Ensembleszene auf Holztreppe

Gefangen im Innenleben

Peter Tschaikowsky: Eugen Onegin

Theater:Deutsche Oper am Rhein, Premiere:25.02.2024Autor(in) der Vorlage:Alexander PuschkinRegie:Michael ThalheimerMusikalische Leitung:Vitali Alekseenok

Michael Thalheimer inszeniert Tschaikowskys „Eugen Onegin” an der Rheinoper in Düsseldorf als reduziertes Psychogramm der Hauptfiguren. Das Publikum feiert zurecht ein herausragendes Ensemble und einen trotz Kargheit sehr emotionalen Abend.

Die Zeit steht still in dieser beklemmenden Guckkastenholzbühne. Auch das bäuerliche Landleben, das uns Alexander Puschkins Roman und Peter Iljitsch Tschaikowskys gleichnamige Vertonung von „Eugen Onegin“ beschreiben, kommt immer wieder zum Erliegen im Freeze. Der Chor friert dann ein beim wilden Volkstanz, damit wir fokussieren, worum es Tschaikowsky vom ersten Takt an geht in seinen lyrischen Szenen: um die innere Zerrissenheit des Mädchens Tatjana.

Wie reduziert Michael Thalheimer das in Szene setzt, die Emotionen seiner Figuren wie im Brennglas zeigt, ist nicht nur schlüssig, sondern wird von einem Weltklasse-Ensemble beglaubigt, allen voran Ekaterina Sannikova als Tatjana. Ein Fest der Sängerinnen und Sänger, immer wieder unterbrochen vom jubelnden Beifall des Düsseldorfer Publikums.

Die Guckkastenholzbühne: Sinnbild für die Enge des Lebens

In warmen Orangetönen (Licht: Stefan Bolliger) schimmern die acht mal sechzehn Holzquader, die anfangs zu Treppenstufen angeordnet sind, später ineinander geschoben einen wuchtigen Holzrahmen ausfüllen (Bühne: Henrik Ahr). Wie diese Wand nach vorn fährt und Tatjana wegschiebt, schnürt einem die Kehle zu. Hier drin gefangen nimmt das Drama der Schwestern Olga (Ramona Zaharia) und Tatjana seinen Lauf, versinnbildlicht uns die Enge und Monotonie im Leben des russischen Landadels, der in den Kostümen von Michaela Barth stilvoll und eher zeitlos gekleidet ist. Die glänzend-rot polierten Gummistiefel des Chores zeugen jedenfalls nicht von Feldarbeit.

Während die lebenstrunken-fröhliche Olga schon mit Nachbar Lenski verlobt ist, hängt Tatjana schwermütig ihren Tagträumen über Roman-Helden nach. Als Weltmann Onegin mit Lenski zu Besuch erscheint, ist Tatjana ihm noch vorm ersten Wortwechsel verfallen. Es folgt ihr jugendlich-naives Liebesgeständnis per (imaginiert in die Luft geschriebenen) Brief und Onegins spröde Zurückweisung – mit Hinweis auf seinen keinesfalls Ehe-geeigneten Lebenswandel.

Die Titelfigur Onegin: kein Schnösel

Doch so arrogant wie in der literarischen Vorlage ist dieser Onegin im stattlich blauen Anzug keineswegs. Bogdan Baciu gibt ihn weniger als eitlen Aufreißer denn als verständnisbemühten Menschen, wenn er Tatjana väterlich tröstend seine Hände auf die Schultern legt. Und im Duell mit Lenski knallt er diesen keineswegs rachsüchtig ab, sondern sehr bedächtig, ja bedauernd fast. Michael Thalheimer entwickelt – wie Tschaikowsky selbst – vor allem in den intimen Szenen viel Mitgefühl mit seinen Figuren.

Und er stellt librettogetreu in allen drei Akten je eine Figur ins Zentrum: Der erste erzählt Tatjanas Liebeswirren um Onegin, der zweite Lenskis Kränkung und seinen resignativen Tod im Duell, der dritte Onegins verspätete Erkenntnis, Tatjana doch zu lieben. Der hervorragend einstudierte und teilweise synchron agierende Chor der Deutschen Oper am Rhein (Gerhard Michalski) ist da ebenso dramaturgische Staffage wie die übrigen Figuren: Mutter Larina (in blauem Kostüm überzeugend: Katarzyna Kuncio), Kindermädchen Filipjewna (so energetisch wie rührend: Ulrike Helzel), Komödiant Triquet (Sergej Khomov) und natürlich Fürst Gremin (solide und mit eher zarter Tiefe: Bogdan Taloș).

So wird der Abend zum großartigen Kammerspiel von Lenski und Olga, Tatjana und Onegin, in dem kleine Gesten wie Fingerspiele der Liebenden oder das kurze Stuhlbesteigen mit ausgebreiteten Armen von Onegin – allein auf dieser riesig leeren Bühne –, uns das ganze Drama des Lebens mit seinen verpassten Chancen und falschen Entscheidungen vorführt.

Ramona Zaharia (Olga) und Ovidiu Purcel (Lenski).

Szene mit Ramona Zaharia (Olga) und Ovidiu Purcel (Lenski). Foto: Andreas Etter

Lenski als Sympathieträger in schwarz

Vor allem leiden wir mit dem Lenski des Ovidiu Purcel, der in schwarzem Pullover und Mantel seine Figur zum Sympathieträger gestaltet, mit scharf-süßer Höhe und filigransten Phrasierungen den Saal erfüllt, oder brodelnd vor Wut seine Worte Onegin quasi vor die Füße spuckt. Ramona Zaharia gibt Olga mit sonorem Mezzo und tänzelnder Leichtigkeit, während die ukrainische Sopranistin Ekaterina Sannikova die Leiden der jungen Tatjana ebenso physisch wie psychisch beglaubigt.

Vitali Alekseenok führt die Düsseldorfer Symphoniker anfangs ruhig und getragen, später zunehmend expressiv und unterstreicht aufs Neue, weshalb Tschaikowskys Meisterwerk bis heute zu den meistgespielten Opern gehört. Das dürfte auch in hundert Jahren noch so sein, solange nämlich, wie Menschen sich verlieben, verletzen und verlassen.