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Kritik – "Die lustige Witwe" in Zürich Unter dem Flügel schnarcht der Graf

Barrie Kosky und Operette – das klingt erstmal vielversprechend. Doch am Opernhaus Zürich versenkte er Franz Lehárs "Lustige Witwe" in Klamaukgewittern. Auch die prominente Besetzung enttäuschte bei der Premiere am Sonntag überwiegend.

"Die lustige Witwe" von Franz Lehár am Opernhaus Zürich in einer Inszenierung von Barrie Kosky. | Bildquelle: Monika Ritterhaus

Bildquelle: Monika Ritterhaus

Anfangs denkt man: Schön, das wird eine jener wundervollen Operettenarbeiten von Barrie Kosky, die zwischen einfühlsamer Melancholie und krawalligem, indes unterhaltsamem Humor schwanken. Da sitzt zu Beginn (und auch nochmals gegen Ende) Marlis Petersen als Hanna Glawari am Flügel und erinnert sich offenbar an eine länger zurückliegende Geschichte. Graf Danilo umschwärmte sie einst. Doch er weigerte sich, ihr seine Liebe zu bekennen, weil er ein Problem mit ihrem Reichtum hatte, den wiederum ein bankrotter Staat haben wollte, weshalb man die Witwe gern standes- und staatsgemäß verheiratet hätte. Am Ende finden sich Graf und Witwe, als sie bekennt, im Falle einer Heirat verlöre sie ihr Geld. Tatsächlich bekommt dann aber ihr neuer Gatte alles. So weit, so operettig. Und so eigenartig oder auch problematisch, was das Frauen- und Männerbild betrifft ("Ja, das Studium der Weiber ist schwer").

Szenische und verbale Kalauer

"Die lustige Witwe" von Franz Lehár am Opernhaus Zürich in einer Inszenierung von Barrie Kosky. Marlis Petersen (Hanna Glawari), Michael Volle (Graf Danilo Danilowitsch)  | Bildquelle: Monika Ritterhaus Marlis Petersen als Hanna Glawari und Michael Volle als Graf Danilo Danilowitsch | Bildquelle: Monika Ritterhaus Barrie Kosky, der sich vor allem an der Komischen Oper Berlin so einzigartig um die jüdische Operettentradition verdient gemacht hat, sagte vor ein paar Jahren, Gassenhauer wie die "Fledermaus" oder eben Franz Lehárs "Lustige Witwe" würde er nie machen. Mittlerweile scheint Kosky aber alles an Aufträgen anzunehmen, was er kriegen kann – Hauptsache großes Haus und die entsprechenden Gagen. Dementsprechend, weil eben niemand gefühlt ein Dutzend Premieren pro Saison stemmen kann, missglückt immer öfters eine Neuproduktion. Die "Fledermaus" inszenierte Barrie Kosky gerade an der Bayerischen Staatsoper – ganz auf große Show fokussiert. Jetzt also in Zürich die "Lustige Witwe". Einem beträchtlichen Teil des Publikums gefiel das Feuerwerk aus szenischen und verbalen Kalauern, das vorwiegend nervöse Umherzappeln der Figuren. Oder Gags wie Danilos Schläfchen unter einem Flügel oder ein Fotoshooting aus dem Souffleurkasten. Und sogar die streckenweise unfassbar banale Hoppel-und Schunkel-Choreographie (Kim Duddy) kam an.

