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Festspiele in Karlsruhe - Die Siroe-Saga

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Dahinter stecken Prinz Siroe und Prinzessin Emira. Foto: Felix Grünschloß
Dahinter stecken Prinz Siroe und Prinzessin Emira. Foto: Felix Grünschloß © Felix Grünschloss 2024

Die Festspiele in Karlsruhe statten zum Auftakt eine Händel-Rarität als Fantasy-Epos aus – dafür ist die subtile Psychologie des Geschehens mäßig geeignet, aber musikalisch lohnt das Abenteuer.

In das Londoner Theaterjahr 1728 fällt auch die Uraufführung von John Gays „Beggar’s Opera“ mit Musik von Johann Christoph Pepusch, die Jahrhunderte später und in einem anderen Gewand (so anders jedoch auch wieder nicht) als „Dreigroschenoper“ Sensation machte. Aber schon damals offenbarte sich dem begeisterten Publikum ihre fundamentale Frechheit und schadete, wie man liest, den Opernunternehmungen des großen Georg Friedrich Händel: erstens, weil Gay und Pepusch sich über dessen eitle Star-Truppe lustig machten, zweitens, weil allzu große Lachlust der ernsten Oper nicht bekömmlich ist. Dass die ernste Oper ihre eigene Karikatur immer in sich birgt, wissen gerade die, die sie lieben.

Händels „Siroe, Re di Persia“, drei Wochen nach der „Bettleroper“ uraufgeführt, war gleichwohl erfolgreich, und doch lag Neues in der Luft, und sie geriet dann in den umfangreichen Bottich der Opernraritäten. Zur Wiederbelebung sind die Händel-Festspiele in Karlsruhe sehr geeignet, die ihre 46. Ausgabe erreicht haben und insofern sämtliche 42 Händelopern bereits aufgeführt haben könnten (aber wer geht schon so methodisch vor). Zur Eröffnung inszenierte Intendant Ulrich Peters das psychologisch recht ausgefeilte Werk: zur astreinen Händel-Arien-Perlenkette mit ambitionierten Rezitativen ein Libretto des jungen, aber schon großen Pietro Metastasio.

Heftig wallen die Gefühle zwischen dem vielfach verstrickten Personal aus royalen Kreisen. Emiras Vater ist von Siroes Vater, Cosroe, König von Persien, eigenhändig gemordet worden, nun hat sie als Mann verkleidet Cosroes Vertrauen gewonnen, sinnt auf Rache, liebt aber Siroe. Wunderbar lässt ihr Metastasio irgendwann zurufen, dass man, von Liebe und Hass zerrissen, mittelfristig auf eines von beiden wird verzichten müssen. Laodice ist die Geliebte von Cosroe, aber auch sie liebt Siroe und zwar sehr. Sie hasst ihn auch, weil er sie zurückweist, aber sie liebt ihn trotzdem. „Erwarte nicht von mir, dich nicht zu lieben.“ Unter den Männern verhält es sich so: Cosroe bestimmt nicht Siroe, sondern dessen jüngeren Bruder Medarse zum Thronfolger. Etwas vereinfacht gesagt. So dass nun die Liebe an allen Fronten schweren Herausforderungen aufgesetzt ist. Und obwohl das eine klassische Barockopernsituation ist, in der Stunde um Stunde in hundert Nuancen weitergesungen werden kann, weil einmal mehr die Liebe überwiegt, dann die Treue, dann die Wut, dann die Verzweiflung, dann die Hoffnung und dann wieder die Liebe, so ist „Siroe“ doch auch auf dem Stand, auf dem sich Gefühle – das Komplizierteste und zugleich Offensichtlichste der Welt – wirklich bewegen. Nicht umsonst wurde dieses Metastasio-Libretto immer wieder vertont.

Während man sich also im „Siroe“ in einem zeitlosen Damals wie Heute befindet, und das Heutige in der eleganten Übertitel-Übersetzung unaufdringlich zur Geltung kommt, haben sich Peters und der Bühnen- und Kostümbildner Christian Floeren für eine sattsame Fantasykintopp-Ausstattung entschieden. Opulente und dezent sexy Pseudomittelalterkleidung mit auffälligen Frisuren, die Bühne eine apokalyptische Trümmerlandschaft mit wirkungsvollen hochkulturellen Überresten. Fackeln, klirrende Schwerter, nachher auch einige eine Spur behäbige, aber gewiss ausgetüftelte Kampfszenen.

Die Serie „Game of Thrones“ schwebte ihnen dabei vor. In der aus Zuschauersicht naturgemäßen Dauertotalen einer Theaterinszenierung liegt es aber auch nahe, an ein Computerspiel zu denken. Man will einmal eines von den dicken Büchern, eine Fahne, Waffe, ein Trümmerteil anklicken und sehen, was sich dahinter verbirgt. Denn es macht einiges her, aber es ist auch ein Gimmick und eine Oberfläche. Als große Dekorationsmaschinierie ist es barock, aber die fabelhafte Gegenwart und Psychologie muss man sich dazudenken. Zumal die Bewegungssprache über weite Strecken ein konventionelles Stehen und Gehen in Verkleidung ist, so behände das Ensemble im Einzelnen auch wirkt.

Musikalisch sind das wahrhaft Festspiele. Dass die beiden Mittelaltermarktraufbolde, die Brüder Siroe und Medarse, Countertenöre sind, lädt zur Überprüfung eigener Vorurteile ein. Rafal Tomkiewicz’ Stimme lässt noch dazu (gar nicht unpassend zur Rolle) einen eher zierlichen Titelhelden hören, Filippo Mineccia hat mehr Durchschlagskraft, wenn auch am Ende das Nachsehen. Armin Kolarczyk donnert als Cosroe herrlich drein zwischen die hell zagende Jugend, vor allem aber gehört der Abend den beiden Frauenstimmen: Sophie Junker als lichter timbrierte Emira und Shira Patchornik als große, ins Dramatische ragende Laodice. Ein zu Händels Zeit süffisant beäugter Wettstreit zweier Diven, in Karlsruhe ist längst klar, dass eine große Oper Platz für viele Stimmfarben hat. Attilio Cremonesi dirigiert die Festspielcombo der Deutschen Händel-Solisten, rücksichts- und doch glutvoll. Das Publikum völlig aus dem Häuschen.

Staatstheater Karlsruhe: 21., 24., 29. Februar. Händel-Festspiele bis 4. März. www.staatstheater.karlsruhe.de

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