In Kornél Mundruczós Neuinszenierung von Dvořáks Rusalka (1900) an der Staatsoper Unter den Linden verschmilzt die zeitlose Märchengeschichte mit den sozialen Herausforderungen der Gegenwart. Die Frage nach der eigenen Identität und dem Platz in der Welt wird zum zentralen Thema einer modernen Coming-of-Age-Erzählung. Mundruczó verlegt das märchenhafte Geschehen in ein Berliner Mietshaus, wo die Naturbilder des Waldsees nun im Badezimmer eine surreale Wirklichkeit annehmen. Leider verliert sich jedoch im Verlauf die erzählerische Kohärenz – die Geschichte in ein modernes Sozialdrama zu transformieren bleibt in der Umsetzung oft unscharf.

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Christiane Karg (Rusalka)
© Gianmarco Bresadola

Dabei startet der Abend unterhaltsam mit drei fantastisch singenden und spielenden Elfen (Regina Koncz, Rebecka Wallroth, Ekaterina Chayka-Rubinstein). Das Bühnenbild von Monika Pormale zeigt eine studentische WG der Wasserwesen, in der es genau zwei Zimmer gibt. Eine Wohnküche und das Badezimmer, das Rusalka quasi ganztags okkupiert. Die drei WG-Mitbewohnerinnen des Wassermannes und Rusalkas sind pseudopunkige Teenager, die einen lüsternen alten Betrunkenen aka den Wassermann mit ihrem Elfenreigen triezen. Mit seinem schwarzen, aber warmen Bass war Mika Kares als mal grober, mal liebevoll mahnender Wassermann stimmlich das unangefochtene Highlight der Aufführung.

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Ekaterina Chayka-Rubinstein, Rebecka Wallroth, Regina Koncz und Mika Kares (Wassermann)
© Gianmarco Bresadola

Über der Wasser-WG wohnt die vermeintlich reiche Familie des Prinzen, die aus dem restlichen Personal und Komparsen besteht. Rusalkas Motivation, aus der gar nicht so furchterregenden WG zu fliehen, bleibt unerzählt. Depressiv liegt sie in ihrer Badewanne – die Videoprojektionen (Rūdolfs Baltiņš) zeigen hausbreit ihr Gesicht im Wasser. Aus Liebe, wie sie singt, kann es nicht wirklich sein, denn jede Begegnung mit dem Prinzen wirkt nicht so, als würde sie etwas von ihm wollen, geschweige denn von Leidenschaft träumen. Von Anfang an ist diese Nixe in Ihren Handlungen und Gesten aggressiv. Christiane Kargs stimmlich und spielerisch eher kühles Rollendebüt, verlangte allerdings eine unglaubliche körperliche Leistung von der Sängerin ab. Bis auf in wenigen zart-schillernden Momenten wie in ihrem Mondlied, wird sie zwischen den Charakteren hin und her geschubst, läuft weg, wirkt verschlossen, hart und hektisch. Sie krabbelt, kriecht und wendet sich in verschiedensten Kostümen durch das komplette Bühnenbild. Und auch wenn Pavel Černoch als Prinz in seiner mittlerweile dreizehnten Rusalka-Produktion mit seinem klaren Tenor lieblich nach seinem „Märchen“ ruft, sieht nichts nach Zärtlichkeit aus.

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Christiane Karg (Rusalka)
© Gianmarco Bresadola

Von der stimmgewaltigen und spielerisch sehr präsenten Hexe Ježibaba (Anna Kissjudit) wird Rusalka, um Mensch zu sein und zum Prinzen gehen zu können, nicht nur die Stimme, sondern auch das Haar genommen. Mit Kurzhaarfrisur und Emo-Kostüm trifft sie auf ihn, der ihrer schnell müde ist. Seine spießbürgerliche Familie, die beim Familienessen ironischerweise Sushi verspeist, ist sowieso gegen die für Ihren Sprössling nachteilige Verbindung. Der Prinz betrügt die sprachlose Nixe mit einer standesgleichen Frau und so zieht sie sich wieder in Ihre Badewanne zurück.

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Rusalka
© Gianmarco Bresadola

Ab hier bricht das unwirkliche immer mehr in die Inszenierung herein. Ein ewig langes schwarzes Tuch erscheint aus dem Wandbild im Penthouse, das unschuldig spielende Kinder am Meer zeigt (Déluge von Norbert Bisky), und wickelte sich um den Hals des Prinzen. Auf dem Video ist das Wasser in der Badewanne schwarz geworden. Wie Gregor Samsa in Kafkas Verwandlung entwirrt sich Rusalka plötzlich als glatzköpfiger Wurm aus ihrem Keramik-Zuhause. Aalartig gleitet sie mit überdimensionalem Kostüm über die Bühne. Die Familie des Prinzen bittet die Hexe Ježibaba den Prinzen aus dem Bann für dieses Wesen zu entlassen, aber sie lacht nur. Aus allen Schächten fliegen Aale heraus und die Hexe verjagt sie.

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Anna Samuil (Fremde Fürstin), Pavel Černoch (Prinz) und Christiane Karg (Rusalka)
© Gianmarco Bresadola

Rusalka lebte als großer Wurm mittlerweile im dunklen Keller – einem Raum des Irrationalen. Hier verliert sich die Metapher der Außenseiterin, da auch die Elfen und der Wassermann mit ihren neuen Kostümen Teil dieser kafkaesken Wurm-Phantasie sind. Bei leicht gelbem, unromantischem Strobolicht besingt der Prinz sie ein letztes Mal und sie kommen sich in Ihrer Unterschiedlichkeit endlich nah. Die unermüdliche Karg krabbelt und kriecht im riesigen Kostüm um Ihn herum, bis sie ihn mit einem Todeskuss von dem Fluch erlöst.

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Christiane Karg (Rusalka) und Anna Kissjudit (Ježibaba)
© Gianmarco Bresadola

Um dieses ideenreiche Konzept überzeugend zu machen, hätte die Oper hier noch mehr Filmrealismus vom eigentlich medienerprobten Regisseur vertragen. Stringente Erzählung und größere Kontraste zwischen Studi-WG und angeblicher Horrorkellerwelt hätte eine eindrücklicher auf das Heute übertragbare und trotzdem fantastische Erzählung ermöglicht. So verliert sich die Inszenierung in unklaren Figurenverhältnissen und motivationslosen Handlungen.

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Christiane Karg (Rusalka) und Pavel Černoch (Prinz)
© Gianmarco Bresadola

Musikalisch wurde der durchaus gute Abend auch von der Staatskapelle geführt. Unter der Leitung von Robin Ticciati, der ebenfalls sein Hausdebüt gab, manövrierte sie das Publikum zwischen den verschiedenen Stimmungslagen hin und her. Manchmal wirkte das Spiel etwas zurückhaltend, um den Sänger*innen Platz zu geben. Doch allein durch Dvořáks teils volksliedartige Musik und den wunderschön aus dem Off singenden Chor beschworen die Musizierenden eine märchenhafte Welt herauf, auch wenn sie optisch gar nicht da war.

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