Oberflächliche Inszenierung von Barrie Kosky

"Die lustige Witwe" von Franz Lehár am Opernhaus Zürich in einer Inszenierung von Barrie Kosky. | Bildquelle: Monika Ritterhaus Federboa und Glitzer dominieren das Bühnenbild. | Bildquelle: Monika Ritterhaus Nur fragt man sich bald und dann mit zunehmendem Ärger, wie denn – bittschön – solch eine fast nur mit Oberflächenpomp arbeitende Chose zustande kommen konnte. Man muss Lehárs Verstrickungen in der NS-Zeit nicht zwingend thematisieren, man muss auch keine tiefenpsychologische Analyse der Figuren liefern, aber die Sache derart belanglos und oft charmefrei herunter zu inszenieren, ist eine glatte Frechheit. Dabei böte Klaus Grünbergs Ausstattung, ein Bühnenrund mit klug eingesetztem, sehr wandlungsfähigem Vorhang nebst einigen jugendstil-artigen Lampen durchaus ein gutes Ambiente. Bei den Kostümen (Gianluca Falaschi) hingegen sieht man den einschlägigen Kosky-Farb-Glitzer-Federboa-Rausch. Nur dass diesmal vieles zweckfrei wirkt und die Vermutung nahe liegt, hier musste unbedingt ein beträchtliches Budget ausgeschöpft werden.

Patrick Hahn und Michael Volle – vor allem laut

Musikalisch zeigt der junge, derzeit sehr gehypte Dirigent Patrick Hahn, wie Operette klingt, wenn man sie in einem eher kleinen Haus vor allem auf Oberfläche und Lautstärke trimmt. Eben mit Doppel-Wumms und Dreifach-Rumms. Das passt freilich zur Regie. Und sängerisch? Der vermutlich beste Wotan unserer Zeit, Michael Volle, gibt Graf Danilo. Mit immenser vokaler Kraft zwar, aber Lehár lässt sich nun mal nicht erbrüllen und hier handelt es sich um einen liebestollen Typ und nicht um einen Gott, der von seiner Tochter Abschied nimmt, die "Walküre" stand unseres Wissens nach nicht auf dem Spielplan.

Flattrige Marlis Petersen

"Die lustige Witwe" von Franz Lehár am Opernhaus Zürich in einer Inszenierung von Barrie Kosky. Katharina Konradi (Valencienne) und Andrew Owens (Camille de Rosillon) | Bildquelle: Monika Ritterhaus Katharina Konradi als Valencienne und Andrew Owens als Camille de Rosillon | Bildquelle: Monika Ritterhaus Nur wenige ruhige, sanfte Momente gibt es bei Volle, mehr davon liefert Marlis Petersen, allerdings hört man auch hier eine merkwürdige Interpretation, eher nervös flattrig und eigenartig verschattet. Petersen, die geniale "Lulu", die sensationelle Interpretin Neuer Musik, hier wirkt sie zumindest suboptimal eingesetzt (obgleich ihre Glawari kein Rollendebüt ist). Schlicht indiskutabel Andrew Owens als Camille de Rossilon, nervtötend fistelstimmig Martin Winkler als Baron Zeta, einzig Katharina Konradi in der mittelgroßen Partie der Valencienne überzeugt ohne Einschränkung. In Zürich gab und gibt es momentan viele tolle Produktionen, einen szenisch wie musikalisch herausragenden "Ring des Nibelungen" oder Puccinis selten gespielte "La rondine" in fulminanter Besetzung. Da mag man dieses Operettendesaster verzeihen, traurig ist es trotzdem!

Sendung: "Allegro" am 12. Februar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (10)

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Dienstag, 13.Februar, 15:40 Uhr

Jörn Florian Fuchs

Geschmäcker

Werte Kommentierende! Vielen Dank für die Reaktionen. So unterschiedlich sind eben die Wahnehmungen und Geschmäcker. Dies verlebendigt die Sache ja und sorgt vielleicht für mehr Emotionen als manche Operette. Ich empfehle indes zwei Dinge. Einen Blick auf die Kommentare der Fledermaus-Kritik im Dezember. Und auf Claus Guths Frankfurter Inszenierung des Werks - auch dort sang Marlis Petersen übrigens. Guth zeigte, was das Stück - und das Genre - hergibt, wenn man sich im Hier und Heute befindet und sein Hirn einschaltet.

Dienstag, 13.Februar, 12:00 Uhr

Katharina Hesse

Entsetzt

Ich bin beileibe kein Operettenfan und war nicht mit allem an dieser Premiere einverstanden. Aber ich bin wirklich entsetzt, Ihre Kritik an den Musikern und Saengern zu lesen. Das ist unterste Schublade und ich bin enttaeuscht dass der Bayerische Rundfunk so etwas veroeffentlicht.

