Onegin an der Deutschen Oper am Rhein

Kein Ausweg. Nirgends.

Michael Thalheimer inszeniert an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf Peter Tschaikowskys „Eugen Onegin“

Von Roberto Becker

(Düsseldorf, 25. Februar 2024) Es ist immer eine spannende Frage, was Michael Thalheimer und einer seiner bildmächtigen Raumerfinder optisch anbieten, wenn sie das psychologische Ultraschallbild eines bekannten Stoffes inszenierend diagnostizieren. Im Falle von Peter Tschaikowskys wohl populärster Puschkin-Veroperung „Eugen Onegin“ durfte man also von vornherein kein anheimelndes Landhausklischee mit nächtlicher Briefschreiberin, einem hübsch herausgeputzten Sommerfest bei den Larins oder eine opulente Ballszene beim Fürsten Gremin erwarten. Ohne die imponierende Selbstermächtigung der jungen Tatjana, die gegen alle Konvention dem weltläufigen Onegin ihre Liebe gesteht, den handfesten Streit auf dem Fest, der den ja auch Puschkin das Leben kostenden „Ehrbegriffen“ folgt, die einen läppischen Streit in einem Duell münden lassen, das einmal angekündigt dann auch stattfinden muss und ohne die emotionalen Selbstentblößungen von Gremin (mit seinem ans Herz greifenden, öffentlichen Liebesbekenntnis), vor allem aber Onegins und Tatjanas bleiben auch in einem noch so nüchternen Ambiente eine szenische Herausforderung.

Wenn man sich nach kurz irritierender Eingewöhnung auf die optische Setzung einlässt, dann bestehen Thalheimer, Henrik Ahr (Bühne) und Michaela Barth (Kostüme) die Herausforderung, indem sie sich auf die Assoziationsbereitschaft des Publikums, die eigenständige emotionale Wucht von Tschaikowskys Musik und ihre durchweg überzeugenden Protagonisten setzen.

Die Bühne wird von einem wuchtigen Holzrahmen beherrscht, der von acht mal sechzehn hölzernen Elementen ausgefüllt ist. Die können eine Wand bilden, die die Spielfläche bis auf einen schmalen Streifen in Rampennähe verkleinert, aber sich auch soweit nach hinten bewegen, dass die Illusion eines Ballsaals entsteht. Zu Beginn aber sind einzelnen Elemente so nach vorn geschoben, dass sie eine Treppe bilden, die einmal von links nach rechts und dann wieder rechts nach links oben führen. Bei den ersten Auftritten sieht man zuerst die Füße. Die Akteure steigen in diese metaphorische Versuchsanordnung herab. So, als würden sie von einem Fußweg in eine Kellerwohnung herabsteigen.

Das Abstrakte dieses potentiell klaustrophobischen Raumes verweist (wie die zeitlos in die Gegenwart deutenden Kostüme) per se auf zu allen Zeiten geltende gesellschaftliche Grenzen, die auflodernden Gefühlen oder individuellen Lebensträumen gesetzt sind. Auch in Zeiten, in denen Duelle nicht mehr zum Kanon der gängigen Konfliktbeilegung gehören.

Bei Thalheimer steht dieser Raum vor allem für Tatjanas Innenleben. In der Briefszene wird ihr inneres Ringen mit sich und den Grenzen der Konvention, die sie ängstlich aber selbstbewusst überschreitet, zum packenden Zentrum. Auch ohne Feder und Papier. Hier kann sich Ekaterina Sannikova mit dramatischer Verve und ihrer prägnant vokalen Leuchtkraft voll entfalten. Auch die Geburtstagsparty erleben wir sozusagen mit ihren Augen. Eine überdreht alberne Gesellschaft und den Auftritt von Monsieur Triquet (bewusst karikierend: Sergej Khomov) empfindet sie, nach der – an sich vernünftig und keineswegs arrogant erteilten Abfuhr Onegins – nur noch als pure Verhöhnung. Dass sie dabei auf der einen Seite neben der tanzenden Gesellschaft steht und Lenski quasi korrespondierend auf der anderen, vereint sie beide in ihrer Rolle als Opfer von Onegins Unachtsamkeit. Dieses Beziehungsgeflecht ist detailliert herausgearbeitet.

