Kosky inszeniert Die lustige Witwe in Zürich

Die melancholische Witwe

Barrie Kosky inszeniert in Zürich Franz Lehárs „Die Lustige Witwe“

Von Joachim Lange

(Zürich, 11. Februar 2023) Barrie Kosky hat in seiner Zeit als Intendant der Komischen Oper (als Nachfolger von Andreas Homoki) seinen Namen ziemlich nachhaltig mit der sogenannten Berliner Operette verbunden. Und sich parallel dazu als einer der vielseitigsten „ernsthaften“ Opernregisseure etabliert. Als Intendant hat er ein ganzes, einst gefeiertes und dann von den Nazis verfemtes Kapitel Berliner Musiktheatergeschichte wiederbelebt: Die von jüdischen Künstlern dominierte Berliner Operette. Als Regisseur hat er dieses Kapitel aufpoliert und in seiner Federboa-Revue- und hintersinnig komödiantischen Handschrift neu herausgegeben.

Man durfte wohl getrost dagegen wetten, dass sich dieser Operetten-Zampano an seine eigene Aussage halten würde, ausgerechnet um die zwei auch heute noch populärsten Schmuckstücke des Genres einen Bogen zu machen. Allein schon die musikalische Verführungskraft der unverwüstlich über nahezu jede Bühne flatternden „Fledermaus“ von Johann Strauss und auch der Charme der „Lustigen Witwe“ von Franz Lehár sind einfach zu groß, um ihnen zu widerstehen. An seinem damaligen Haus hat er sich allerdings an sein kokettierendes „Nicht-doch“ gehalten. Jetzt, da er sich intensiver denn je seinem Hauptberuf als Regisseur widmet und in atemberaubender Folge eine Inszenierung nach der anderen raushaut, gab es vor Weihnachten seine „Fledermaus“ in München und nun, kurz danach, auch die „Lustige Witwe“ beim Zürcher (Noch-) Intendanten Homoki.

Zu den Überraschungen, die Kosky bietet, gehört, auch Erwartungen an ihn zu unterlaufen. Oder Unvermutetes miteinander zu konfrontieren. Bei seinen Bayreuther „Meistersingern“ etwa die Wagner-Komödie und den deutschen Alptraum.
Dass der „Lustigen Witwe“, die 1905 gleich als Erfolg auf die Welt kam, das Unbeschwerte im Lustigen etwas abhanden gekommen ist, liegt nicht an ihr selbst, sondern an einem ihrer Freunde. Das Etikett „Hitlers Lieblingsoperette“ ist ein Makel. Wenn man durch die Brille heutiger Sprachtugendwächter auf den Text schaut, wohl auch das Frauenbild des Librettos von Vitor Léon und Leo Stein.

Auch wenn Kosky gerne selbst die Oberfläche glänzen und Funken sprühen lässt, um sein Publikum zu verführen, hält ihn das nicht davon ab, nach dem Kern der Sache zu suchen. Und da hat eine Frau wie die millionenschwere Witwe Hanna Glawari nichts von einem Opfer, das zu bedauern ist, weil das Testament ihres Mannes verfügt, dass die Millionen an seinen Nachfolger übergehen, wenn sie wieder heiratet. Sie ist eine moderne Frau, die am Ende den Mann kriegt, den sie schon vor vielen Jahren wollte, aber aus Standesdünkel (auf dessen Seite) nicht heiraten durfte.

Im Programmheft sagt Kosky, dass die Mischung aus selbstbewusstem Charme und Ernsthaftigkeit Hanna Glawari zu einer modernen Frau machen. Und genau so setzt Marlis Petersen sie bei ihm in Szene. Es ist eine erwachsene Liebesgeschichte, die sich am Ende gegen gesellschaftliche Hindernisse behauptet. Oder jedenfalls behauptet hat und jetzt in der Erinnerung von Hanna lebt.