Dienstag, 13.Februar, 08:32 Uhr

georges bridel

Lustige Witwe in Zürich

Ein Seufzer der Erleichterung, endlich mal einfach Spass ohne «Gender Käseglocke und politische Belehrung». Beruhigend: die Damen beherrschten in der Aufführung sowohl das Feld als auch die Männer... So unterschiedlich können Kommentare sein, was das Theater erst recht interessant macht! Die «Witwe» ist musikalisch hervorragend, insbesondere das Orchester, äusserst differenziert und präzise. Die Inszenierung natürlich mit Kalauern und mit mehr oder weniger witzigen Zitaten versehen. Egal, es ist ja auch Fasnacht. Die Massenszenen wirkten manchmal chaotisch, aber das wird sich mit der Zahl der Aufführungen richten. Die Balletteinlagen aber gekonnt. Die Einleitung und der Epilog der Solistin Marlis Petersen beim Flügel: ein genialer Einfall der zum Nachdenken anregt. Eine solche Schlussszene mit diesem Epilog unvorstellbar, also fand die Regie eine tolle Variante indem sie den Schlussapplaus mit einer Coda von allen Beteiligten verband. Klar, dass der riesige Applaus gesichert war!

Montag, 12.Februar, 21:38 Uhr

Anne Meyfried

Auweh, hat die Bahn gestreikt bei der Anreise? Bettwanzen im Hotel? Anders ist diese peinliche Kritik nicht zu erklären. Wer in dieser Premiere saß, kann nicht ernsthaft so viel boshaften Quatsch von sich geben. Selten habe ich so einen fein austarierten Orchesterklang gehört, der Graben nie zu laut, die Sänger stets auf Händen getragen. Dazu ein kluges Regiekonzept, das gerade wegen seiner sensiblen Personenführungen den Spagat zwischen Klamauk (positiv!!) und Tiefsinnigkeit so schön schafft. Aber wer interessiert sich schon für einen Kritiker, der sachlich berichtet, wenn man mit einem peinlichen Totalverriss noch viel mehr Aufmerksamkeit erzeugen kann… zum Schämen!

Montag, 12.Februar, 21:27 Uhr

Harald Steiner

Musikkritikern sagt man boshafterweise ja gerne gewisse wenig positive Charakterzüge nach und Sie, werter Herr Fuchs, tun mit dieser Kritik ihr Bestes, diesem Cliché mit Nachdruck Wahrheit zu verleihen. Das ist keine subjektive Kritikermeinung mehr, sondern boshafte und völlig ungerechtfertigte Generalvernichtung quasi aller Mitwirkenden. Wie Herr Steinruck frage auch ich mich, ob Sie tatsächlich in der selben Aufführung saßen wie ich, denn „laut“ und „unausgewogen“ sind zwei Begriffe, die wahrlich nicht zu dieser musikalischen Leistung passen. Ob es Ihnen vielleicht einfach aus Trotz einfiel, des Alters und dem großen Erfolges wegen den Dirigenten als Exempel zu verreißen- egal, wie der Abend tatsächlich lief…? Ich - und alle Anwesenden um mich herum waren jedenfalls begeistert, von musikalischer Leistung wie auch von der Regie, was sich auch am frenetischen Applaus widerspiegelte. Und eines noch- nicht alles, was dem Publikum gefällt ist wertlos, weil „populär“… Trugschluss!

