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Tschaikowsky als Schwarzarbeit: „Pique Dame“ an der Bayerischen Staatsoper

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Asmik Grigorian als Lisa
Sopran-Gesamtkunstwerk und daher ein Selbstläufer: Asmik Grigorian als Lisa in der Inszenierung von Benedict Andrews. © Wilfried Hösl

Geplant war eine extreme Konzentration auf die Figuren. Doch diese „Pique Dame“ bleibt im Dauer-Nihilismus stecken: Regisseur Benedict Andrews wird dem Tschaikowsky-Drama an der Bayerischen Staatsoper nur rudimentär gerecht. Immerhin gibt es Asmik Grigorian als Lisa.

Maskiertes Volk, Tanzwütige, als Höhepunkt ein Feuerwerk – und ausgerechnet der Bass gibt den Showstopper der Party. Fürst Jelezkis Liebeserklärung an Lisa, eine herrliche, weit ausgreifende Arie, die ist in landläufigen Aufführungen dieser Oper der Einbruch des Wunschkonzerts in den Wahnsinn. Und hier? Ein verkniffener Funktionär, von Boris Pinkhasovich mit blendender Stimmschönheit gesungen, umklammert seine Angebetete. Die löst sich aus der Verkrampfung, wandelt weiter auf der Chortribüne, nicht zum wahren Liebhaber Hermann, sondern an ihm vorbei, an den Rand von Volk und Gesellschaft. Eine Einsame, die so etwas wie Liebe und Erfüllung nie finden wird.

Wenige, extrem fokussierte Gesten und Blicke braucht es für die vielsagenden Minuten. Und man ahnt, was aus dieser „Pique Dame“ an der Bayerischen Staatsoper hätte werden können. Noch zwei-, dreimal kommt es zu solch intensiven Momenten. Und einmal sogar gähnt ein Loch in der Aufführung – wenn in der großen Szene der Gräfin die Musik fast stillsteht und Violeta Urmana als späte, mezzoreife Diva mit zeitlupenhaften Arm- und Handbewegungen sich in bessere Zeiten zurückträumt.

Reduktion auf ein paar Requisiten

Benedict Andrews riskiert für seine Tschaikowsky-Premiere einen bekannten Regie-Kniff. Alles runter von der Bühne, keinen szenischen Tand, dafür Reduktion auf ein paar Requisiten. Der Mensch, so will die Inszenierung sagen, ist auf sich selbst zurückgeworfen – was bei Tschaikowsky und Vorlage-Dichter Puschkin bedeutet: verloren. Doch die selbst verschuldete Leere von Andrews und Bühnenbildner Rufus Didwiszus, eine Schwärze, durch die Reste von Trockeneis-Nebel wabern, wird kaum gefüllt. Mehr noch: „Pique Dame“ wird zusammengeschoben und verengt auf einen Dauer-Nihilismus. Eine Welt der glücksspielenden Mafiosi und ihrer coolen Amazonen-Bräute. Ein Surrealismus, durch den die alte Gräfin, vervielfältigt um jüngere Versionen, geistert. Eine oft malerisch ausgestellte Düsternis, ein raunendes Stückwerk an Visionen, die offenbar Hermann erleidet.

Doch eigentlich ist das Stück ja stark, weil es sich spreizt. Zwischen Genre-Bildern und Monologen der Einsamkeit, zwischen Volkstum und Innenschau. Was bedeutet: Für seine ästhetische Monokultur schneidert sich Andrews „Pique Dame“ zurecht, wie sie ihm gefällt. Weite Teile des Ball-Akts inklusive Ballett werden einfach gestrichen, in den Garten-Szenen formiert sich nur eine Chor-Phalanx an der Rampe – wie überhaupt der flexibel gestaltende Chor fast nie inszeniert wird. Ergebnis ist ein Rumpf-Tschaikowsky mit Schlagseite: Über einen (teils nur unschlüssig gezeichneten) Psychotrip Hermanns kommt der Abend kaum hinaus.

Diffuses Dirigat von Aziz Shokhakimov

Auf merkwürdige Weise findet diese Regie ihre Entsprechung im Graben. Aziz Shokhakimov. dirigierender Senkrechtstarter aus Usbekistan, gibt zwar den munteren Animateur. Doch was man dabei hört: Diffuses, Pauschales, musikalisch nicht optimal Gefasstes, auch kleine Schwimmfeste (vor allem zu Beginn). Es ist ein lockeres Verbuchen dieser so überreichen Partitur, kaum ein Durchdringen. Man muss nicht den verstorbenen Mariss Jansons bemühen, der „Pique Dame“ einst als eine der besten Opern überhaupt pries. Aber etwas mehr von der (Un-)Tiefe dieser Musik, von ihrer Stil-Spreizung zwischen Burleske, Mozart-Zitat, Chor-Aplomb und Seelentönen, von ihrem Spiel mit Farbwerten und Zuspitzungen hätte man schon gern vernommen. Was schade ist fürs Bayerische Staatsorchester. Es spielt wie unter Wert verkauft.

Umso glücklicher für den Abend: Da sind Sängerdarsteller unterwegs, die Selbstläufer sind. Brandon Jovanovich, noch nicht ganz genesen von einer Erkrankung, gibt als Hermann einen glaubwürdig gebrochenen Antihelden. Singen bedeutet bei ihm auch (kontrollierte) Entäußerung, eine Suche nach Wahrhaftigkeit jenseits von Tenor-Schönklang.

Auch auf allen anderen Positionen spendiert die Staatsoper First-Class-Besetzungen, man höre nur Victoria Karkacheva als Polina, Roman Burdenko als Tomski oder Kevin Conners als Tschekalinski. Und wer Asmik Grigorian auf der Bühne hat, der braucht ohnehin kein Regie-Glutamat. Sobald diese Lisa am Bühnenrand auftaucht, ist sie Mittelpunkt. Eine Präsenz, ein Bewusstsein für szenische Kraftfelder, mit der die Litauerin mühelos in ein Schauspiel-Ensemble passen würde.

Asmik Grigorian bräuchte einen Sparringspartner

Dazu ist da eine immens energiereiche Stimme. Ihr Gesang entfaltet eine natürliche Präsenz, nichts klingt da nach abgetrotzt oder „gemacht“. Vor einigen Wochen noch hat sie sich in Wien Puccinis Soprankiller Turandot hochintelligent für sich zurechtgelegt, nun wechselt die Grigorian mühelos zu Tschaikowsky.

Man spürt, dass sie ihre Lisa sehr verfeinert hat, über ein halbes Dutzend Produktionen von „Pique Dame“ hat diese Künstlerin schon dominiert. Benedict Andrews nutzt das und geht einen Schritt weiter: Auf den Zwischenvorhängen taucht diese Lisa auf, per Video ins Riesenhafte vergrößert, Karten verbrennend oder unter Tränen. Suggeriert wird die große Asmik-Show – was die Aufführung nur bedingt einlöst. Auch Wundersängerinnen wie die Grigorian brauchen schließlich einen echten Sparringspartner im Regiestuhl.

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