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BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: RUSALKA; erste Vorstellung nach der Premiere. Todeskuss der Insektenfrau

09.02.2024 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden: RUSALKA; erste Vorstellung nach der Premiere; 8.2.2024

Todeskuss der Insektenfrau

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Foto: Gianmarco Bresadola

Erotischer Kick und Liebessehnen in einem gelangweilten und von erdrückender Normalität ausgelaugten Leben? Und das in einer Art Laborsituation, wo unvereinbare Biotope aufeinanderprallen: Die arme Außenseiterin sucht ihren Prinzen. Zwei Einsame auf getrennten Umlaufbahnen der Gesellschaft treffen aufeinander und starten den von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuch einer Bindung, ja sogar von Hochzeit ist die Rede. Man mische Hexerei, Metamorphose von halb Fisch zum stummen Menschen, einen durch Untreue ausgelösten Fluch und ein letales Ende mit gruseligem Liebestod hinzu, und schon haben wir „Rusalka“, diese zu Beginn der 20. Jahrhunderts entstandene, pessimistische Oper.

Jaroslav Kvapil hat Ingredienzien aus Hans Andersens Erzählung von der Meerjungfrau, Hauptmanns „Versunkener Glocke“, Friedrich de la Motte-Fouqués „Undine“ und slawischen Volksmythen zu dem großartigen psychologisch-symbolistischen Libretto verarbeitet, das Antonín Dvořák 1900 zu seiner populärsten Oper inspirierte.

In der Staatsoper Unter den Linden datiert die letzte „Rusalka“-Premiere aus dem Jahr 1968. Gesungen wurde damals in deutscher Sprache. Dass das „Lyrische Märchen“ Rusalka heute nicht mehr als traurige, idyllische Liebesgeschichte mit dunkel dräuendem Wald, Teich und Schlossromantik erzählt wird, liegt auf der Hand.

Der ungarische Film- Theater und Opernregisseur Kornél Mundruzcó sieht in Rusalka – das Libretto gibt das her – ein Identitätsdrama rund um Menschen/Fabelwesen, die in ihrer jeweiligen „Blase“ Perspektiven teilen, jenseits der eigenen Kreise aber miteinander wenig zu tun haben (man trifft sich im Stiegenhaus).

Die so fragile wie „andere“ Rusalka will der Enge entfliehen, wohl auch raus aus der eigenen Befangenheit. Ohne Wenn und Aber verbiegt sie sich bis zur Unkenntlichkeit, um so zu werden, dass sie ihren Prinzen bekommt. Mit dem Ergebnis: Viel Mut und ein hoher Einsatz für wenig Glück. Weil der ungeduldige Prinz bald feststellen muss, dass er einem Irrtum aufgesessen, wahrscheinlich einer Illusion erlegen ist, geht er fremd. Dass es keine gemeinsame Sprache, kaum gemeinsame Leidenschaft, keine gemeinsamen Freunde, überhaupt wenig Gemeinsames gibt, außer vielleicht den unbewussten Wunsch, gemeinsam unterzugehen, ist die wahre Tragik dieser surrealen Liebesgeschichte.

Angesiedelt hat Kornél Mundruzcó die Story im heutigen Berlin, in einem x-beliebigen Altmietshaus, wo die soziale Fallhöhe wie in Johann Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock oder Die Launen des Glücks“ sich sprichwörtlich im räumlichen Oben und Unten spiegelt. Rusalka und ihr Prinz. Berlin erweist sich im Klischee einer Stadt, die wie keine andere ihren Einwohnern die Freiheit suggerieren will, so sein zu können, wie sie es wollen, als große Falle.

Aktualisierungen inmitten eines unverwechselbaren genius loci ist nichts Neues, das hat etwa István Szabó 1993 an der Wiener Staatsoper bei „Il Trovatore“ versucht. In Berlin ist die Rechnung jedoch aufgegangen, wie die zweite einhellig bejubelte Aufführung der Inszenierung mit auffällig vielen Jugendlichen im Publikum zeigt.

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Foto: Gianmarco Bresadola

Ein Teil des Erfolgs der schrägen, sicher nicht alle Geschmäcker treffenden Produktion macht das spektakuläre Bühnenbild der Lettin Monika Pormale aus. Sie kreierte in drei Etagen mit fünf Räumen den Mikrokosmos des Stücks: Eine alternative Schmuddel-WG mit dem Expaar  biersaufender Alt-68-er Wassermann und zierliche Rusalka sowie den drei Elfen, heftige creatures of the night, das schicke Penthaus mit Dachterrasse und Blick auf den Fernsehturm „Alex“, wo Prinz, Heger, Küchenjunge und die vom Prinzen als Geliebte vorübergehend ad acta gelegte Fürstin sich zu einer Art Familienhofstaat zusammengefunden haben, die Hexe (Jezibaba) als derb- prollige Hausmeisterin und ein dreckiger Keller, wo der Showdown in surrealer Horroratmosphäre á la Kafkas „Die Verwandlung“ im giftigen Kuss der zum Wurmmonster mutierten Rusalka kulminiert.

