Sohn, Maria Polanska (deren Mezzo jung und rund und reif ist). Aber insgesamt bleibt das alles unausgegoren.

Die Phalanx an Solisten und wenigen Solistinnen ist dagegen imposant. Und das Orchester unter Roberto Rizzi Brignoli macht ernst mit der vieldiskutierten Herbheit des „Ur-Boris“.

Nationaltheater Mannheim im Pfalzbau Ludwigshafen: 7., 9., 11. Februar. www.nationaltheater-mannheim.de

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