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Im dritten Frühling: Barrie Kosky inszeniert „Die lustige Witwe“ in Zürich

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Hanna Glawari (Marlis Petersen) und Graf Danilo (Michael Volle).
Eine lange gemeinsame Vergangenheit verbindet Hanna Glawari (Marlis Petersen) und Graf Danilo (Michael Volle). Allerdings dauert es sehr lange, bis sie daraus die Konsequenzen ziehen. © Monika Rittershaus

Eben noch hat er in München mit der „Fledermaus“ ein Revue-Feuerwerk gezündet, in Zürich, bei der „Lustigen Witwe“, wird Regisseur Barrie Kosky ganz melancholisch. In der Lehár-Operette lässt er eine reife Frau zurückblicken.

Eine innige Umarmung gibt es dann doch. Nach all dem Zoff, den Verbitterungen und launischen Verweigerungen. Doch was da die Glawari umschlingt, ist nicht der Angebetete selbst, sondern sein gerahmtes Foto. Und man weiß nicht: Ist er abgehauen? Nur gerade auf Reisen? Oder vielleicht sogar gestorben – und sie schon wieder Witwe? Eine kleine Rahmenhandlung hat Regisseur Barrie Kosky erfunden. Es beginnt mit der verträumten Titelheldin am Flügel, dazu Konservenmelodien von einer historischen Klavierwalze, die Franz Lehár einst selbst und rubatoverliebt einspielte. Und es endet ebenso leise, wenn die Schlager seines Stücks in einem einzigen Geigenton verebben.

Der größtmögliche Gegensatz ist das zum Operetten-Feuerwerk, das Kosky vor wenigen Wochen in München abgebrannt hat. Wurde diese „Fledermaus“ zur Karikaturen-Parade mit Männern und Frauen hinter dem Rande des Nervenzusammenbruchs, umweht „Die lustige Witwe“ am Opernhaus Zürich eine Dauer-Melancholie. Kosky erzählt das Stück, das er als Operettenmann (!) wie die „Fledermaus“ lange nur umschlich, als Rückblende.

Viel hat das zu tun mit seinen Star-Protagonisten. Marlis Petersen (Hanna Glawari) und Michael Volle (Graf Danilo) sind keine 25 mehr, sondern mindestens im dritten Frühling. Wir sehen ein Paar, das eine lange Vergangenheit hat. Zwei Sturköpfe, sie einen Tick vernünftiger, durchtriebener, die längst zueinander gehören. Was sie wissen, aber nicht wahrhaben wollen. Der Gang zu Maxim und zu den Grisetten ist für den ergrauten Don Juan Routine und Flucht zugleich. Und Ventil – irgendwas muss man mit den noch steigenden Säften ja anfangen.

Wie geht Kosky mit Hitlers Lieblingsoperette um?

Volle, der grandioseste Wotan unserer Zeit, singspielt den Danilo als Mischung aus (zu) spätem Bub, genervtem Desperado und Naturereignis. Petersen, als indisponiert entschuldigt, entdeckt ihre Wahrheiten wie immer zwischen den Zeilen. Keine, die ausladend singt, sondern textklar und tonfein reflektiert. Ihre Glawari ist dank Kostüm und Perücke eine kühle Wiedergängerin der ebenso kühlen Marlene Dietrich. Womit wir bei der Verortung wären. Denn wie Kosky als jüdischer Regisseur mit Hitlers Lieblingsoperette umgehen würde, das stellte man sich im Vorfeld doch ziemlich spannend vor.

Hitlers Lieblingsoper, Wagners „Meistersinger“, hat Kosky bekanntlich im heil’gen Bayreuth als hintersinniges Politstück riskiert. Bei der „Lustigen Witwe“ lässt er mit Bühnenbildner Klaus Grünberg und Gianluca Falaschi (Kostüme) Historisches nur als sublimes Zitat oder Hintergrundfolie zu. In eine Endzeitstimmung ist der Abend getaucht, in eine Atmosphäre, in der sich alle nach irgendetwas zurücksehnen. Oder ihr Heil im Eskapismus suchen. Als Danilo seiner Glawari gegenüber von einer „Kriegserklärung“ poltert, zuckt man zusammen. Und wenn das zweite Paar Camille und Valencienne den „Zauber der stillen Häuslichkeit“ beträllern und behaupten „Die Welt liegt draußen so fern“, dann wird das so subtil ausgestellt, dass man begreift: Hier haben (nicht nur) sie genug vom Schlagzeilengewitter.

Die beiden sind in Zürich weniger Buffo-Paar und Kontrastmittel, sie könnten Hanna und Danilo vor 30 Jahren sein. Entsprechend gehaltreich und trotzdem aufgedreht singt Katharina Konradi (Münchens „Fledermaus“-Adele), während Andrew Owens allmählich sein emotionales Outing erlebt, das beherzt, manchmal auch steiftönig klingt. Martin Winkler als Baron Mirko Zeta und gehörnter Gatte ist wie schon bei seinem Münchner „Fledermaus“-Gefängnisdirektor zuständig für die Abteilung Groteske, was dem Naturkomiker prächtig gelingt.

Nur ein Vorhang-Ring auf reduzierter Bühne

Dass alles plastisch wird, liegt auch an der Ausstattung. Ein Vorhang-Ring, der Dinge freigibt oder verhüllt, dahinter ein Rundhorizont, der ständig präsente Flügel – mehr gibt es nicht. Was nicht heißt, dass Kosky keine Raketenrevuestufen zündet. Die Kerle umschwirren die Witwe als rallige Fracktruppe, Choreograf Kim Duddy hat alles vom Can-Can (inklusive Männerhintern im String) bis zum Massenwalzer parat. Wie immer bei Kosky flutscht die Aufführung. Da weiß man, was man kriegt: ein Handwerk, das jeder bestaunen muss, auch wenn man mit dem Konzept womöglich hadert. Zu einem ruhigen Zwischenspiel fahren Ballerinen mit gewaltigem Kopfputz herein, ein magischer Moment ohne Aktion. Eine Besinnung auf die Zwanzigerjahre, die hier kaum golden glitzern, sondern in Schwarz-Weiß. „Babylon Paris“, wenn man so will.

Der 28-jährige Patrick Hahn, Senkrechtstarter, Generalmusikdirektor in Wuppertal und Erster Gastdirigent beim Münchner Rundfunkorchester, ist ein versierter Pultmann. An den Fliehkräften von Lehárs Partitur hat er hörbar Spaß und kann sie dennoch bändigen. Das hat Zug, Geschmack, trumpft auch mal (zu) symphonisch auf.

Von diesem Abend bleiben nicht der – gleichwohl überrumpelnd gesungene – „Weibermarsch“ im Ohr oder die „Maxim“-Beschwörung. Sondern das finale „Lippen schweigen“, wenn Hanna und Danilo endlich allein und vereint sind. Dass Volle ausgerechnet hier einen kleinen Kratzer auf der Stimme hat, lässt einen erst recht schlucken: Dieser Danilo ist (ungewollt) vom Augenblick ergriffen. Weniger mit seiner „Fledermaus“ hat Barrie Koskys Zürcher „Witwe“ also zu tun. Diese lebensweise Melancholie knüpft an seinen anderen Münchner Wurf an – an den „Rosenkavalier“.

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