Die Beziehung zwischen Onegin und Lenski, mit dem Wissen um Tschaikowskys Biographie als Homosexueller im zaristischen Russland, auszuloten spart sich Thalheimer. Das hat Peter Konwitschny in seiner nach wie vor Maßstäbe setzenden Leipziger Inszenierung schon gemacht und Krzysztof Warlikowski in München gar auf die Brokeback-Mountain-Spitze getrieben.

Wenn sich die beiden Duellanten jetzt auf einem Plateau gegenüberstehen, ist man schon einigermaßen erstaunt, dass sich Thalheimer nicht mit einem quasi zufällig den Freund tödlich treffenden Schuss auf Onegins Seite stellt. Es ist geradezu erschreckend und konterkariert die Erwartungen, die man mittlerweile mit der Duellszene verbindet, mit welcher beiläufigen Präzision Onegin hier zielt und abdrückt. Mochte man Onegin noch verstehen, als er Tatjana zurückwies, so bleibt hier keine Chance mehr für Anteilnahme. Mit seinem Verhalten auf dem Ball ist es dann im Grunde ganz aus. Mit der völlig übertriebenen zu tiefen Verbeugung und dann mit seinem (allerdings noch in jeder Inszenierung) völlig realitätsfernen Einstürmen auf die Fürstin und Frau seines Freundes Gremin (sehr unerschütterlich anrührend: Bogdan Taloș), ist er nicht mehr ernst zu nehmen.

Tatjana hingegen hat einen so souveränen Habitus als Fürstin (und wohl auch Glück mit ihrem gefühlvollen und seine eigene Gesellschaftsschicht glasklar durchschauenden Mann), dass man sich um sie keine Sorgen machen muss. Die gäbe auch eine tolle Fürstin im Exil nach der Revolution ab….

Auf Umwegen landet man so doch wieder im Russland Puschkins und Tschaikowskys. Zwischen der innen reichen und nach außen souveränen Tatjana und dem innen eher ärmlichen und außen auf ganzer Linie scheiternden Onegin billigt Thalheimer auch alle anderen Figuren eine differenzierte Profilierung zu. Die profitieren von korrespondierenden Gegensätzen. Das betrifft auch den kontrolliert eloquenten Bogdan Baciu als Onegin im Verhältnis zu dieser Tatjana.

Ramona Zaharia als Olga hebt sich mit ihrer geradezu dräuenden Tiefe deutlich von Tatjana und Lenski ab, der bei Ovidiu Purcle glaubwürdig den schlichten aber aufrichtigen Verehrer Olgas und Freund Lenskis verkörpert. Ulrike Helzel ist keine großmütterliche Filipjewna, sondern eher Gesellschafterin, so wie Katarzyna Kuncios Larina nichts von einer überforderten Witwe hat, sondern eher als taffe Chefin, dem fordernden Auftritt ihrer Arbeiter selbstbewusst standhält. Dieser Chor der Landarbeiter ist nur der erste perfekt choreografierte Auftritt des von Gerhard Michalski einstudierten Chores. Auch im Chaos des Sommerfestes und als eingefrorene Ballszene bei Gremin gelingen mit dem Chor eindrucksvoll erhellende Bilder.

Der designierte GMD des Hauses Vitali Alekseenok nimmt die „lyrischen Szenen“, wie Tschaikowsky sein Werk etwas untertreibend nennt, mit seinen Düsseldorfer Symphonikern vor allem als ein Stück der großen Gefühle zu den gescheiterten Lebensentwürfen, von denen es erzählt. Anfangs scheinen die akustischen Begleitumstände der Bühnenkonstruktion für etwas vokalen Überdruck zu sorgen – doch das spielt sich ein. Dass die Musik bei dieser Inszenierung die Oberhand für die Wirkung hat, bleibt allerdings durchweg so. Sie überbrückt die Distanz des analytischen Blickes der Regie zwar nicht immer, aber sichert doch am Ende einen insgesamt packenden Abend. Der Schlussapplaus würdigte den Einsatz aller Protagonisten, beim Regieteam gab es erwartungsgemäß Einwände.

 

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