Kosky hat eine melancholische Rahmenhandlung zu dem hitgespickten Blick ins Pariser Nacht- und pontevedrinische Intrigenleben hinzugefügt. Vor dem anfangs verblüffend nüchternen, dann aber ziemlich praktischen Vorhangrunds im Zentrum der Bühne sitzt Hanna einsam an einem Flügel. Das Arrangement aus Motiven der lustigen Witwe, das dazu erklingt, stammt tatsächlich von einer Klavierwalze, die ein Spiel von Lehár persönlich festgehalten hat! Womit sich die Inszenierung gleichsam an die Seite des Schöpfers dieser massiven Ansammlung von Welthits stellt.

In Zürich leistest sich Kosky den Luxus, diese Geschichte ernst zunehmen und zwar ganz unabhängig von der Rezeptionsgeschichte und den falschen Freunden. Dass Hanna am Ende, nach dem Finale, am Flügel jetzt das Bild Danilos an sich drückt, ist ein melancholischer Erinnerungskunstgriff, der das (seit Tucholsky) sprichwörtliche Abblenden nach dem Happyend unterläuft und gleichzeitig bietet.

Die Besetzung des hohen Paares Hanna und Danilo mit Marlis Petersen und Michael Volle ist natürlich programmatisch. Wenn eine versierte Lulu auf den führenden Wotan trifft, dann hat das musikalische Folgen. Da kommt zur perfekten Komödie vokales Schwergewicht respektive dramatisches Potential. Dass dieser Danilo hier mehr auf eigene Rechnung zwischen Schreibtisch und den Damen bei Maxim hin und her wechselt, aber auch er von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen lässt, wer die Witwe am Ende heiraten wird, gewinnt bei Volle durch das Ausspielen des Mannsbilds, das hinter dem Salonlöwen steckt, eine vom Rollenklischee abweichende, eigene Plausibilität. Marlis Petersen wiederum umweht von Anfang an ein Hauch von Marlene Dietrich. Da konnte sich Gianluca Falaschi mit seiner Melange aus Pariser und Pontevedrinischer House Couture aufs Andeuten beschränken. Den Habitus, den Blick, die Aura lieferte die Petersen auf eigene Rechnung. Und schmuggelt auf diese Weise eben doch gekonnt subtil einen zeitbezogenen Subtext ein. Den man auch übersehen kann, wenn man will.

Was man nicht übersehen kann, ist die hemmungslose Kostümorgie, samt den phänomenalen Kopfputz-Arrangements. Ob nun in der Pariser oder der stilisiert folklorisierten pondevedrinischen Art. Das ist eine Augenweide, die sich mal nicht auf das gewöhnliche Secondhand-Quietschbunt aus dem Fundus beschränkt.
In dem karg abstrakten Bühnenrahmen (von Klaus Grünberg) und der faszinierenden Kostümopulenz spielt Kosky mit einer perfekt sitzenden, temporeichen Personenregie eine seiner größten Stärken aus. Raus kommt eine mitreißende Nummernrevue mit Hintersinn, die keine musikalische Pointe auslässt, um einen Treffer beim Publikum zu landen. Beim Studium der Frauen klatschen sogar die spröden Zürcher mal mit.

Mit Katharina Konradi als Botschaftergattin Valencienna und Andrew Owens als deren Verehrer Rosillon ist auch das Buffo-Paar vokal und darstellerisch bestens aufgehoben. Für das – wenn man so will – dritte Paar, den etwas beschränkten Baron Zeta und seinen beflissenen Diener Njegus ziehen Martin Winkler und Barbara Grimm alle Knallchargenregister. Dem fabelhaften, immer wieder dazwischen funkenden Ballett hat Kim Duddy den passenden Schmiss verordnet.

Am Pult des Hausorchesters, der Philharmonia Zürich setzt Patrick Hahn auf Tempo und wahrt doch meistens auch die Balance zu den Stimmen, selbst wenn sie nicht das Volle-Format haben. Zu Koskys Markenkern gehört es, sich immer wieder neu zu erfinden. Nicht völlig aber doch hinreichend überraschend so wie mit dieser melancholischen und doch wieder (oder immer eher melancholischen als) „Lustigen Witwe“.

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