Dass es so ein kurzweiliger, spannender und unterhaltsamer Musiktheaterabend geworden ist, liegt in erster Linie an der bis ins kleinste Detail ausgefeilten, das Konzept drastisch ausleuchtenden Personenregie, dem Timing und dem dramaturgischen Einfallsreichtum von Kornél Mundruzcó. Auch vor schrägem Trash und Humor wird nicht Halt macht. Der Hypernaturalismus der Akte eins und zwei weicht dem Grauen im dritten Akt mit der dem Gemälde entweichenden, den Prinzen würgenden Wasserschlange und von der Decke regnenden Aalen. Rusalka verwandelt sich in einen riesigen, schwarzglänzenden Wurm mit zwei Insektenvorderbeinen und Glatzkopf, der sich durch den Keller windet.

Handwerklich fußt die Inszenierung – wie heute auch in Opernhäusern nicht selten – auf der coolen TV-Ästhetik von Erfolgsserien, die sich an einem temporeichen, im fantastischen Realismus aufgehenden Bühnengeschehen manifestiert. (Anm.: Mundruzcós Film „Pieces of a Woman“ wurde zum Netflix-Hit.) Zwei Videosequenzen mit der in der Badewanne liegenden Rusalka, gerade einmal das Gesicht mit geschlossenen Augen ragt aus dem Wasser, mal schaumig umkränzt, mal in ölig schwarzer Flüssigkeit, unterstreichen dies. Ein beliebter filmischer Trick ist nicht zuletzt, dass das Realistische aufbricht und das Irrationale Einzug in eine vermeintliche Normalität hält.

Rollendebütantin Christiane Karg gibt die “verwirrte, verlorene, unglückliche“ Rusalka atemberaubend, biegsam und eindringlich. Die Wandlung des zarten Persönchens von dem hinter dem Duschvorhang zurückgezogen-geheimnisvollen Zwischenwesen über die den Mund mit schwarzer Farbe verkleisterte Fetischkunstfigur bis zum irrlichternden Todeswesen ist ein Kabinettstück an intensiver Entäußerung, körperlich wie stimmlich jegliche Grenzen auslotend. Pavel Černoch ist ein vokal routinierter, vom immer gleichen Luxusleben gelangweilter, bisweilen zorniger Prinz, mit einem Hofstaat als nervigem Echoraum am Hals. In der Schlussszene berührt er in seiner resignierten Verzweiflung und liegt von Rusalka kussbissig umschlungen in Todeszuckungen darnieder.

Mika Kares als vom Leben gezeichneter Looser, die personifizierte Midlife-Crisis in Unterhosen und Schlabberpulli, kann für seine exzellente stimmliche Leistung den meisten Applaus einheimsen. Anna Samuil mit ihrem scharfen, in der Höhe unkontrollierbar schrillen Sopran als Fremde Fürstin den wenigsten. Anna Kissjudit, Stimmwunder aus Budapest, zeichnet eine scharfe Charakterstudie der hausmeisterlichen Hexe. Sie keift und orgelt mit beeindruckender Kontraalttiefe. Den Zaubersud für Rusalkas Wandlung matscht sie genau so energisch wie sie die Schere für die neue Frisur der Abenteurerin lockenraubend schwingt.

Ein besonderes Lob verdienen die drei vom Timbre her wunderbar harmonierenden Elfen von Regina Koncz, Rebecka Wallroth und Ekaterina Chayka-Rubinstein. Sie würden auch als Rheintöchter jedem Haus uneingeschränkte Ehre machen. In kleineren Rollen erfreuen Adam Kutny als Heger, Clara Nadeshdin als Küchenjunge und Taehan Kim als Jäger.

Der Chor des Hauses (Einstudierung Gerhard Polifka), viel zu singen hat er nicht – aber was, das macht er gut – ist lediglich aus dem Off vernehmbar.

Robin Ticciati, seit 2017 Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, betont als Hausdebütant das expressive Moderne der Partitur. Mit der erstaunlich vielseitigen Staatskapelle Berlin setzt auf laute Kante und rhythmische-volkstümliche Drastik, nicht auf Streicherwohllaut. Markantes Holz und charaktervolles Blech lassen klangromantische Schwärmerei in weite Ferne rücken. Zum Geschehen auf der Bühne bar jeglicher Natur und böhmischen Waldes passt dieser „illusionslosere“ Ansatz jedoch bestens.

Dazu sorgt ein in dieser Form selten zu erlebendes Miteinander zwischen Bühne, Orchestergraben, Gesang und Aktion für eine große Geschlossenheit der Aufführung wie aus einem Guss. Der Wunsch des Regisseurs, mit dieser trotz sehr ernsten Backgrounds unterhaltsamen Inszenierung ein jüngeres Publikum anzusprechen, er möge in Erfüllung gehen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

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