Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

HANNOVER/ Staatsoper: LEAR von Aribert Reimann. Macht und Wahnsinn

11.02.2024 | Oper international

Aribert Reimann: Lear

Premiere an der Staatsoper Hannover, 10. Februar 2024

Macht und Wahnsinn

thu
Foto: Sandra Then/ Staatsoper Hannover

Die Neuproduktion von Aribert Reimanns Lear an der Staatsoper Hannover hätte längst stattfinden sollen, doch die Pandemie hat vieles durcheinandergeworfen, und so konnte die Premiere erst in diesem Februar stattfinden. Das Warten hat sich gelohnt, gelingt der hannoverschen Oper nämlich eine Aufführung von bemerkenswerter musikalischer und szenischer Intensität und Geschlossenheit.

Reimann stellt höchste Anforderungen an alle Beteiligten, Solisten, Chor, Orchester. Was am Premierenabend zu hören ist, lässt sich nur durch ein Wort beschreiben – eindrucksvoll. Michael Kupfer-Radecky gestaltet in der Titelpartie, zugleich seine letzte Neuproduktion als Ensemblemitglied der Staatsoper, einen Höhepunkt aller Rollen, die er bisher am Haus interpretierte. Er identifiziert sich vollkommen mit König Lear, singt ihn mit nicht nachlassender Intensität, vielen Zwischentönen, und macht die immer mehr dem Wahnsinn verfallende Persönlichkeit unmittelbar glaubhaft. Ihm zur Seite steht ein Ensemble, das ihm bis in die kleinste Rolle ebenbürtig ist. Seine Töchter sind mit Angela Denoke als Goneril, Kiandra Howarth als Regan und Meredith Wohlgemuth als Cordelia mit den genau passenden, drei ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten und Stimmcharakteren besetzt. Nils Wanderer singt mit glasklarem Counter den Edgar, Robert Künzli mit nach wie vor höchst präsentem Charaktertenor den Bastard Edmund, Frank Schneiders verleiht beider Vater, Graf von Gloster, scharfes Profil. In der Sprechrolle des Narren überzeugt Nico Holonics als Kommentator des Geschehens. 

Neben diesem überragend singenden und spielenden Ensemble sorgt vor allem Generalmusikdirektor Stephan Zilias für den Erfolg des Abends. Souverän und bei aller Massivität und Brutalität der Tonsprache Reimanns niemals übertönend führt er den riesigen Orchesterapparat sicher durch die Klippen der Partitur, besonderes Lob gebührt der Schlagwerkgruppe, die hinten auf der Bühne für alle gut sichtbar platziert ist und bravourös agiert. Der Herrenchor der Staatsoper komplettiert die musikalische Seite ebenfalls tadellos.

Reimanns musikalischer Sicht auf Lear szenisch zu begegnen ist nicht einfach, weil die Musik derart suggestiv ist und ganz viel an szenischen Impulsen vorgibt. Umso richtiger ist die Entscheidung von Regisseur Joe Hill-Gibbins, mit eher reduzierten Mitteln ans Werk zu gehen. Beherrschendes Element auf der ansonsten leeren Bühne sind viele weiße Pappkartons, die zu Beginn zu einem großen Würfel aufgebaut sind. Je mehr Lears Macht und damit das Geschehen ins Wanken geraten, desto fragiler wird dieser Würfel, bis er in einem der einprägsamsten Momente der Aufführung in sich zusammenfällt. Somit liegt sozusagen die Macht in ihre Einzelteile zerlegt auf der Bühne verteilt, und wie im folgenden die Pappkartons in immer wieder neuen Formationen erscheinen, wie die Protagonisten im wahrsten Sinne mit ihnen spielen, das ist sehr kunstvoll und lenkt keinesfalls von der Geschichte ab, im Gegenteil. Hill-Gibbins gelingt vor allem, sehr tief in die Psychologie der Figuren einzudringen und die sehr klar und erfahrbar zu machen. Die Kostüme von Evie Gurney setzen wenige, aber wirkungsvolle, farbige Akzente, bleiben ansonsten aber genauso schlicht wie der Bühnenraum, den Andreas Schmidt insbesondere in der Gewitterszene und im Finale stimmungsstark ausleuchtet.

Das Premierenpublikum ist zurecht begeistert und jubelt allen Beteiligten zu. Diese Aufführung ist, das Stück an sich ist anstrengend, fordernd, für die Beteiligten genauso wie für die Zuschauer. Doch sie ist so intensiv, so nahegehend, dass sie unbedingt einen Besuch wert ist.

Weitere Vorstellungen sind am 14. Februar, 03., 08., 10. und 21. März, Karten gibt es unter www.staatstheater-hannover.de 

Christian Schütte

 

Diese Seite drucken