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Opern-Kritik: Staatsoper Unter den Linden – Rusalka

Ein entzaubertes Märchen

(Berlin, 4.2.2024) Nach über fünf Jahrzehnten erlebt die Staatsoper Unter den Linden eine neue „Rusalka“. Leider kann die ambitionierte Inszenierung von Kornél Mundruczó trotz sehr guter Besetzung nicht vollends überzeugen.

vonPatrick Erb,

In der Vorstellung von (Film-)Regisseur Kornél Mundruczó, der die Inszenierung dieser „Rusalka“ zu verantworten hat, gibt es nichts Märchenhaftes. Mit dieser Entzauberung wird das Publikum auch direkt konfrontiert, denn die Welt der Rusalken, Nymphen, Wassergeister und Wassermänner ist eine heruntergekommene und schmuddelige Erdgeschosswohnung. Und in dieser ist der Wassermann, der in jeder Faser seines Körpers und seiner Klamotten ein Unterschichtsmilieu ausstrahlt, Hausherr. Er wohnt mit den anderen Elfen und mit Rusalka zusammen, wobei für letztere der bevorzugte Rückzugsort die Badewanne ist. Am anderen Ende der sozialen Leiter stehen der Prinz und sein Gefolge, die stilecht, hinter der Maske des Prenzlauer Berg-Bewohners, ein Dachgeschossloft mit Blick auf den Berliner Fernmeldeturm bewohnen. Ein Treppenhaus verbindet diese vermeintlich strikt getrennten Biotope; das Haus ist eine Medaille mit zwei Seiten. Schließlich komplettiert ein Kellerbereich als dunkle Tiefen des Wassers das Mehrparteienhaus mit einer symbolistischen Ebene.

Szenenbild aus „Rusalka“
Szenenbild aus „Rusalka“

Rollendebüt mit schauspielerischer Höchstleistung

Gesungen wird die Titelfigur von Christiane Karg, die mit dieser Premiere auch ihr Rollendebüt feiert. Karg glänzt mit exzellentem Farbenreichtum und der sängerischen Konstitution, eine derartige Titelpartie über die gesamte Spieldauer authentisch aufrecht zu erhalten. Jedoch ist ihre Artikulation der nicht ganz einfachen tschechischen Sprache verbesserungswürdig. Hier wurden vorgetragene Abschnitte teilweise durch karamellzähe Rezitation intransparent. Diese Formalität erblasst jedoch unter Beachtung der inszenatorisch bedingten Theatralik. Denn das Schauspielerische dieser bewusst widerwärtigen Inszenierung verlangt viel ab und Karg gibt alles, was man hier erwarten kann. Gesanglich dominiert indes Mika Kares in der Verkörperung des Wassermanns den Abend. Sein raumerfüllender Bass und die kristallklare Betonung der Worte überzeugt und strahlt eine für die Rolle angemessene dynamische Dominanz aus. Auch Anna Kissjudit, die als Hexe Ježibaba im sympathischen Gewand der Hausmeisterin auftritt, verleiht der Rolle mit ihrer markanten Darbietung Leben und ist zu Recht als Publikumsliebling gefeiert worden.

Szenenbild aus „Rusalka“
Szenenbild aus „Rusalka“

Die Ästhetik des Hässlichen

Nichts ist oder nichts will in dieser Inszenierung schön sein. Zumindest nicht im herkömmlichen Verständnis. Man muss über das ganze Spektakel hinweg an Karl Rosenkranz‘ Ästhetik des Hässlichen oder Umberto Ecos Werk mit gleichem Sujet denken. Mundruczó möchte Weg vom Märchenbild des Opernstoffes und den Blick hinwenden auf den Urkonflikt des Werks. Rusalkas sehnlicher Wunsch, jemand oder etwas anderes zu sein, und schließlich das Verzweifeln daran, dass dieses Ziel nicht zu erreichen ist. Diese Lehre muss die Wassernymphe teuer bezahlen: Mit dem Verlust ihrer Schönheit und dem Verlust ihres Wesens an sich. Hier bietet die Inszenierung viel Liebe zum Detail, diesen stetigen Verfall auch zu verdeutlichen. Beginnt es mit der unordentlichen, aber noch charakterstarken Wohnung der Wasserwesen, nimmt die Perversion über das Sushi-Essen im Loft – was einem de-facto-Kannibalismus für Rusalka gleichkommt – seinen Lauf und erreicht seine Klimax im Verfall des Hauses, in welchem aus allen Wänden der Ekel austritt – hier im Bild von Massen an Aal.

Szenenbild aus „Rusalka“
Szenenbild aus „Rusalka“

Metamorphose

Hand in Hand mit dem Konzept des zur Schau gestellten Ekels geht auch die stetige Entwicklung, allen voran Rusalkas kafkaeske Entwicklung vom Wassergeist über die glücklose Brücke des Menschen hin zum ermatteten Geschöpf, halb Mensch, halb Nymphe. Auch hier pervertiert Mundruczó diesen Prozess, in welchem sich Rusalka zum hässlichen, haarlosen Geschöpf, zur käferartigen Missgeburt verwandelt. Hierfür werden die Untiefen des Wassers sinnstiftend als Kellergeschoss ausgedeutet, in den sich die gescheiterte Nymphe regelrecht verkriecht. Auch das Haus befindet sich dabei im stetigen Verwandlungsprozess, an dessen Ende sich der Keller befindet. Der entzauberten Wirkung eines Horrorfilms angeglichen, ist dieser dunkel, dreckig und in ein gelblich-fahles Licht getaucht.

Szenenbild aus „Rusalka“
Szenenbild aus „Rusalka“

Nicht für die Ewigkeit gemacht

In seiner Gesamtheit darf man der Inszenierung ein gut funktionierendes Konzept zugestehen. Gezeigte Handlung und gesungener Text weichen sogar wenig voneinander ab. Der Reichtum an Impressionen und Details, wenn auch aus den dargelegten Gründen von besonderer ästhetischer Wirkung, beleben das Stück. Doch das Konzept guttierten nicht alle Zuschauer. Der Applaus zwischen den Akten fiel verhalten aus und war am Ende der Vorstellung eher der großartigen Leistung der Sängerinnen und Sänger und der Staatskapelle Berlin unter Leitung von Robin Ticciati geschuldet. Unbeeindruckt vom Geschehen auf der Bühne liefern er und das Orchester ein süffisantes, man möchte mit Augenwinkern sagen „aalglattes“ Ergebnis ab. Nach mehr als fünfzig Jahren seit der letzten Inszenierung des Werks in der Hauptstadt wurde es Zeit für etwas Neues, doch nicht mit den Mitteln eines progressiven Filmrealismus. Diese „Rusalka“ wird leider keine Jahrzehnte überdauern können.

Szenenbild aus „Rusalka“
Szenenbild aus „Rusalka“

Staatsoper Unter den Linden
Dvořák: Rusalka

Robin Ticciati (Leitung), Kornél Mundruczó (Regie), Monika Pormale (Bühnenbild & Kostüme), Felice Ross (Licht), Rūdolfs Baltiņš (Video), Candaş Baş (Choregrafie), Gerhard Polifka (Chor), Kata Wéber & Christoph Lang (Dramaturgie), Christiane Karg, Pavel Černoch, Anna Samuil, Mika Kares, Anna Kissjudit, Adam Kutny, Clara Nadeshdin, Regina Koncz, Rebecka Wallroth, Ekaterina Chayka-Rubinstein, Taehan Kim, Staatsopernchor, Staatskapelle Berlin

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