Montag, 12.Februar, 18:11 Uhr

Michael Zimmermann

Kritik von Wolfgang Raiser

Sehr geehrter Herr Raiser
Vielen Dank für Ihre wohlgemeinten Zeilen. Ich habe jedoch sehr intensiv die Kritik von Herrn Fuchs gelesen. Er schreibt:“Man muss Lehars Verstrickungen in die NS-Zeit nicht zwingend thematisieren, man muss auch keine tiefenpsychologische Analyse der Figuren liefern, ABER die Sache derart belanglos und oft charmefrei HERUNTER zu inszenieren, ist eine GLATTE FRECHHEIT! Also durch die Blume meint der Schreiber doch, dass ein politischer Bezug da sein sollte, sonst würde er nicht nach seiner Aussage gegenüber der NS-Zeit und seiner Analyse der Figuren NICHT mit einem ABER fortfahren. Ja, meine Meinung ist, dass man nicht IMMER eine politischen Bezug zu einer Oper oder Operette HERSTELLEN muss. Sondern man kann eine Operette auch einmal so inszenieren, wie der Komponist seine Musik komponiert hat und sein Publikum einfach Mal unterhalten wollte.

Montag, 12.Februar, 17:04 Uhr

Daniela Gerstner

….Unterste Schublade…

Ich frage mich tatsächlich auch ob Sie bei dieser Premiere anwesend waren…. Oder ist das ein persönlicher kleiner Kampf gegen Barry Kosky? Respektlos und leider sehr durchsichtig wie Sie das beschreiben. Umher zappelnde Figuren? Choreografien die den Künstlern alles abverlangt haben, ein großartiger Martin Winkler- und das hohe Paar - zwei fantastische Persönlichkeiten- und Sänger…. Volle zu laut?? Haben Sie hingehört? Die Königskinder? Das Duett? Einfach nur ehrlich und berührend. Der Erfolg sprach für sich. Ihre Kritik ist einfach nur niveaulos! Schade BR

Montag, 12.Februar, 15:09 Uhr

Thomas Steinruck

Spannend....

Vielen Dank für Ihre sehr spezielle Einschätzung. Man muss sich in der Tat fragen, ob Sie physisch wirklich im Opernhaus Zürich zugegen waren und noch interessanter, wo Sie sassen. Wenn diese Premiere eines war, dann gerade nicht laut, sondern äusserst ausgewogen, gerade aus dem Orchestergraben und mit herausragenden Stimmen.

"Musikalisch zeigt der junge, derzeit sehr gehypte Dirigent Patrick Hahn, wie Operette klingt, wenn man sie in einem eher kleinen Haus vor allem auf Oberfläche und Lautstärke trimmt." Auch hier fragt man sich, ob Sie direkt vor einer (nicht vorhandenen) Tuba sassen. Die Aufführung war ungemein ausgewogen, in keinem Moment zu laut.

Zynismus kann man machen, Sie hatten offenbar einen schlechten Tag (diese Aussage solle entschuldbar sein, wenn man Sätze liest wie "der junge, derzeit sehr gehypte Dirigent"). Schade.

Montag, 12.Februar, 15:01 Uhr

Raiser, Wolfgang

Kritik Lustige Witwe Zürich

Sehr geehrter Herr Zimmermann, lesen können sollte man aber eine Kritik schon richtig, bevor man sie ebenso pauschal kritisiert wie man es dem Kritiker vorwirft: "Dann Ihre Forderung, dass man diese Operette ohne „politischen“ Bezug einfach so inszeniert hat! Ja, muss denn immer dieser Bezug hergestellt werden? " Genau das hat der Kritiker ja gerade verneint!

Montag, 12.Februar, 09:16 Uhr

Michael Zimmermann

Wie schreibt man eine Kritik?

Sehr geehrter Herr Fuchs
Was macht eine „wirkliche“ Kritik aus? Indem man sachlich und mit Respekt gegenüber den Künstlern einer Vorstellung vorgeht. Was Sie machen ist unterste Schublade und hat von Fachkompetenz leider nichts zu tun. Einfach mit negativen Vokabeln allem den Garaus zu machen! Dann Ihre Forderung, dass man diese Operette ohne „politischen“ Bezug einfach so inszeniert hat! Ja, muss denn immer dieser Bezug hergestellt werden? Kann man denn nicht einmal eine Operette so darstellen, so dass sich sich das Publikum an der Musik und an der Handlung auf der Bühne erfreuen kann, ohne politischen Fingerzeig? Ich bin von Ihrem „Geschreibe“ sehr enttäuscht und würde von einer Fachperson wirklich mehr erwarten!

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