Hauptbild
AJ Glueckert (Görge) und Magdalena Hinterdobler (Grete). Foto: Barbara Aumüller

AJ Glueckert (Görge) und Magdalena Hinterdobler (Grete). Foto: Barbara Aumüller

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die Opfer träumen ein Happy End – Zemlinskys „Traumgörge“ in Frankfurt

Vorspann / Teaser

Alexander Zemlinsky konnte seine Oper „Der Traumgörge“ nie auf der Bühne erleben. Gustav Mahler hatte das Werk, komponiert zwischen 1904 und 1906, für die Wiener Hofoper angenommen und bereits mit der Vorbereitung begonnen, als er sich für die Metropolitan Opera in New York entschied und sein Nachfolger Felix Weingartner alle Absprachen wieder einkassierte. Das Licht der Welt erblickte das Werk erst 1980 in Nürnberg, nachdem Wulf Konold auf das Material gestoßen war. Seither nahmen die Häuser Zemlinskys dritte Oper sporadisch auf, und doch hat man sie noch nie so gehört wie jetzt in Frankfurt. Der Premiere am 25. Februar lag die korrigierte Neuausgabe des Zemlinsky-Biografen und Dirigenten Antony Beaumont zugrunde. 

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Der Legende nach setzte sich Zemlinsky einmal in seinen letzten Lebensjahren – schon im amerikanischen Exil – an das Klavier und spielte aus dem „Traumgörge“. Er habe sich, so seine Frau Louise, danach umgedreht und zu ihr gesagt: „Und es ist doch gut.“ In der Tat: Musikalisch ist „Der Traumgörge“ ein Meisterwerk. Die nach-wagnerische Harmonik irrlichtert, süße Gesänge schlagen blitzschnell in gezackte Linien um, ein gutes Dutzend Leitmotive wird in zahllosen Varianten immer wieder neu beleuchtet, eine schöner als die andere. 

Es schwächelt das Libretto, auch wenn die strichlose Produktion in Frankfurt manche Lücke schließt. Der erste Akt funktioniert. Er zeigt den verträumten Büchernarr Görge in seiner Heimat, aus der er angesichts der bevorstehenden Verlobung mit der bodenständigen Grete das Weite sucht. Der zweite Akt – Görge soll in einem anderen Dorf die Rebellion der Bauern anführen, liebt aber die Außenseiterin Gertraud und will keinesfalls auf sie verzichten – ist krude und tritt auf der Stelle. Der Epilog stand schon im fin de siècledem er entstammt, unter Kitsch-Verdacht: Gertraud und Görge sind zurückgekehrt und sonnen sich im Applaus der Dorfbevölkerung. An der Oper Frankfurt deutet Regisseur Tilmann Köhler dieses unglaubwürdige happy end als Vision von Görge, der mit der als Hexe verschrienen Gertraud dem ziellosen Bauernaufstand zum Opfer fiel. Chapeau! Köhlers Inszenierung im akustisch schmeichelhaften Fichtenholz-Trichter von Karoly Risz überzeugt vor allem im ersten Akt durch schnurgerades Erzählen. In der Szene am Bach – Görge träumt sich hier seine Prinzessin herbei, die ihn in die Welt schickt – genügt Jan Harmann ein dezenter Lichteffekt, um eine komplett andere Stimmung hervorzurufen. Die Längen des zweiten Aktes fördert Köhler leider durch mangelnde Personenregie. Görge ringt an der Rampe die Hände, während Gertraud in alberner Christus-Pose verharrt. 

Bild
vorne sitzend AJ Glueckert (Görge) und Zuzana Marková (Prinzessin Gertraud), dahinter Liviu Holender (Hans) und rechts davon Magdalena Hinterdobler (Grete; mit weißem Hut) sowie Ensemble. Foto: Barbara Aumüller

vorne sitzend AJ Glueckert (Görge) und Zuzana Marková (Prinzessin Gertraud), dahinter Liviu Holender (Hans) und rechts davon Magdalena Hinterdobler (Grete; mit weißem Hut) sowie Ensemble. Foto: Barbara Aumüller

Text

Dirigent Markus Poschner nimmt sich selbst am Premierenabend die Zeit, für zehn Minuten den Einführungsvortrag des Dramaturgen Zsolt Horpácsy zu beehren. Im Graben vollführt er das Kunststück, die komplexe Polyphonie der Partitur nicht nur hörbar zu machen, sondern auch zu gestalten und dabei die Balance mit der Bühne nie aus den Augen und Ohren zu verlieren. Dorthin gehört in erster Linie ein nervenstarker Görge. Eine der anstrengendsten Partien des Repertoires. Man benötigt einen Lyrischen Tenor mit der Kraft eines Siegfrieds und der Textverständlichkeit eines Florestans. Der Amerikaner AJ Glueckert, im Frankfurter Festengagement, bringt das alles mit und bleibt während der knapp dreistündigen Spieldauer ein verlässlicher und bühnenstarker Sänger. Zuzana Marková gestaltet die hohe Partie der Gertraud klangschön und konditionsstark, auch wenn vieles im großformatigen Vibrato ertrinkt. Magdalena Hinterdobler prägt als Grete spielerisch und sängerisch den ersten Akt, Iain MacNeil als gewaltbesoffener Hippie den zweiten; auch diese beiden stammen aus dem unübertroffenen Frankfurter Sängerensemble.

Im Schlussbild bekennt das Regieteam noch einmal Farbe. „Träumen und spielen“ singen Görge und Gertraud. Sie schaukelt beseelt, berieselt von Glitzerkram, ihm genügen ein paar Steine vom Bach, um eine ganze Kinderschar in seine Fantasiewelt zu entführen. Wie schön, dass auf der Opernbühne weiter fabuliert wird und der „Traumgörge“ nicht als verloren gelten muss.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!